Etwa 100 Teilnehmer fanden sich am vergangen Dienstag zu der Demonstration gegen Terrorpanik und Vorratsdatenspeicherung, unter dem Motto “aussen hui, innen pfui” (s.a. Flaschenpost-Artikel vom 16.06.2011), in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofes ein. Anlass dazu gab die Innenministerkonferenz (IMK), die diesmal in Frankfurt stattfand.
Zusammen mit der Piratenpartei als Initiator der Demonstration gegen Vorratsdatenspeicherung und Überwachungsgesetze, zogen auch andere Gruppen wie AK Vorrat oder eine Gruppe von …umsGanze (Kommunistische Bündnis, welches insbesondere Frontex thematisierte) vom Hauptbahnhof, mit einer Zwischenkundgebung auf dem Goetheplatz zur Frankfurter Paulskirche, die als Ort der ersten deutschen Nationalversammlung und des Versuchs eine Verfassung zu entwerfen eine lange demokratische Geschichte hat. So hieß es auf dem Frontbanner der Demo: “Demokratie funktioniert nur ohne Überwachung”. Ein Motto, hinter dem alle anwesenden Gruppen stehen.
Die gemeinsam mit AK Vorratsdatenspeicherung, Foebud e.V. und Humanistischer Union organisierte Demonstration wurde von einem großen Polizeiaufgebot begleitet – somit verdoppelte sich die Anzahl teilnehmenden Person beinahe. Dieses wurde jedoch zu keiner Zeit benötigt, denn die Demonstration verlief wie erwartet friedlich.
Thorsten Wirth erläuterte das Motto der Demonstration in einer kurzen Eröffnungsansprache wie folgt: „Deutschland beklagt mangelnde Demokratie und Menschenrechte im Ausland, beschwert sich über Zensur und mangelnde Pressefreiheit in China oder dem Iran und ist dreist genug, im eigenen Land eine verdachtslose Protokollierung aller Kommunikationsinformationen sämtlicher Personen im Lande durchzuführen. Es hat die Terrordatei eingeführt, die jenseits des Grundgesetzes agiert. In der Daten von einer unbekannten Zahl „Terrorverdächtiger“ (2008 waren es 13000 Personen!) aus polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungen zusammengeführt werden.“
Die Abschlusskundgebung vor der Paulskirche in direkter Nähe des Römers (Rathaus/Tagungsort der IMK), beschloss Wilm Schumacher, Generalsekretär der Piratenpartei Deutschland, mit seiner Aufforderung an die Politik das Spiel mit der Angst der Menschen zu beenden – konkret mit den Worten: “Ich lasse mich nicht weiter von dieser Politik terrorisieren!” (komplette Rede auf YouTube)
“Die wahren Terroristen sitzen heute im Hotel Interconti!” hatte Knut Bänsch, Schatzmeister des Piraten-Landesvorbands Hessen zuvor gefolgert, “denn sie sind es, die uns unsere Freiheitsrechte rauben!” Bevor Knut in seiner spontan gehaltenen Rede die Bedeutung der Paulskirche im geschichtlichen Kontext der Bürgerrechte betonte: “Die Abgeordneten des ersten deutschen Parlaments, dass in der Paulskirche erstmals 1848 tagte, stritten für unsere Freiheitsrechte als Bürger und die Innenminister wollen sie uns gut 150 Jahre später ein paar Meter weiter im Interconti tagend, wieder abnehmen.”
In mehreren Redebeiträgen forderten die Piraten das Ende der Anti-Terror-Gesetzgebung und des Überwachungswahn. Stephan Urbach, Berlin, forderte in seiner Rede von dem Innenminister eine Politik im Geiste der Freiheit: “Ich will Politiker, die ehrlich zugeben, dass sie uns nicht vor allem Beschützen können.” (komplette Rede)
Gregory Engels, Bundesbeauftragter für internationale Koordination und Fraktionsvorsitzender der Piraten-Fraktion in Offenbach, betonte in seiner Rede insbesondere den schleichenden Grundrechte-Zerfall und führte hierzu insbesondere den Aufschrei zur Änderung des Ungarischen Presserechts an: “Nachdem das neue Pressegesetz in Ungarn innerhalb der Europäischen Union auf Ablehung stieß, rechtfertigte sich Herr Orban, dass dieses neue Gesetz nur ein Copy-Mix-Share aus den Gesetzen anderer EU-Länder sei. Er könne die Empörung daher nicht verstehen. Deswegen führen auch kleine Schritte beim Abbau der Grundrechte langfristig zu einem Zusammenbruch des gesamten Rechtsstaates. Das dürfen wir nicht länger zulassen!“
Der Rechtsanwalt Emanuel Schach,Vorsitzender des Kreisverbandes Main-Kinzig und Leiter der Rechtsabteilung der Piratenpartei, kritisierte am Beispiel des Vorgehens der Darmstädter Staatsanwaltschaft im Fall “servergate” den Zustand des Rechtsstaates. Es habe weder ein Rechtshilfeersuchen aus Frankreich vorgelegen, noch habe die Staatsanwaltschaft versucht, die gewünschten Informationen bei der Piratenpartei anzufragen. (komplette Rede)
Auch der Vorsitzende Richter des Landesschiedsgerichts der Piratenpartei Hessen, Jan Leutert, äußerte sich kritisch und begann seine Rede mit einem Zitat aus Film V wie Vendetta: “People should not be afraid of their governments. Governments should be afraid of their people.” (komplette Rede)
Sascha Neugebauer, Autor der Flaschenpost, war vor Ort und holte Meinungen und Stimmungen insbesondere von den anwesenden Ordnungskräften ein:
Nachdem erst im letzten Monat #servergate (die Flaschenpost berichtete) stattfand, ging ich von einer evtl. gespannten Lage zwischen den demonstrierenden Piraten und den begleitenden Polizisten aus. Zur Bestätigung dieser Annahme warten bereits lange vor dem Beginn der Demonstration gut zwei Dutzend Polizisten am Vorplatz des Frankfurter Hauptbahnhofs, etwa 100 m von Startpunkt des Demozuges “Aussen hui, innen pfui” entfernt.
Wie mir später im persönlichen Gespräch von einem Polizisten mitgeteilt wurde, waren viele der Polizisten gefrustet uns begleiten zu müssen, denn auf Grund bisheriger Erfahrungen mit Piraten (beispielsweise im Zuge der letzten “Freiheit statt Angst”-Demo oder diversen Mahnwachen) hätte – abgesehen von kurzzeitig zur Verkehrsregelung benötigten Beamten – eine Handvoll Leute zur Aufsicht (er würde bewusst nicht Überwachung sagen) ausreichen. Das jedoch vorhandene Polizei-Großaufgebot sei lediglich “dem Sicherheitsbedürfnis der Innenminister geschuldet sowie den weiteren, weniger friedlichen Demonstrationen (Anm. des Autors: am Vormittag gab es bei einer Demo anderer Gruppierungen vier Festnahmen) in der ersten Wochenhälfte.”
Interessanterweise wurden bei Erreichen des Endpunktes des Demonstrationszuges (Paulskirche) um ca. 20.00 Uhr die am schwersten gerüsteten Polizisten mit Helmen und Schilden abgezogen – zwei Stunden vor dem Ende von Aussen hui, innen pfui und noch vor der Abschlusskundgebung. Leider wurde aber das von Jan Leutert gebrachte Filmzitate von unseren gewählten Innenministern bestätigt, wenn auch nicht verstanden. Denn Piraten ziehen zwar mit dem markigen Spruch “Klarmachen zum Ändern!” in den Wahlkampf, doch ist dieser Slogan absolut friedlich und in Bezug auf demokratische Wahlen zu verstehen. Hier sollten sich die Innenminister einmal bei den ihnen unterstellten Polizisten erkundigen. Diese haben es verstanden.
Das gute Verhältnis und der lockere Umgang mit allen Anwesenden zeigte sich in den vielen Gesprächen mit Passanten, freundlichen Worten von den eigentlich aufgrund des verursachten Staus genervten Autofahrern und der Mitnahme von Infomaterial sowie inhaltlichen Diskussionen mit den Polizeibeamten, von denen sogar ein Teil die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ablehnt und die Ziele der Piraten, des AK Vorrat und der anderen beteiligten Gruppen als legitim an sieht: “Ich hätte zwar lieber Feierabend, aber ich finde es gut, dass es euch gibt und ihr hier seid.”
Ein gutes Bild von der Stimmung, die trotz des eher traurigen Anlasses der weiteren Beschneidung von Grundrechten friedlich und ausgelassen, ja fast schon partyhaft war, kann man sich auf mit diesem Youtube-Video machen, dass entstand während auf das (unverschuldet) verspätete Eintreffen des Bundesgeneralssekräters Wilm Schumacher zur Abschlussrede gewartet wurde.