von Nadine Englhart (@Impertinenzija)
Es gibt innerhalb der Piratenpartei hin und wieder Diskussionen, angesichts derer ich mich frage, wieso es keinen Lieferservice für eßbare Tischkanten und elektronische Fazialpalmierer gibt. Beispiel? Liquid-Feedback-Thema #1933. Dort wird mit mehr oder weniger großer Ernsthaftigkeit diskutiert, ob der gemeine Pirat in unserer Parteisatzung im Zuge der Geschlechtergerechtigkeit “Piratin/Pirat”, “Piratin”, “Pirat/in”, “Pirat*”, “das Pirat” oder doch lieber “Eichhörnchen” genannt werden soll. All diesen Vorschlägen gemeinsam ist das Problem ihrer Initiatoren mit dem generischen Maskulinum, also mit dem allgemeinen deutschen Sprachgebrauch. Er würde den weiblichen und sonstigen Eichhörnchen-Bevölkerungsanteil viel zu wenig würdigen und müsse deshalb ausgemerzt werden, wo immer er verwendet würde, und zwar zugunsten von sperrigen, irritierenden, vogelwilden und einfach nur schmerzauslösenden Sprachkonstruktionen.
Vom unbedingten Verbesserungswillen der Vorschlagenden bin ich überzeugt, doch gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von gut gemacht. All diese Vorschläge verkomplizieren die Satzung und messen der Benennung von Mitgliedern eine Bedeutung zu, die an der ursprünglichen Aufgabe einer Satzung völlig vorbeigeht. Diese ist von ihrer Intention her weder eine Charta noch ein Programm. Vielmehr sollte eine Satzung in möglichst einfacher, klarer und rechtsverbindlicher Sprache die internen Rechtsverhältnisse einer Organisation – egal ob Stiftung, Partei oder Verein – regeln. Hierbei muß kenntlich gemacht werden, für welchen Personenkreis diese Satzung Gültigkeit haben soll, und das sind – Überraschung! – die Parteimitglieder. Für sie müssen Platzhalter gefunden werden, die in möglichst knapper und einheitlicher Form klarmachen, wer sich gemeint fühlen soll. Jegliche Vergenderung, jede Eichhörnisierung, kurz, jeder vogelwilde Störfaktor trägt dazu bei, daß die sprachliche Klarheit, Verständlichkeit und Eindeutigkeit einer Satzung leidet.
Ein Grund für all diesen Aufwand scheint ohnehin nur darin zu liegen, daß weiblichen Piraten zu verstehen gegeben wurde, daß sie sich nicht als “Piratin” bezeichnen dürften. Dies wurde wohl von irgendwelchen Troglodyten geäußert, die anscheinend der Auffassung waren, und wohl auch noch sind, daß eine Parteisatzung auch in Bezug auf die Eigendefinition und Selbstbezeichnung von Mitgliedern irgendwie bindend und verpflichtend wäre – und jede Zuwiderhandlung ein PAV nach sich ziehen müßte… Falls diese Sprüche ernstgemeint gewesen sein sollten, würde ich doch darum bitten, diesen kleinkarierten Spießern ein PAV auf den Troglodytenpelz zu brennen. Ach, das ist genauso blöd wie die Begründung des Troglodyten? Eben!
Auch für eine andere Gruppe schäme ich mich fremd: eine aggressive und sehr lautstarke „pro Frauenquote“-Bewegung, die über das Vehikel „vergenderte Satzung“ einen stärkeren Zustrom ihres Klientels in die Piratenpartei erzeugen möchte. Gemeint sind weiße MittelschichtsakademikerInnen, die ihre günstigen Karrierechancen noch etwas weiter zu veredeln wünschen, und ihre diesbezüglichen Ansprüche selten klar oder direkt formulieren. Sie tun vielmehr so, als würden sie im Namen der „Unterdrückten“ und „Geknechteten“ sprechen, denen die angestrebten Veränderungen angeblich nur nützen könnten. Dies aber bitteschön erst, wenn die Aufsichtsräte und Gremien der börsennotierten Unternehmen mit genügend weißen MittelschichtsakademikerInnen besetzt sind, Zitat:
Ja, eine Quote für Aufsichtsräte und Vorstände würde direkt nur einen sehr kleinen Personenkreis betreffen. Aber wenn man mit einem relativ einfachen Mittel in einem kleinen Kreis für mehr Gerechtigkeit sorgen kann, dann sollte man das tun. Zumal es sich eben um eine Gruppe mit besonders großer Symbol- und damit auch Vorbildwirkung handelt.
(Quelle: https://schwarzblond.wordpress.com/2012/06/04/warum-unsere-wirtschaft-eine-geschlechterquote-braucht/)
Um dies zu erreichen, schreiben sie sich in umständlichen, gewundenen, geradezu sprachmörderischen Endlostexten, selbstredend in „gerechter Sprache“ und unter selbstgerechter Verdammung aller Gegenpositionen, die Notwendigkeit ihres eigenen Schaltens, Waltens und Agitierens schön, um letztendlich zu dem Schluss zu gelangen, dass sie in dieser unterdrückerischen Gesellschaft kaum atmen, geschweige denn leben könnten. Weshalb die Gesellschaft sich – zuerst und in allererster Linie sprachlich – gefälligst ihren Bedürfnissen anzupassen hätte, wozu ganz viele Binnen-I, die Verwendung von wissenschaftlichen Fachbegriffen und ungefähr zehn kompliziert-verquaste Neologismen pro Quartal zu gehören scheinen.
Das hierbei auf- und nahezu unersättlich scheinende Abgrenzungbedürfnis dieser Damen (und Herren) nach allen Seiten kann man durchaus als „abgehoben“ oder sogar als „Standesdünkel“ bezeichnen. Sprache ist ihnen nur Mittel zum Zweck der Durchsetzung ihrer Agenda. Klarheit, Verständlichkeit oder gar Schönheit haben darin in der Regel nichts verloren: Ach, wenn die Sprache sich nur änderte, würde sich über kurz oder lang auch die Gesellschaft ändern. Deshalb müsse dem dummen Pöbel eindrücklich klargemacht werden, wie verwerflich sein derzeitiger Sprachgebrauch sei.
Meine Auffassung von Sprache ist eine andere, nämlich, daß sie die Gegebenheiten innerhalb einer Gesellschaft grundsätzlich erfaßt, zugleich aber auch deren Erschütterungen sichtbar macht, wie eine Art Seismograph. Jede Veränderung des Bestehenden schlägt sich über kurz oder lang auch in der Sprache nieder. Sobald eine solche Veränderung nur überzeugend, ja, zwingend genug ist, schlägt sie Wellen im sprachlichen Kollektiv, pflanzt sich unaufhaltsam darin fort, bis alle gesellschaftlichen Bereiche vollständig von ihr durchdrungen sind. Veränderungen innerhalb einer Sprache oder Sprachfamilie können durchaus auf gravierende gesellschaftliche Umwälzungen hindeuten, aber nur in den seltensten Fällen erzwungen werden, ebensowenig ein sprachlicher Stillstand, wie ihn etwa die Sprachreinbewahrer und vehementen Gegner der Anglizismen propagieren.
Insofern ist jeder Versuch, gesellschaftliche Gegebenheiten per verordneter, moralinsauer-ideologisch gefärbter Sprache an ein herbeigeträumtes Idealbild anzupassen, für mich in etwa so ambitioniert, wie einen gewaltigen Strom künstlich in ein neues Bett umleiten zu wollen: Man kann es versuchen, sollte dabei aber so ehrlich sein, zuzugeben, dass dies nur möglich sein wird, wenn man bereit ist, so massiv und schmerzhaft in Bestehendes einzugreifen, dass man durchaus von „gewalttätigem Vorgehen“ sprechen kann. Ob eine solche Aktion nachhaltig ist, kann man ohnehin nicht einschätzen. Häufig stellt man nach einer solchen „Umerziehung“ nämlich fest, dass die sprachlichen Muster wieder in die alten Gleise zurückspringen, sobald der staatlich oder sonstwie auferlegte Druck gelockert wird oder ganz wegfällt, auch nach mehreren Generationen und das hat gute Gründe.
Aufgezwungene Sprachanpassungen werden häufig als künstlich empfunden, sind nicht mit dem Sprachgefühl von Menschen zu vereinbaren, sie erzeugen Mißbehagen und Widerstand. Dieser äußert sich in den seltensten Fällen bewusst, er gärt überwiegend im Verborgenen. Ein ebenso schockierendes wie amüsantes Beispiel ist etwa die Beobachtung, daß Wortneuschöpfungen, eingeführt im Sinne der „political correctness“, ziemlich schnell die Bedeutung und den Beleidigungsgehalt ihres in Ungnade gefallenen Vorgängerwortes annehmen, weil die zugrundeliegenden Denkweisen sich nicht geändert haben. Wenn man sich die Evolution des Wortes „Ausländer“, über „ausländische Mitbürger“, hin zu „Menschen mit Migrationshintergrund“ so betrachtet, ahnt man, daß die Überwindung von Mißachtung gegenüber „Fremden“ wohl etwas mehr Aufwand bedarf, als den Einsatz von von staatlich verordneten Sprachregelungen. Ich glaube generell nicht an Zwang, sondern an Überredung und meine, daß Verhaltensänderungen erst dann aufgegriffen werden, sobald sich aus ihnen spürbare Vorteile ergeben.
Ich hoffe sehr, daß meine Überredungskunst dabei hilft, daß die genannten Initiativen auf einem Bundesparteitag nicht den Hauch einer Chance haben werden, selbst wenn sie im Liquid Feedback die nötigen Hürden nehmen sollten. Eine derartige Änderung wäre für unsere Satzung in etwa so nützlich, wie darin zu erwähnen, daß alle Mitglieder der Piratenpartei ein Gehirn haben müssten, also überflüssig. Sie hätte darüber hinaus den Nachteil, daß nur weiteren Begehrlichkeiten Tür und Tor geöffnet würde, und es steht zu befürchten, daß wir künftig auf jedem Bundesparteitag mit derartigen Satzungsänderungsinitiativen beglückt würden, weil einer oder mehreren Splittergruppen die Bezeichnung für die Mitglieder oder irgendeine andere Kleinigkeit in der Formulierung nicht in den Kram paßt.
Noch weniger würde mir schmecken, wenn wir uns denjenigen, die meinen, bestimmte Denkweisen per Änderung der Sprache herbeiführen und dauerhaft verankern zu können, politisch annäherten und so noch mehr Personen dieses Schlages in die Partei zögen. Dieser Umstand dürfte aber kaum dazu geeignet sein, Zustimmung oder gar Rückhalt in der Bevölkerung zu erzeugen, die solche Unterfangen völlig zu Recht für weltfremde Symbolpolitik hält, weshalb ich Troglodyten, selbsternannte Feministinnen und Spracherneuerer innerhalb unserer Partei gerne da halten würde, wo sie in meinen Augen hingehören: in der Marginalität.