Dies ist ein Gastartikel von Schoresch Davoodi und der AG Außenpolitik
Die Islamische Revolutionsgarde hat am 15. Januar Ziele im Irak und am 16. Januar 2024 Ziele in Pakistan angegriffen. Pakistan reagierte daraufhin und griff am 18. Januar Ziele im Iran an. Der Iran wurde damit zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges von 1988 auf seinem Staatsgebiet durch einen anderen Staat angegriffen.
https://aje.io/rqc5i8?update=2629334
Die Regierung der Islamischen Republik behauptet, dass bei den Angriffen von Pakistan keine iranischen (!) Staatsbürger ums Leben gekommen wären. Jedoch seien, so die Meldung, 9 Menschen ums Leben gekommen. Diese Meldung, wenn man über das Hintergrundwissen verfügt, zeigt den exkludierenden und unterdrückerischen Charakter der Islamischen Republik. Denn so einfach ist die Sache nicht, wie es der Iran vorgibt. Viele Minderheiten im Iran, wie die Baluchen, bekommen von der Islamischen Republik keine Pässe und werden von ihr nicht als Staatsbürger gesehen. Dabei bilden Baluchen schon immer in dieser Region einen Großteil der Bevölkerung. Jedoch existieren sie für die Islamische Republik nicht. Die Baluchen leben in Baluchistan, das in Pakistan die Provinz Baluchistan bildet und auf der iranischen Seite die Provinz Sistan-Baluchistan.
https://aje.io/rqc5i8?update=2629401
Die Baluchen im Iran werden von der Islamischen Republik kontinuierlich unterdrückt. Die Baluchen dort hatten sich schon zu Beginn den Protesten der Kurden nach der Ermordung von Mahsa Amini angeschlossen. Die Islamische Republik reagierte auf die Proteste der ethnischen Minderheiten mit unmittelbarer Repression, der unzählige Menschen zum Opfer fielen.
Dieser Konflikt ist auf den ersten Blick überraschend, da die Islamische Republik und Pakistan eigentlich über gute bilaterale Beziehungen verfügen. Jedoch muss man diese Auseinandersetzung sowohl im Kontext der in beiden Staaten herrschenden inneren Spannungen, als auch im Bezug auf die Konflikte, in welche beide Staaten mit dritten Mächten involviert sind, betrachten.
Pakistan
Pakistan ist eine Atommacht. Und Pakistan befindet sich seit langem in einer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise. Die Explosion der Energiepreise, gerade von Erdgas, welche durch den russischen Überfall auf die Ukraine ausgelöst wurden, haben in Pakistan zu neuen großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen geführt. Die politische Situation und die Unzufriedenheit in Pakistan mit der dortigen Regierung haben erneut zu Protesten und instabilen Regierungen geführt. Das Militär in Pakistan ist ein Staat im Staate. Ähnlich wie die Islamischen Revolutionsgarden im Iran verfügt das pakistanische Militär auch über große wirtschaftliche Interessen und kontrolliert große Anteile der pakistanischen Wirtschaft.
Das pakistanische Militär hatte schon öfter in der Geschichte Pakistans die zivile Regierung durch einen Putsch abgelöst. Beispielsweise kam es im Jahr 2007 zu einer größeren Krise im Land. Eine umfassende Analyse und Beschreibung der damaligen Situation der Krise hatte ich zusammen mit Adama Sow im Jahr 2007 für die damalige österreichische European Peace University in Stadtschlaining veröffentlicht. Der Artikel, welcher die damalige interne Situation Pakistans und die Krise beschreibt, geht seit einigen Jahren in der pakistanischen Wissenschaft viral. Er wird dort als eines der Standardwerke zu der damaligen Situation im Jahr 2007 gesehen. Pakistan sieht sich in Baluchistan einem Konflikt mit der „Balochistan Liberation Army“ (BLA) und der „Baluch Liberation Front“ (BLF) gegenüber. Die BLA ist eine separatistische, nationalistische Organisation, welche von Pakistan, der EU, den USA und China als terroristische Organisation bewertet wird. Die BLF ist wiederum eine klassisch marxistisch-leninistische Organisation, welche auch dem baluchisten Nationalismus folgt und in Pakistan als Terrorgruppe gesehen wird. Pakistans Angriffe am 18. Januar 2024 galten offiziell diesen beiden Gruppen. Dass Pakistan direkt im Iran Ziele dieser Gruppen angriff, ist auch darauf zurückzuführen, dass Pakistan in Bezug auf den lange bestehenden Konflikt mit Indien militärische Stärke zeigen muss.
Iran
Die Islamische Republik ist einer der größten Erdgasproduzenten der Welt. Die Islamischen Revolutionsgarden kontrollieren dabei den Erdgashandel des Iran. Mit Katar unterhält die Islamische Republik vergleichsweise gute Beziehungen. Katar ist neben dem Iran einer der wichtigsten Unterstützer der Hamas. Beide profitieren von der bislang in seiner aktuellen Form umgesetzten deutschen Energiewende und dem neuen LNG-Boom in Europa als Folge der russischen Invasion der Ukraine. Das gilt auch für den Erdgashunger Europas, gerade weil Russland als Lieferant für viele europäische Staaten ausfällt. Für Pakistan ist der Iran einer der wichtigsten Energielieferanten gerade im Bezug auf Erdgas. Aktuell versucht Russland, in Pakistan auf Kosten des Iran – auch als Folge der russischen Invasion der Ukraine – neue Marktanteile zu gewinnen. Die Islamische Republik steht wiederum international weiter unter Druck durch Sanktionen. Hier versucht die Islamische Republik neue Möglichkeiten, die sich durch den Erdgashunger bieten, zu nutzen. Jedoch steht der große Investitionsbedarf dem bislang im Weg. Die Islamische Republik sieht sich in Baluchistan der „Jaish ul-Adl“ gegenüber. Dieser galten die Angriffe der Revolutionsgarden vom 16. Januar 2024. Die „Jaish ul-Adl“ ist eine Gruppierung, welche ein nationalistisches Programm verfolgt und ein unabhängiges Baluchistan anstrebt. Sie wird vom Iran, Japan, Neuseeland und den USA als Terrorgruppe gelistet. Laut Aussagen der Islamischen Republik soll die „Jaish ul-Adl“ auch mit anderen im Iran aktiven separatistischen Gruppen kooperieren.
https://iranprimer.usip.org/blog/2017/apr/05/baluch-insurgents-iran
Die Islamische Republik griff daher bewusst Gruppierungen im Irak und in Pakistan an, um klar gegenüber den von ihr unterdrückten Minderheiten Dominanz durch Terror zu signalisieren. Gegenüber den Kurden wie auch den Baluchen wird hier von der Islamischen Republik weiter der Status Quo der Unterdrückung kommuniziert. Ebenso wird hier versucht, die protestierenden Minderheiten, und mit ihnen gemeinsam die iranische Bevölkerung, in der politischen Kommunikation zu spalten, indem die Islamische Republik wie in der Vergangenheit versucht Ängste zu schüren. Ohne die Gewaltherrschaft der Islamischen Republik würde der Iran zerfallen. Die Islamische Republik versucht sich nach innen und außen als einziger Garant für einen stabilen Iran politisch zu inszenieren. Dabei ist aber gerade die Unterdrückung der Menschen und nationalen Minderheiten im Iran durch die Islamische Republik der Auslöser des Ganzen.
Der Wissenschaftler Dr. Reza Parchizadeh hatte in einem Beitrag, der auch in der Flaschenpost im Januar 2023 erschienen ist, beschrieben, wie bei einem Machtwechsel im Iran die Kontinuität im Sicherheitsapparat und im Denken bestehen bleiben könnte. Ich hatte derweil für die AG Außenpolitik in einer Analyse im Mai 2021 beschrieben, wie durch den externen Druck, ähnlich wie in Nachkriegsdeutschland in der BRD und DDR, und ähnlich im Iran nach der Revolution von 1979, der sicherheitspolitische Apparat im Iran und das Denken, jeweils intakt in die neue Zeit übertragen werden könnte.
Fazit
Aktuell betreibt die Islamische Republik eine auch den historischen Erfahrungen der Revolution von 1979 zugrundeliegende, aggressive und brutale Abschreckungspolitik nach Innen und Außen. Das liegt auch daran, dass aktuell im Iran verschiedene rivalisierende Gruppen sich für eine „gute Verhandlungsposition“ für die Übergangszeit und die Zeit nach dem baldigen Ende der Islamischen Republik in Position bringen. Die Islamische Republik sieht sich am Ende ihrer Lebenszeit einem offenen internen wie externen Machtkampf ausgesetzt, in der viele politische Akteure dabei sind, ihre Positionen und Zukunft in einem neuen Iran nach dem baldigen Ende der Islamischen Republik zu sichern. Dabei nutzen sie eine „Strategie der Spannungen“, um sowohl Stärke nach Innen und Außen zu signalisieren, als auch gegenüber der „internen Konkurrenz“ Dominanz zu gewinnen. Die bisherigen Angriffe auf die Revolutionsgarden zeigen diese interne Dynamik sehr gut. Das Massaker durch die Hamas in Israel und auch die aktuellen Bedrohungen, die sich Israel durch den Iran und seine Proxies ausgesetzt sieht, sind unter dem Aspekt des sich zuspitzenden Machtkampfes um Einfluss und Geld in der Zeit nach dem Ende der Islamischen Republik zu sehen. In diesem Kontext kann man auch den am 21. Januar 2024 erfolgten israelischen Luftschlag in Damakus, der Führungskräfte der Revolutionsgarden zum Ziel hatte, bewerten.
Es zeigt offensichtlich, welche Gefahr die Islamische Republik in ihrer letzten Phase gerade darstellt. Israel und die freien demokratischen Gesellschaften allgemein, sind gerade jetzt besonders durch die letzten Zuckungen der Islamischen Republik in Gefahr. Auch weil die Eliten der Islamischen Republik möglichst viel „hard power“ nutzen müssen, um in einer Zeit danach einen wichtigen politischen Faktor in einem pluralistischen und demokratischen Iran spielen zu können. Die Parallelen zu Russland nach dem Ende der Sowjetunion sind frappierend, wie Dr. Reza Parchizadeh in einem Beitrag in der „New Pirate Times“ 2023 unter dem Titel „Das größte Hindernis für die Demokratie im Iran“ dargestellt hatte.
https://piratetimes.info/de/das-groesste-hindernis-fuer-die-demokratie-im-iran/
Ich hatte in einem Interview schon vor einiger Zeit zur Thematik des Irans auch die zugrundeliegende Dynamik, in welcher die neuesten Entwicklungen und Handlungen der Islamischen Republik zu bewerten sind, angesprochen. Politisch, und insbesondere für die Menschen im Iran und der Region, ist es daher wichtiger denn je, dass die Islamische Republik besser früher als später Geschichte sein wird. Es ist wichtig, dass die Menschen im Iran frei und demokratisch ihre eigene Zukunft gestalten können. Der Landesvorsitzende der Piratenpartei Baden-Württemberg Borys Sobieski hatte zum Jahrestag der aktuellen Revolution im Iran die passenden Worte gefunden, indem er in einem Beitrag auf der Homepage des Landesverbandes zum Jahrestag der aktuellen Revolution im Iran schrieb: „Wir PIRATEN stehen nicht erst seit einem Jahr, aber jetzt besonders, Seite an Seite mit dem iranischem Volk. Wir sagen ganz klar: Das Mullah-Regime kann kein Partner sein. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und endlich das iranische Volk zu unterstützen und sich nicht mehr durch Lobbyisten eines Gottesstaates beeinflussen zu lassen. Revolutionsgarden und sogenannte Sittenwächter müssen als das benannt werden, was sie sind: Terrororganisationen. Und diese gehören verboten. Auf dass ein freies iranisches Volk unabhängig von Beeinflussung jeglicher Art, seien es religiöse Fanatiker oder sogenannte westliche Partner, seinen eigenen Weg gehen kann.“
Und ich bin froh, dass wir als deutsche Piratenpartei auf unserem Parteitag in Hamburg im Dezember 2023 in unserer Beschlusslage mit der Annahme unseres Positionspapiers „Solidarität mit den Protesten im Iran“ dies beschlossen haben.
Schoresch Davoodi