Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Da haben wir sie also, die Kandidaten. 20 an der Zahl. Jetzt geht es los. Unterschriften sammeln. Plakate entwerfen, genauso wie Flyer, Sticker etc.
Das ist die zweite Europawahl, die ich mit den Piraten erlebe. Aber etwas habe ich schon bei der ersten vermisst und auch bei allen anderen Wahlen, an denen die Piraten teilgenommen haben.
Ziele
Nun können Ziele, das gebe ich zu, ein zweischneidiges Schwert sein, jedenfalls aus Sicht der Verantwortlichen. Erreicht man Ziele z.B. nicht, kann man dafür verantwortlich gemacht werden. Deswegen ist es natürlich recht angenehm, wenn man einfach keine definiert. Was man nicht definiert hat, kann man auch nicht verfehlen oder gar für verantwortlich gemacht werden.
Das ist schön für die Verantwortlichen, aber für die Kandidaten und Wahlkämpfer ist es schlecht. Denn auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen. Auch eine Wahl ist eine Art Wettkampf. Ein Wettkampf der Kandidaten, Themen und Visionen. Und für einen Wettkampf braucht es Motivation. Sie ist das A und O. Wir haben Piraten, die gehen in ein fremdes Bundesland, nur mit Unterschriftsformularen bewaffnet und sammeln an einem Tag mal 100 Unterschriften.
Sowas geht nur, wenn man entsprechend motiviert ist. Und genau da liegt das Problem. Wir überlassen das völlig den Wahlkämpfern und den Kandidaten.
Und bei jedem Wahlkampf habe ich gehört: ja man muss doch realistisch sein oder na ja, wenn wir den einen halten können.
Ich finde das merkwürdig. Wir alle haben schon erlebt, dass der Amateurverein den Bundesligisten im Pokal geschlagen hat. Dass David Goliath besiegt hat. Wir wissen, dass so etwas möglich ist.
Und trotzdem haben wir noch nie wirklich Ziele für eine Wahl ausgegeben.
Wirkung
Um Ziele zu erreichen, bedarf es einiger Dinge. So zum Beispiel ein gemeinsam akzeptiertes Ziel. Denn das stärkt den Zusammenhalt. Und wenn man dann Menschen entsprechend Ihren Qualitäten einsetzt und nicht nach Nasenfaktor, und ihnen dabei eine gewisse Autonomie und Eigenverantwortung zugesteht, dann motiviert das erheblich. Irgendwo habe ich mal gelesen, wir wären die Mitmachpartei. Da sollten wir wieder hinkommen.
Wenn man dann Ziele hat, geht es an das Erreichen der Ziele. Und manchmal ist schon der Weg dahin das Ziel.
Ich wollte im Sport immer gewinnen. Es war aber überhaupt nicht schlimm für mich, zu verlieren. Im Gegenteil, ich habe mir bewusst ältere, größere Gegner ausgesucht, von denen ich wusste, dass sie schneller sind, weiter oder höher springen. Das Ziel war es, sie zu schlagen. Ich war ehrgeizig. Nun ist Ehrgeiz per se weder gut noch schlecht. Richtig eingesetzt, kann er sehr positive Effekte haben.
Europawahl 2024
Wir haben 20 Listenkandidaten. Und unser Ziel sollte es sein, 10 davon in das Europäische Parlament zu bringen. Wir sind der Underdog, die Amateurmannschaft. Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Die Tschechen haben es uns vorgemacht und jetzt feiern auch die Luxemburger Erfolge. Die Piraten sind im Gegensatz zu vielen anderen Parteien eine europäische, ja sogar eine weltweite Partei.
Das haben wir allen anderen Parteien hier voraus. Und wenn wir jetzt einen Wahlkampf für unsere Kandidaten machen, dann mit dem Ziel, dass wir 10 von Ihnen durchbringen. Wenn wir das tun, ändern sich die Erfordernisse im Wahlkampf. Wir können nicht mehr nur einen Kandidaten bewerben, sondern mehrere. Wir müssen das jeweils passende Thema für die Kandidaten finden. Mehr Kandidaten bedeutet auch, dass mehr lokale Kräfte dort, wo die Kandidaten sind, vielleicht mitmachen. Alles eine Frage der Motivation. Wir haben es aus dem Nichts heraus in die Parlamente geschafft. Wir können das wieder. Und die Europawahl 2024 ist dazu ideal.
Themen und Kandidaten
Klar gibt es Themen, die sozusagen unsere Kernkompetenz widerspiegeln, wie das Thema Chatkontrolle z.B.
Aber jeder Kandidat sollte wenigstens ein Thema haben, das sein Spezialgebiet ist, und damit dann auch Wahlkampf machen.
Hier die richtige Auswahl zu treffen, sollte eines der wichtigsten Dinge sein, die wir tun müssen. Ein weiteres sollte sein, dass alle Kandidaten Ihre eigene Webseite bekommen.
Immerhin sind wir die Internetpartei. Und mit einer URL werben, ist so einfach! Auf einem Werbemedium, das vollständig uns gehört, auf dem uns niemand vorschreiben kann, was wir dort tun.
Und natürlich sollte es eine .eu Domain sein.
Wir müssen nicht nur die Wähler dazu bringen, uns zu wählen, wir müssen auch unsere Mitglieder zum Mitmachen motivieren. Das ist nicht einfach, schon gar nicht bei all den Egotypen in unserer Partei. Aber sich dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen, als Teamplayer zu agieren, das kann trotz aller eventuellen Gegensätze motivieren. Und vielleicht erwacht ja bei dem ein oder anderen doch noch ein wenig Ehrgeiz.
Mut
Um öffentlich bekannt zu geben, dass wir mit mindestens 10 Leuten in das Europaparlament wollen, bedarf es Mut. Und wenn das nicht klappt, wird zumindest die Presse versuchen, uns zu zerreißen. Aber die Wahrheit ist, wir haben nichts zu verlieren, nur unsere Achtung vor uns selbst. Denn anders als bei den olympischen Spielen gilt hier nicht, dabei sein ist alles.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.