„Piraten Wirken“ ist eine Rubrik, in der gezeigt werden soll, was Piraten erreichen und bewirken. Egal ob Mandatsträger oder engagierte Piraten, egal ob auf kommunaler, Landes-, Bundes-, Europa- oder internationaler Ebene. Wenn ihr selbst oder euch bekannte Piraten auch etwas bewegt habt, meldet euch gerne bei der Redaktion, damit wir gemeinsam aufzeigen können, was Piraten so alles bewirken.
Bereits seit einem Jahr demonstrieren immer wieder tausende Menschen im Iran gegen das dort herrschende autoritäre Regime. Zentral für die Proteste sind auch die Bilder der vielen iranischen Frauen, welche sich mit unbedecktem Haar zeigen oder als symbolische Geste ihre Haare abschneiden. Denn der Ausgangspunkt der Proteste war eine junge Frau, die von der iranischen Sittenpolizei verhaftet wurde, weil ein Teil ihrer Haare in der Öffentlichkeit sichtbar war, und die daraufhin in der Haft verstarb: Die 22-jährige junge Frau hieß Jina Mahsa Amini. Als Symbol der Proteste erlangte sie weltweite Bekanntheit und wurde zum Sinnbild für die Unterdrückung der Frauen im Iran, aber auch für den Kampf gegen das dortige islamische Regime. Der Stadtbezirk Linden-Limmer in Hannover geht nun voran und würdigt Jina Mahsa Amini, indem der bisher namenslose Platz in Linden-Mitte zwischen Stephanusstraße, Gartenallee und Eleonorenstraße in Jina-Mahsa-Amini-Platz benannt wird. [1] Das ist eine bislang einmalige Würdigung in Deutschland und maßgeblich beteiligt daran war der Vorsitzende des Stadtverbands Hannover der Piratenpartei und Bezirksratsabgeordneter in Linden-Limmer, Thomas Ganskow.
Entstanden ist die Idee im Rahmen der seit einem Jahr stattfindenden u.a. von #HannoverForIran [2] veranstalteten Demonstrationen, nachdem Thomas Ganskow dort einen Redebeitrag über die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran sowie die mangelnde Reaktion in der deutschen Außenpolitik halten durfte. Immer wieder wurden dort wirksame Taten gefordert, die die Politik statt solidarischer Worte umsetzen soll.
„Ich überlegte irgendwann, was denn wohl ich als Mandatsträger mit einem denkbar kleinen Mandat als Bezirksrat – was die unterste kommunale Ebene in Niedersachsen ist – machen könnte, um die Revolution im Iran und die Menschen, die täglich um ihre Freiheit kämpfen und ihr Leben riskieren, zu unterstützen“, sagt Thomas Ganskow dazu.
Nachdem er gelesen hatte, dass Wien bereits als erste europäische Stadt diesen Schritt gegangen ist [3] und Frankfurt beschlossen hat, nach einer geeigneten Straße hierfür zu suchen [4], entschied er, dass Hannover hierbei in Deutschland vorangehen sollte. In Zusammenarbeit mit dem Bündnis vor Ort entstand daraufhin aus der Idee ein entsprechender Antrag, für welchen Thomas Ganskow aufgrund des starken Standing der Grünen (fast die Hälfte der Mandate im Bezirksrat), welche sich schon öfters für die Revolution ausgesprochen hatten, große Zuversicht hegte. Doch es kam anders. Am 28.06. wurde der Antrag [5] von weiten Teilen der Grünen, der SPD und der CDU abgelehnt. Die Begründung, dass der bald umgestaltete Platz zu abgelegen sei, verfängt angesichts des nahegelegenen Halim-Dener-Platzes (Halim Dener war ein kurdischer, von Polizeikugeln getöteter Aktivist) und der der Umgestaltungen vermutlich folgenden Belebung des Platzes nicht. Sauer aufstoßend dürfte dies auch angesichts eines CDU-Antrags im Bezirksrat Mitte sein, welcher plant, einen zentralen Platz in der Innenstadt nach Jina Mahsa Amini zu benennen, jedoch nicht vor dem 04.09. behandelt werden sollte. Das einzige rechtlich haltbare Gegenargument war, dass eine Regelung besagt, Benennungen dürften frühestens ein Jahr nach dem Tod der besagten Person erfolgen.
Bei der folgenden Besprechung mit dem enttäuschten Bündnis kündigte Thomas Ganskow dann an, einen erneuten Versuch zu starten, was auf breiten Zuspruch traf. Ein neuer Platz dafür war auch bald im sogenannten Stephanusplatz, welcher größtenteils einen Spielplatz beherbergt und keine Adressänderungen zur Folge hätte, gefunden.
„Zu meinem Glück war meine erste Sitzung nach der Sommerpause erst am 20.09. Wie zu erwarten war, wurde am 04.09. der Antrag der CDU im Bezirksrat Mitte, die dort auch nur Opposition gegen rot-grün ist, abgelehnt. Somit war dieses Gegenargument vom Tisch. Ich hatte noch zwei Tage Zeit, meinen neuen Antrag einzureichen. Den hatte ich im Vorfeld nicht nur mit dem Bündnis abgesprochen, sondern auch mit einer dem Platz angrenzenden Buchhandlung, die sich der feministischen und revolutionären Literatur verschrieben hat. Dort war man von meiner Idee ebenso begeistert und sprach sich vehement dafür aus, den angrenzenden Platz umzubenennen“, so Thomas Ganskow über sein weiteres Vorgehen.
Als letzte Hürde mussten nun nur noch die übrigen Zweifel der anderen Mitglieder des Bezirksrats ausgeräumt werden. Mit dem Todestag von Jina Mahsa Amini am 16.09. war bereits die weitere Hürde der einjährigen Wartefrist vor einer Benennung überwunden. Die Kritik eines mangelnden Hannover-Bezugs von Seiten der SPD konnte durch die tatkräftige Unterstützung mithilfe eines offenen Briefes an alle Abgeordneten vom Kulturzentrum Kargah e.V., einer Dachorganisation migrantischer Selbsthilfeorganisationen in Hannover, sowie durch Reden von Aktivisten und einer Mitarbeiterin der besagten Buchhandlung in der Sitzung ausgeräumt werden. Unter ihrer Mediation konnte auch vereinbart werden, dass die Grünen dem Antrag zustimmen werden, wenn er dahingehend geändert würde, dass nur der besagte Platz und keine Alternativen zur Abstimmung gestellt wird. [6]
Das Fazit von Thomas Ganskow: „Und so kam es auch. Grüne, Linke und ich für die Piratenpartei stimmten für den so geänderten Antrag, SPD und CDU enthielten sich. FDP und die PARTEI waren nicht anwesend. Hannover bekommt als erste Stadt in Deutschland einen Jina-Mahsa-Amini-Platz. Das hat bislang schon eine Berichterstattung über die Lokalpresse hinaus wenigstens im NDR, Deutschlandfunk, FFN und einem niederländischen Kurdistan-Magazin gebracht. Und wenn die Verwaltung schlau ist, macht sie aus der Platzeinweihung ein richtig großes Event, was dann die gesamte Bundespresse auf den Plan ruft. Wie gesagt, erste Stadt in Deutschland…“
Abschließend muss natürlich das große Engagement unseres Piraten Thomas Ganskow gewürdigt werden. Er zeigt uns auf, was mit Tatendrang, Durchhaltevermögen und lokaler Vernetzung möglich ist. Durch seine Hartnäckigkeit und Konfliktlösungsfähigkeit hat er als Bezirksratsabgeordneter großes bewirkt und Hannover zu einem Aushängeschild in Deutschland für die Unterstützung der Revolution im Iran und für die Würdigung des Andenkens von Jina Mahsa Amini gemacht.
Aber auch nach über einem Jahr ist für die Situation im Iran keine Besserung in Sicht. Die Proteste gehen weiter und verlieren zunehmend an Aufmerksamkeit in unseren Medien, während das iranische Regime auf den Todestag Jina Mahsa Aminis mit noch schärferen Gesetzen reagierte. Sinnbildlich dafür steht ein weiterer kürzlich erfolgter Fall massiver Polizeigewalt, als eine 16-jährige, die in der U-Bahn kein Kopftuch trug, von Polizistinnen der Sittenpolizei derart angegriffen wurde, dass sie nun im Koma um ihr Leben kämpft. [7] Der Kampf der Menschen im Iran für ihre Freiheit und ihre Menschenrechte ist längst nicht vorbei und genau wie Thomas Ganskow in Hannover sollten wir alles dafür tun, dass der aufopferungsvolle Kampf dieser Menschen nicht in Vergessenheit gerät, denn sie brauchen weiterhin unsere Unterstützung.
Die am 06.10. bekannt gegebene Vergabe des diesjährigen Friedensnobelpreises an die inhaftierte iranische Frauenrechtlerin Narges Mohammadi [8] kann dabei nur der Anfang sein.
[1]: https://punkt-linden.de/news/jina-masha-amini-platz-linden-mitte/
[2]: https://www.instagram.com/hannover_for_iran/
[5]: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-1386-2023N1
[6]: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-1848-2023N1
[7]: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-10/iran-sittenpolizei-koma-teheran-kopftuch
Redaktionsmitglied Julian Häffner
Ich bin 20 Jahre alt und seit 2019 Mitglied der Piratenpartei. Ich studiere aktuell Lehramt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Außerdem bin ich Vorsitzender im Kreisverband Nürnberger Land & Roth und stellvertretender Vorsitzender des Bezirksverbandes Mittelfranken der Piratenpartei. Seit 2021 bin ich zudem Mitglied der Redaktion der Flaschenpost.
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Sehr guter Artikel. Danke das ihr den politischen Weg beschrieben habt, wie es zur Platzumbenennung kam. Und vielen Dank an Thomas für seine Mühe und Ausdauer. Die Umbenennung ist ein wichtiges Zeichen und zeigt wie wichtig es ist, dass wir Piraten in den Parlamenten haben.