Ahoj Piraten,
Wikileaks veröffentlicht in diesen Stunden ihr nächstes grossen Ding: Leaks aus der Piratenpartei selbst. Auf einigen Wikileaks-Spiegeln sind die geheimen Dokumente bereits verfügbar, auf anderen (beispielsweise wikileaks.piratenpartei.de) sind die internen Piratendokumente noch nicht zu sehen.
Die Leser der Flaschenpost werden hier vorab über geheime Piratenpläne informiert, die geleakten Dokumente sind nach Abschluss des Syncs wie gewohnt auf allen Wikileaks-Spiegeln zu finden.
Die veröffentlichten Dokumente beginnen im Jahr der Gründung der Piratenpartei – also 2006. Nahezu alle Leaks stammen aus dem innersten Kreis der Partei. Wie immer hat Wikileaks die Identität des oder der Informanten gut geschützt. Die Fülle der Informationen und die Natur der Piraten macht es aber unwahrscheinlich, dass sich nur eine Person über 5 Jahre hinweg der Transparenz verpflichtet fühlte. Für mehrere Informanten spricht auch die Spannbreite der einzelnen Leaks: interne Umbaupläne, gerichtliche Auseinandersetzungen, Fusionspläne und vieles mehr lassen unzählige undichte Stellen vermuten. Der Flaschenpost wurden exklusiv drei Dokumente übergeben, über die wir hier berichten.
AG-Opposition
Damit die Piratenpartei selbst niemals in die Verlegenheit kommt, wegen Entscheidungen kritisiert zu werden, gab es Pläne zur Gründung der AG-Opposition und deren Untergruppen AG-Querulant und AG-Rücktritt. Deren tägliche Sisiphusarbeit sollte darin bestehen, jede Beteiligung an politischen Gestaltungsprozessen zu verhindern. Im Erfolgsfall hätten diese AGs die Partei erfolgreich vor jeder Kritik von aussen geschützt.
AG-Strudel
Eine geheime Kommission zur Überwachung der Regierung, legte auch 2010 ihren jährlichen Abschlussbericht vor. Das Fazit lautete auch dieses Mal: Regierung ist Mist! Deshalb wurde die AG Strudel gegründet, die in den verschiedenen Mailinglisten und Foren Diskussionen anstiess, die sich im weitesten Sinn mit Regierungskritik befassten. Mit dieser Strategie des diskutieren, angreifen, schimpfen und dann alles von vorn wurde erwartungsgemäs das Piratengewissen beruhigt und die Agression kanalisiert. Die gegenseitigen Anfeindungen wurden so lange wiederholt, bis die Koalition in Berlin einen neuen Unsinn verzapfte und eine neue Runde starten konnte. Die Kommission stellte allerdings auch fest: Manchmal, zum Glück fast nie, gibt es auch sinnvolle Regierungsvorhaben. Dann wurde jeweils die Parole ausgegeben: nicht weich werden, sondern immer dran denken: Regierung ist Mist! Also bitte auch weiterhin: Hauen, Stechen und auf keinen Fall dabei das hämische Element vernachlässigen! Wobei jede Diskussion selbstverständlich ergebnisoffen zu führen ist. Unter ergebnisoffen versteht die AG-Strudel nach eigenem Selbstverständnis jedoch nicht, dass ein Berliner Vorhaben dann doch mal zu tolerieren ist, sondern dass am Ende der Diskussion eben keine Lehren oder Aktionen stehen: keine Pressemitteilung, keine Einbringung in Projekte, und auf keinen Fall die Bildung einer Fachgruppe. Denn dieses erachtet die AG-Strudel für eine basisdemokratische Partei als zu elitär! Jede Diskussion konnte mit diesen Mitteln ohne Ergebnis enden. Notfalls wurden besonnene Piraten mit Totschlagargumenten wie so einen Blödsinn habe ich ja noch nie gehört in die innere Emmigration getrieben.
Oppositionsopposition
Mitschnitte von Chat-Diskussionen belegen, dass die AG-Opposition unsprünglich den Namen AG-Fundamentalopossition tragen sollte. Als Zugewinn einer Konkretisierung des Namens wurde die Bildung einer innerparteilichen Opposition erwartet, die sich, gegenüber der verbreiteten Ablehnung, jeder Verantwortungsübernahme ablehnend verhält. Damit erhoffte man sich laut der Leaks weitere Gelegenheiten zu breiten Diskussionen, ohne den Zwang zur Programmatik. Damit eine spätere Abstimmung Pro/Conta Umbenennung basisdemokratisch verhindert werden kann, sollte vor dem Antrag auf Umbenennung eine Umfrage gestartet werden, ob über eine Umbenennung abgestimmt werden soll. Der Geheimplan sah vor, dass die AG selbst eine Diskussion anstossen solle, die möglichst grosses Echo findet, doch programmatisch nichts bringt. Dadurch sollte bei Piraten das Gefühl gestärkt werden, dass alles ungerecht ist. Über dieses allumfassende Konstrukt erhofft man sich die Verankerung der Piraten in breiten Teilen der Bevölkerung.
Die Aktivenliste
Die Leaks beleuchten auch die Hintergründe einer wenig bekannten gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem Doktoranden. Stein des Anstosses sind einige Passagen seiner medizinischen Dissertation. Kritisiert wird eine Psychoanalyse sämtlicher Teilnehmer der Aktiven-Liste. Die Auswertung der gesammelten Daten enthält offensichtlich politischen Sprengstoff, denn der Doktorand liest aus seinen Ergebnissen ab: viele Piraten sind schlecht auf ihre Medikamente eingestellt! Diese Quintessenz wurde aus der Analyse mehrerer Millionen E-Mails gewonnen, die im Untersuchungszeitraum über den Mailverteiler gingen. Dabei hat der Mediziner computergestützt Stil und Wortwahl der Disskutanten begutachtet und nach Auffälligkeiten sortiert. Wann der Vorstand über den Gesundheitszustand der Diskussionsteilnehmer informiert wurde, lassen die Leaks höchstens erahnen. Tatsache ist: Die Piratenpartei kämpft mit allen Mitten gegen die nichtlizensierte Nutzung der Aktiven-Liste und folglich gegen die Veröffentlichung der Doktorarbeit. Die Pressekammer Hamburg antwortete auf eine Anfrage lediglich, dass man sich prinzipiell nicht zu schwebenden Verfahren äussere.
Parteienfusion
In der Sammlung interner Dokumente finden sich Piratene-Mails, die belegen, dass einige Vorstandsmitglieder des Jahres 2010 eine Fusion mit der Horst-Schlemmer-Partei anstrebten. Das Vorhaben wurde allerdings schnell wieder aufgegeben. Die Ursache für die geplatzte Fusion rollen alle Beteiligten genüsslich in hämischen E-Mails breit: Horst Schlemmer scheint seine politische Karriere einem verdorbenen Fisch zu verdanken. Den Grossteils aus Vegetariern bestehenden Piraten wäre eine Fusion mit einer Partei, die Nutzniesser des ohnehin umstrittenen Fischfangs, nur schwer vermittelbar gewesen. Alle uns vorliegenden Mails weisen darauf hin, dass mit dem Verzicht auf eine Fusion die Zerreissprobe vermieden werden sollte.
Es scheint, dass die Berufsinformanten rund um Herrn Assange nun die Hand beissen, die sie in Zeiten von War Diary, Collateral Murder und Cablegate, ernährte. Welchen Umgang die Piratenpartei mit den Enthüllungen wählen, wird ist noch nicht absehbar. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels, ist noch keine Pressemitteilung erfolgt.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.