Matthias Schrade ist von Beruf Finanzanalyst. Schrade wirkte am piratigen Wirtschaftsprogramm mit und ist Bundesvorstandsmitglied mit viel Erfahrung am Finanzmarkt. Im Interview mit Michael Renner, J2EE-Architekt bei einem Online-Broker, spricht er über die Finanztransaktionssteuer sowie Risiken und Chancen eines Alleingangs der Euro-Länder.
Flaschenpost: Matthias, die Finanztransaktionssteuer ist seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 immer wieder im Gespräch. Nun liebäugelt Frankreich damit, auch Frau Merkel hat sich dafür ausgesprochen, den Handel mit Finanzprodukten zu besteuern. Was versprechen sich die Befürworter von der Einführung einer Finanztransaktionssteuer?
Matthias: Zum Einen verspricht man sich natürlich, wie bei jeder Steuer, eine zusätzliche Einnahmequelle. Hier wird ja auch gerne damit argumentiert, die Banken an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen. Zum Anderen soll die Finanztransaktionssteuer die Spekulation begrenzen.
Flaschenpost: Ein Teil der Befürworter zielt also auf zusätzliche Einnahmen für den Fiskus. Ein anderer Teil will mit der Besteuerung eine Entschleunigung an den Finanzmärkten erreichen. Welche Gruppe wird Recht behalten, falls die Steuer kommt?
Matthias: So wie die aktuell diskutierte Form der Finanztransaktionssteuer aussieht – keine von beiden, wie ich fürchte. Um das zu erklären, muss ich jedoch ein wenig ausholen.
Fangen wir mit dem zweiten Punkt an, der erhofften Entschleunigung der Finanzmärkte. Da selbst eine Finanztransaktionssteuer in – auf den ersten Blick – sehr geringer Höhe von 0,05 bis 0,1 Prozent die minimalen Margen der sogenannten Daytrader schon mehr als auffrisst, wird sich das Handelsvolumen an den Märkten drastisch reduzieren. Je liquider ein Markt aber ist, desto geringer sind die Kursausschläge und desto weniger leicht lassen sich Kurse beeinflussen.
Mit anderen Worten: Eine Finanztransaktionssteuer führt dazu, dass die „echten“ Spekulanten, also beispielsweise Hedge Fonds, bei gleichem Mitteleinsatz erheblich stärkere Kursausschläge als bisher auslösen können. Die Macht der Big Player am Kapitalmarkt wird daher zunehmen und damit auch die Gefahr heftiger Kursausschläge.
Flaschenpost: Und wieso glaubst du, dass auch die höheren Einnahmen ausbleiben?
Matthias: Es wird zusätzliche Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer geben – jedoch deutlich geringere als prognostiziert, wie Beispiele aus anderen Ländern zeigen. Dafür werden aber andere Steuern zurückgehen. Beispielsweise die Abgeltungssteuer von Anlegern und die Unternehmenssteuer seitens Banken und anderen Finanzunternehmen durch deren geringere Gewinne, aber auch die Lohn- und Einkommensteuer durch den Wegfall von Arbeitsplätzen in der Finanzbranche. Unter dem Strich dürfte das Ganze ein ziemliches Null-Summen-Spiel werden.
Flaschenpost: Die USA und England sind gegen die Steuer, die Länder auf dem Kontinent sind mehrheitlich dafür. Kritiker fürchten eine Schieflage des Marktes, falls die Länder der Euro-Zone, wie von Frau Merkel favorisiert, die Finanztransaktionssteuer einführen und andere nicht. Wandern Gelder für Investitionen tatsächlich wie vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der FDP befürchtet nach London oder an die Wall Street ab?
Matthias: Das ist ein weiteres Problem. Geld kann heute per Mausklick dorthin bewegt werden, wo ein Anleger es haben will. Ob ich eine Aktie in Frankfurt, London oder Timbuktu kaufe, macht da kaum einen Unterschied. Vor allem große Investoren können ihre Handelsaktivitäten sehr leicht überall auf dem Globus abwickeln. Insofern ist die Befürchtung durchaus berechtigt.
Flaschenpost: Die Wallstreet und die City of London tragen viel zur Wirtschaftskraft der USA bzw. Englands bei. Der Finanzplatz Frankfurt ist dagegen vergleichsweise unbedeutend; in Deutschland erwirtschaften produzierende Unternehmen den Löwenanteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Kann eine Finanztransaktionssteuer für Deutschland und andere Euro-Staaten richtig und hilfreich sein, während die USA und England tatsächlich massive Nachteile davon hätten?
Matthias: Eine Finanztransaktionssteuer in der aktuell diskutierten Form einzuführen wäre nach meiner Ansicht für jedes Land schädlich. Die Größe des Finanzplatzes spielt dabei eine untergeordnete Rolle – im Gegenteil: Je kleiner eine Börse, desto leichter lassen sich die Kurse aufgrund des geringeren Handelsvolumens durch Spekulanten manipulieren und desto wahrscheinlicher ist das Abwandern von Anlegern. So gesehen wäre der Schaden für Deutschland mit dem vergleichsweise unbedeutenden Finanzplatz wahrscheinlich größer, wobei andere europäische Länder mit noch schwächeren Börsen noch stärker betroffen wären.
Flaschenpost: Der Aktienkurs eines Unternehmens wird von vielen Faktoren bestimmt. Neben Umsatz- und Gewinnzahlen geht die allgemeine Stimmung an den Börsen und – ganz nach der reinen Marktlehre – auch Angebot und Nachfrage in die Preisbildung ein. Können die Kurse von DAX-notierten Unternehmen ins Bodenlose stürzen, wenn die Investoren Länder mit Finanztransaktionssteuer meiden?
Matthias: Das wird sicherlich nicht passieren. Der Effekt wäre vielmehr, dass die Kursausschläge insgesamt zunehmen. Eine reelle Gefahr sehe ich allerdings bei Firmen, die ankündigen, eine Kapitalerhöhung durchführen zu wollen. Durch den erhöhten Einfluss von Spekulanten kann ein gezieltes Drücken des Kurses leicht dazu führen, dass die neuen Aktien sehr viel billiger ausgegeben werden müssen, als dies sonst der Fall wäre – faktisch werden die Unternehmen dadurch für Spekulanten erpressbar.
Dieses Problem trifft mittelständische Firmen aber sehr viel stärker als DAX-Konzerne. Denn während bei denen auch nach Einführung einer Finanztransaktionssteuer noch ein relativ reger Aktienhandel stattfinden dürfte, ist die zu geringe Liquidität bei kleineren Aktiengesellschaften schon heute ein Problem bei der Gewinnung von Investoren. Dies wird dazu führen, dass mittelständische Firmen noch stärker als bisher auf Bankkredite angewiesen sind. Die Abhängigkeit von Banken und damit deren Macht wird somit ebenfalls steigen.
Flaschenpost: In Schweden und auch diversen anderen europäischen Ländern gab es ja früher einmal eine Finanztransaktionssteuer. Wie waren die Erfahrungen damit und warum wurde sie wieder abgeschafft?
Matthias: Es gab tatsächlich in vielen Ländern früher schon einmal eine Börsenumsatzsteuer – übrigens auch in Deutschland. Hierzulande wurde sie 1999 abgeschafft, in Österreich im Jahr 2000, in Schweden sogar bereits 1991. Grund dafür waren die enormen Schäden für die Kapitalmärkte, die die Finanztransaktionssteuer dort ausgelöst hatte – während die erhofften Erträge meilenweit hinter den Erwartungen zurückblieben.
Einführt wurde sie 1984, damals versprachen sich die Schweden rund 165 Mio. Euro an Einnahmen. Doch schon in der ersten Woche ging der Handel mit festverzinslichen Wertpapieren um 85 Prozent zurück, der Handel mit Devisen- und Termingeschäften sogar um 98 Prozent. Unter dem Strich nahm die schwedische Regierung nie mehr als 9 Mio. Euro im Jahr mit der Transaktionssteuer ein. Die dramatischen Auswirkungen auf das Handelsvolumen sind umso bemerkenswerter, als die Märkte damals noch nicht so vernetzt wie heute waren und es den Internethandel noch gar nicht gab.
Flaschenpost: Gelegentlich wird eine Untergrenze der Besteuerung diskutiert. Der private Aktienhandel mit kleinen Beträgen bzw. Stückzahlen bliebe damit unbesteuert, belastet würden nur große Handelsvolumen. Wie durchführbar ist solche Ausnahmeregelungen?
Matthias: Schwierig bis unmöglich. Zum einen lassen sich große Orders ja problemlos in viele kleine Scheiben aufteilen, was faktisch heute schon ständig passiert. Zum anderen explodiert die Bürokratie rund um die Abrechnung geradezu – was auch bei kleinen Orders zusätzliche Kosten auslösen würde. Ich wüsste nicht, wie eine solche Ausnahmeregelung mit vertretbarem Aufwand realisiert werden sollte.
Flaschenpost: Haben wir Piraten eine offizielle Position zur Finanzmarkttransaktionssteuer?
Matthias: Nein, konkret zur Finanztransaktionssteuer haben wir bisher keine Position. Allerdings ließe sich aus unserem Grundsatz-Programmpunkt „Bekämpfung von Monopolen“ ableiten, dass wir nicht wollen, dass die Big Player unter den Banken und Spekulanten noch mächtiger werden – was durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in der aktuell diskutierten Form aber der Fall wäre.
Ich persönlich hoffe, dass sich die Piraten nicht von der verlockend klingenden, leider aber rein populistischen Idee einer Strafexpedition gegen die „bösen Banken“ blenden lassen. Die werden laut Experten ohnehin nur zu 5 Prozent von der Finanztransaktionssteuer getroffen. Lesenswert ist dazu der Artikel „Die Robin-Hood-Steuer“ in der FAZ, der auch meine Einschätzung bestätigt, dass eine Entschleunigung der Märkte nicht erreicht wird – im Gegenteil.
Es gibt deutlich zielführendere Wege, dem Treiben der Banken einen Riegel vorzuschieben, etwa durch eine Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften und mehr Transparenz auf den Finanzmärkten.
Flaschenpost: Vielen Dank, Matthias, für dieses Interview.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.