Bund-Länder-Kommission zur Aufarbeitung der Neonazi-Mordserie
In dieser Woche beschloss das Kabinett eine Bund-Länder-Kommission zur politischen Aufarbeitung der Neonazi-Mordserie. So sollen nun, der frühere Bundesanwalt am Bundesgerichtshof Bruno Jost (Vorschlag der Grünen), der ehemaliger Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD), der Münchner Strafrechtsexperte Eckhart Müller (durch die FDP
vorgeschlagen) und Hamburgs ehemaliger Innensenator Heino Vahldieck (CDU), die Verfehlungen um die Ermittlungsblamage im Fall der Zwickauer Neonazizelle beleuchten.
Was hier präsentiert wird, kann nichts anderes sein, als eine politisch korrekte Imagekommission zur pauschalen Befriedigung des öffentlichen Interesses. Dies zeigt alleine die Benennung von Körting und Vahldieck. Zwei Exinnensenatoren, die genau wissen, dass Vorgänge, die innerhalb der Landesbehörden des Verfassungsschutzes verbrochen werden,
nur durch eine radikal neue Transparenz offen zu legen wären. Eine Transparenz, die politisch gar nicht gewollt ist – und zudem jeglicher historisch gewachsener Kultur des deutschen Verfassungsschutzes widerspricht.
Um den testosteronschwangeren Sicherheitsbehördenegoismus aufzubrechen, ist weit mehr notwendig als ein Kuschelquartet, das die Außenhaut krault. Um das Wesen von BfV, BND, BKA sowie ihre Landes- und Tochterbehörden zu ändern, braucht es eine Revolution. Und diese Revolution ist notwendig, wenn persönliche wie politische Seilschaften
aufgebrochen, rechtslastige Strukturen zerstört, Ermittlungsdaten geteilt, schlicht Offenheit hergestellt werden soll.
Über 50 Jahre nach Gründung der meisten deutschen Sicherheitsbehörden galt die Verabredung eines gemeinsamen “Informationsboards” zur Terrorbekämpfung und eine damit verbundene gemeinschaftliche Informationsgewinnung und Verarbeitung nach den Anschlägen auf das WTC 2001 noch als „Meilenstein“. Was daraus geworden ist, hat die
“Schubladen-Zu-Praxis” bei den Ermittlungen im Fall „Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe“ gezeigt.
Schon alleine aufgrund des behördlichen Daten-Egoismus ist die Vorratsdatenspeicherung eine Farce. Was bringt schon ein Vorrat, wenn vier von fünf Hungernden keinen Zugang haben. Beziehungsweise noch nicht einmal wissen, in welcher Kammer der Vorrat liegt. Nicht nur BKA, BND und BfV köcheln ihr eigens Süppchen, selbst die einzelnen Landeskriminalämter sowie die Landesämter des Verfassungsschutzes erachten ermittelte Daten als Eigentum der eigenen Landesbehörde, sitzen darauf wie der Hund vor seinem Knochen und dealen damit wie Mr. Snow am Frankfurter Hauptbahnhof. Hinzu kommt, dass es sich hier auch um Daten handelt, die nach dem Grundgesetz nur einem gehören: dem, der sie erzeugt und nur deshalb nicht schützen kann, weil er gar nicht weiß, dass man sie ihm stiehlt.
Es bedarf anscheinend erst einer mordenden Zwickauer Neonazi-Zelle, um das zweifelhafte Vorgehen der Sicherheitsbehörden mal wieder in die Schlagzeilen zu bringen. Ein Vorgehen, welches, wenn auch nicht in seiner ganzen Dimension, hinlänglich bekannt ist. Auch bräuchte es keine linke Bespitzelungsaffäre, um zu wissen, dass man die rechte Sehschwäche des Verfassungsschutzes stets im Auge behalten sollte. Das alles sind gesetzte Variablen, die sich nur dann ändern, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Sicher jedoch nicht durch eine fallbezogene Kommission, die einer Scheinmoral geschuldet ist.
Wer was wann ermittelt hat – was welcher V-Mann wem erzählte – wohin und warum Gelder flossen – welche Ermittlungsergebnisse in welchem Aktenschränkchen weggeschlossen wurden und welche zu welchem Zeitpunkt weitergegeben, soll tatsächlich ein (hoffentlich flotter) Vierer mit Kommissionsstatus ermitteln. In einem Umfeld, in dem die Einheit für Teamspirit Schweigen ist. Sind wir optimistisch: sind wir gespannt.
Sind wir realistisch, vertrauen wir auf eine Vision: Am Horizont taucht eine Armada auf. Piraten, die sicher auf den Wogen wahrer Veränderung tänzeln, voran gepeitscht durch den Sturm der Transparenz, allzeit bereit die alten Philosophien zu entern. Ahoi!
Gastartikel von Jürgen Krey