Ein Gastartikel von Lukas Grasskamp
Es ist schon alles gesagt worden, nur noch nicht von jedem: In der Aufarbeitung um eine anstößige Kreditvergabe an den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten hat sich nun endlich der Hauptdarsteller selbst zu Wort gemeldet. Was unser Staatsoberhaupt gesagt hat und was er damit ausdrücken wollte – ein Blick hinter die Kulissen der Redekunst.
Es gibt viele Möglichkeiten, mit Vorwürfen und Anschuldigungen öffentlich umzugehen. Eine Herangehensweise, die ernsthaft zur Aufklärung eines Sachverhaltes beitragen kann und Reue zeigt, scheint in der deutschen Politik nicht en vogue zu sein. Wieder einmal erklärt uns ein Politiker seine Sicht der Dinge, anstatt gemeinsam mit den Vertretern der Öffentlichkeit die fragwürdigen Punkte seiner Vergangenheit zu diskutieren.
Nach der üblichen Begrüßung stellt der Bundespräsident kurz den Sachverhalt vor, um den es heute gehen soll. Über private Vorgänge sei leider “breit berichtet” worden. Sein eigener Tatbeitrag, immerhin Ursache der durchaus berichtenswerten Vorgänge, fällt dabei unter den Tisch. Der Bundespräsident beginnt seine Rede aus der Perspektive eines Opfers.
Ein “Bedürfnis” habe er, heißt es weiter, sich “persönlich” zu äußern. Dem aufmerksamen Beobachter mag auffallen, dass diesem Bedürfnis reichlich spät Genüge getan wurde. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass etwa kritische Berichterstattung ihm wohl keinen anderen Ausweg gelassen hat! Denn zugeben zu müssen, man sei durch äußere Umstände zu einer Konfrontation mit dem eigenen Handeln gezwungen worden, das steht weder der Demutsgeste, noch dem Alphamännchen gut zu Gesicht. Wir werden auch im Weiteren sehen, dass unser Bundespräsident nicht etwa angetreten ist, eine – noch so geringe – Schuld einzugestehen. Er nimmt lediglich die Notwendigkeit wahr, seinen Platz in der Hackordnung zu verteidigen und Schuld dort von sich zu weisen, wo es ihm noch möglich ist.
Die Vorwürfe, um die es gehen soll, spricht er unter einem Decknamen an: es soll heute gehen um die “kritische Kommentierung”, die bisher unbenannte Vorgänge “gefunden” haben. Man kann in der Tat dem Eindruck erliegen, die Berichterstattung um diese Provinzposse sei lediglich die Premierenbesprechung des örtlichen Bauerntheaters. Der müde Kulturredakteur nämlich hat alles schon einmal gesehen, eine Inszenierung ohne Biss und Überraschungen, kaum der Rede wert.
Durch die gesamten Rede hindurch versucht Wulff sich einen letzten Rückzugsraum zu errichten. Er findet diesen Raum dort, wo der deutsche Bürger schon seit jeher dürfen möchte, was er will: im Privaten. Ob galante Hirtenabenteuer, ein Ehrenwort unter Freunden oder die einsame Wurzel der versemmelten Doktorarbeit: Das Private eines Politikers soll unantastbar bleiben und hat – auch nach Wulffs Darstellung – so gar nichts mit seinem Amt zu tun. Unlauteres Verhalten aber würde selbstverständlich auch sein Amt als Ministerpräsident und seine Glaubwürdigkeit als Bundespräsident berühren.
Er geht sogar soweit zu behaupten, er habe sich möglicherweise falsch verhalten zum “Schutz betroffener Angehöriger und Freunde”. Wovor denn? möchte man ihm dazwischen rufen, zumal einer dieser Freunde ihn wohl erst kürzlich in die Pfanne gehauen hat. Gleichhin, ob er sich richtig oder falsch verhalten hat, durch diese Interpretation stilisiert der Bundespräsident die Verdickung eines vergünstigten Privatkredites zu einem paternalistischen Heldenbild.
Vorher noch hat der Bundespräsident versucht, uns mit Details zu dem Kredit an sich zu beeindrucken – “über 250 Einzelfragen jedweder Art nach bestem Wissen und Gewissen” habe er beantwortet. Auch hier wieder ein impliziter Anwurf gegen die interessierte Öffentlichkeit: “davon viele, die Einzelheiten aus meinem Privat- und Familienleben betreffen.” Das hat er sich nun wirklich selber eingebrockt.
Er will weiterhin für “volle Offenheit” gesorgt haben, ein wohlklingendes Wortpaar, das radikale Ehrlichkeit suggeriert. Die kann sich nach allgemeiner Lebenserfahrung kein Politiker leisten, folgerichtig schränkt Wulff seinen Offenbarungseid im Anschluss ein, sie gilt hier nur “im Hinblick auf die Finanzierung unseres Einfamilienhauses”. Er spricht zwar “alle Verträge und alle Konditionen der Geldmarktkredite bei der BW-Bank” an, aber er redet nicht von ihnen. Indem er erzählt, wo er Fragen beantwortet hat, muss es nicht darum gehen, wie er sie beantwortet hat, inhaltlich bleibt die Rede bis zum Schluss leer. “Alle Auskünfte sind erteilt worden”, nur leider nicht von ihm und nicht vor laufender Kamera. Die fraglichen Antworten liegen irgendwo aus, es bestünde auch nur “gelegentlich” Interesse daran – Wulff sieht sich nicht in der Bringschuld. Im Ohr bleibt der auffallend verscherbelte Satz, es sei “vom Bankgeheimnis (…) umfassend befreit worden”: Kein verräterisches “Ich” zu finden, schon gar nicht ein “Ich musste”.
Es folgt ein dröger Allgemeinplatz zur Wichtigkeit der freien Presse, als hätte die jemand in Abrede gestellt. Der zustimmungsheischende Aphorismus dient ihm als Träger für eine erschütternde Botschaft: er möchte den Anwesenden verdeutlichen, dass es nicht immer leicht sei, die Wahrheit zu sagen. Wulff umschriebt das mit der Schwierigkeit “zwischen Amt und Privatem die erforderliche Transparenz” herzustellen.
Nach der detailverliebten Scheinoffenbarung kommen wir also endlich zum Kern des Vorwurfs: Mag die spröde Piefigkeit, mit der Wulff seiner Bausparkasse Ausfallrisiken ersparen wollte, weggewischt werden können mit einem verdächtigen “Das kann ja mal vorkommen”: Es geht nicht nur um einen unpersönlichen “Geldmarktkredit”, sondern schlimmstenfalls um eine Lüge vor dem Repräsentanten des Souveräns und die bewusste Verdeckung derselben, vor und auch nach der Fragestunde im niedersächsischen Landtag.
Die Umdeutung von Sprache quasi im Vorübergehen ist ein wichtiges Instrument in der inszenierten Unschuld Wulffs. So gesteht er im Folgenden, dass die private Finanzierung seines Einfamilienhauses “irritierend…in der Öffentlichkeit gewirkt hat”. Ein Eingeständnis der Tragweite des Vorfalls ist das nicht, tatsächlich verfehlt er noch mehrfach die tatsächliche Bedeutung seines Fehltritts.
Schließlich sei die erforderliche Transparenz “wie viele von Ihnen auch wissen, nicht immer leicht.” Wulffs Erwartung um Verständnis kann ich leider nicht Folge leisten. Ich halte es durchaus für möglich, dass demokratische Amtsträger einen gebührenden Abstand von Unternehmern und ihren Geldgeschenken halten. Ich wüsste jedenfalls nicht, was daran schwierig sein kann, aber ich bin ja auch kein Bundespräsident. Diese vorgeführte Kumpanei des Publikums bei Wulffs Missetat zeigt rhetorische Manipulation at it’s lousiest. Nicht nur inhaltlich, auch handwerklich geht das voll unter die Gürtellinie.
Immerhin lassen die folgenden Sätze eine Hoffnung auf Demut zu: “Das hätte ich vermeiden können und müssen. Ich hätte auch den Privatkredit dem niedersächsischen Landtag damalig offenlegen sollen.” Doch der Konjunktiv war nur der erste Streich, und ein zweiter folgt sogleich: “Das war nicht geradlinig”, sagt er, und das tue ihm leid. Er schafft es damit, sein dringend fälliges Eingeständnis auf eine Charaktereigenschaft zu beschränken, die wir dem geborenen Schwiegersohn gar nicht in Abrede stellen wollen. Im vorliegenden Zusammenhang steht diese rhetorische Stromlinienform politischen Leerformeln nahe wie dem inhaltslosen “Markenkern” der FDP oder einem dahingemurmelten “nun gemeinsam nach vorn schauen”.
“Ich sehe ein, nicht alles was juristisch rechtens ist, ist auch richtig.” bilanziert Wulff. Auch hier nutzt der Bundespräsident die tragende Kraft von Allgemeinplätzen, mit einer Behauptung, der man inhaltlich gerne zustimmt: dass rechtlich Erlaubtes und ethisch Empfohlenes nicht deckungsgleich sind. Was die verstockten Juristen da mit ihren Normen treiben, verstehen wir armen Bürger eh kaum, schwingt da leise mit. Mit dieser Aussage geht der eigentlich wichtigere Teil des Satzes, nämlich die implizite Behauptung, Wulff habe sich rechtlich einwandfrei benommen, im emphatischen Kopfnicken der Zuhörer unter.
Werfen wir einen kurzen Blick darauf, was vorliegt: Wulff hat als Ministerpräsident einen verbilligten Kredit von einem Unternehmerpärchen angenommen, das gern in der hohen Politik mitmischt. Zwar muss man dem Bundespräsidenten zugute halten, dass er nicht weiter auf die müßige Unterscheidung zwischen formeller und inhalticher Unwahrheit eingeht; ein Schlachtfeld freilich, das er auch nicht als Sieger verließe. Juristisch einwandfrei, wie ihm etwa auch der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Altmeier im Deutschlandfunk sekundiert, ist die ganze Geschichte damit noch lange nicht, auch die Sachlage ist ungeklärt.
Dass Wulff schließlich zu “keinem Zeitpunkt” in einem seiner öffentlichen Ämter einen unberechtigten Vorteil gewährt habe, müssen wir ihm schlicht und einfach glauben. Über Details zu den fraglichen Beziehungen und über mögliche Beweggründe für die Wohltaten schweigt er sich aus. Meine Freunde jedenfalls würden mich nicht in einem Spiegel-Interview ohne Not in die Pfanne hauen. Nachdem sich Wulff derart durch die Vorwürfe laviert hat, ist man nur ungern zu weiterem Vertrauensvorschuss bereit. Vorwürfe, nach denen er etwa Geerkens unberechtigt auf Dienstreisen mitgenommen haben soll, werden sich aufgrund der intransparenten Einladepraxis zu den Wirtschaftsdelegationen möglicherweise nie ganz ausräumen lassen. Da stärkt es das Vertrauen der Bürger nicht, wenn Angela Merkel dem Staatsoberhaupt einen Blankoscheck auch für zukünftige Vorwürfe ausstellt.
Die Debatten über das Geschehene beschädigten das Amt des Bundespräsidenten, ist von prominenter Stelle zu hören. Finanzminister Schäuble möchte die Diskussion um diese Peinlichkeit abstellen, indem er freie Berichterstattung zur Königsbeleidigung stilisiert. Wirklich beendet werden kann diese Farce nur, wenn klar ist, dass das Verhalten um den Amtsträger selbst Person und Amt des Bundespräsidenten beschädigt. Nur wer diesen Schaden tatsächlich wieder gutmachen möchte, kann “das Amt auch in Zukunft gewissenhaft und mit ganzer Kraft ausfüllen.”
Ganz Silberrücken und mit ernstem Blick schließt Wulff mit der Betonung seiner Verantwortung für Deutschland, für Europa und die Welt. Wer hat die denn plötzlich auf die Bühne gebeten? Wenn wir abschließend hinter die Kulisse der großen Worte Wulffs blicken, die er mit ernster Miene, der ganze Mann zerknirschte Fassade, vorgetragen hat, sehe ich nur eines: Einen Herrscher, der sich seiner Verantwortung um einen integren Lebenswandel und um die Gefahr der Verstrickung von Amt und Person nicht bewusst ist. Wo es ihm möglich ist, laviert er, interpretiert um und nutzt billige rhetorische Tricks, um die Zuhörer auf seine Seite zu ziehen. Schuldeingeständnis, Reue, gar Demut kann man lange suchen – er gelobt auch nicht, sich zu bessern: Er hat ja nichts falsch gemacht!
Er steht damit in einer langen Tradition Politiker, die nicht merken, wann sie verloren haben oder nicht einen Moment lang Schwäche gestehen können. Es bleibt abzuwarten, ob Wulff darüber stolpern wird, ähnliches haben schon ganz andere vor ihm ohne Blessuren überstanden. Für mich allerdings bleibt ein Politiker, der sich arrogant aus der Verantwortung stehlen möchte um an der Macht bleiben zu können, jedenfalls kein legitimer demokratischer Herrscher, sondern höchstens ein schwitziges Herrchen.
“Guten Tag meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sie alle wissen, dass in den vergangenen zehn Tagen über Vorgänge aus meinem Privatleben breit berichtet worden ist. Sie betreffen die Zeit vor meiner Amtszeit als Bundespräsident und haben eine sehr kritische Kommentierung gefunden. Ich habe das Bedürfnis, mich auch persönlich zu diesen Vorgängen zu äußern.
Alle Fragen zu den Vorgängen nehme ich sehr ernst und habe deshalb für volle Offenheit im Hinblick auf die Finanzierung unseres Einfamilienhauses gesorgt, sowohl, was den Privatkredit anbelangt als auch was alle Verträge und alle Konditionen der Geldmarktkredite bei der BW-Bank anbelangt. Alle Auskünfte sind erteilt worden, auch zu Konditionen. Vom Bankgeheimnis ist umfassend befreit worden.
Außerdem habe ich die Ferienaufenthalte bei Freunden offengelegt die Dokumente liegen seit Montag bei einer dazu beauftragten Rechtsanwaltskanzlei aus und es ist ja gelegentlich auch Einsicht genommen worden. Bis heute habe ich über 250 Einzelfragen jedweder Art nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet, davon viele, die Einzelheiten aus meinem Privat- und Familienleben betreffen.
Ich äh weiß und finde es richtig, dass die Presse- und Informationsfreiheit ein hohes Gut ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft, das bedeutet gerade für Amtsträger jederzeit die Wahrnehmung ihrer Aufgaben vor der Öffentlichkeit zu erläutern und gerade auch im Grenzbereich zwischen Dienstlichem und Privatem, zwischen Amt und privat die erforderlich Transparenz herzustellen. Das ist, wie viele von Ihnen auch wissen, nicht immer leicht, gerade wenn man an den Schutz betroffener Angehöriger und Freunde denkt, aber es ist eben notwendig, denn es geht um Vertrauen um mich und meine Amtsführung. Mir ist klar geworden, wie irritierend die private Finanzierung unseres Einfamilienhauses in der Öffentlichkeit gewirkt hat. Das hätte ich vermeiden können und müssen. Ich hätte auch den Privatkredit dem niedersächsischen Landtag damalig offenlegen sollen. Das war nicht geradlinig, und das tut mir leid. Ich sehe ein, nicht alles was juristisch rechtens ist, ist auch richtig. Ich sage aber auch deutlich: Zu keinem Zeitpunkt habe ich in einem meiner öffentlichen Ämter jemandem einen unberechtigten Vorteil gewährt, persönliche Freundschaften sind mir auch menschlich wichtig, sie haben aber meine Amtsführung nicht beeinflusst, dafür stehe ich.
Ich bedaure, das ich äh mich von meinem Sprecher trennen musste (…) alles erdenklich Gute.
Meine Damen und Herren, ich weiß um meine Verantwortung als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und werde das Amt auch in Zukunft gewissenhaft und mit ganzer Kraft ausfüllen, denn wir stehen vor großen Aufgaben in unserem Land, in Europa und in der Welt, und ich will und werde meinen Beitrag dazu leisten, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen dafür bitte ich die Bürgerinnen und Bürger auch zukünftig um ihr Vertrauen.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen unabhängig von dieser Erklärung ein gesegnetes Weihnachtsfest ein gutes Jahr 2012, wir werden auch in diesem Jahr 2012 weiterhin gut zusammenarbeiten, so hoffe ich doch, vielen Dank.”
CC-BY-SA Lukas Grasskamp