Ein Gastartikel von Thomas Barth
Der „Spiegel“ brachte in seiner ersten Juni-Ausgabe (23/2012) das Anti-Piraten-Pamphlet Das maschinenhafte Menschenbild der Piraten. Über Netzpolitik sagt der Text von Matthias Matussek fast nichts, über seine Ressentiments gegen die Piratenpartei alles.
Der „Spiegel“ scheint damit eine Kampagne gegen die Piratenbewegung fortzusetzen, die schon Beppe Grillo, „Italiens erfolgreichsten Politik-Piraten“, als bloggenden Clown bezeichnete, der schreie „wie einst Benito Mussolini“ (Nr. 20/2012). Das Flaggschiff der Bertelsmann-Printsparte betreibt damit auch eine Stigmatisierung der Hacker- und Netzkultur, als deren Stellvertreter dienen die Piraten.
Das Anti-Piraten-Pamphlet
„Spiegel“-Kolumnist Matussek gilt als scharfzüngiger Kommentator und die Präsentation des Textes unterstützte ihn visuell. Links oben auf der Doppelseite war das Großbild einer (in diesem Kontext eines Pamphlets über eine angebliche Jugendrevolte) als albern wirkendend dargestellten, sehr jungen Piratin zu sehen, mit riesiger roter Plastiksonnenbrille hinterm Laptop mit Piratenaufkleber.
Links oben auf der Doppelseite war das Großbild einer wirklich albern wirkenden Piratin zu sehen, Alter zwischen 14 und 16, mit riesiger roter Plastiksonnenbrille hinterm Laptop mit Piratenaufkleber. Darunter bekennt Matussek einleitend, er wäre verstört von der Beschäftigung mit den Piraten. Am meisten verstöre ihn „die Bereitschaft vieler Meinungsmacher zur Regression“. Dann verpackt er die erste Beleidigung in eine Selbstkritik: „Was müssen wir mit unserem Latein am Ende sein, wenn wir die Zukunft in die Hände dieser mal ratlosen, mal zynischen Rasselbande legen wollen.“
Matussek postuliert, die Piratenbewegung sei eine neue Jugendrevolte, um seine eigene Behauptung dann wortreich zu widerlegen: „Was für ein Trugschluss“. Ein Kasten in fetten roten Lettern hebt hervor: „Ein Aufstand aus der Welt der Wohlstandsverwahrlosten, die alles umsonst haben wollen.“ Am meisten empört Matussek daher der „Streit ums Urheberrecht“, denn „ein ganzer rechtlicher Rahmen soll korrumpiert werden, um diesen Wohlstandsteenager zu schützen, der den neuesten Lady-Gaga-Song kostenfrei haben will.“
Unfair sei, dass im Piraten-Kid meist der „idealistische Nerd ohne Taschengeld“ gesehen werde: „Wieso eigentlich?“, fragt Matussek, „könnte er nicht auch ein aufgepumpter Bully sein, der anderen Kindern das Handy wegnimmt?“ Die Piraten seien lächerlich, denn sie nennen sich „Immaterialisten“. Das hat Matussek irgendwo im Internet gelesen und es klingt für ihn „doch stark nach einem dieser kontaktgestörten Spinner aus der US-Soap ‚The Big-Bang-Theory‘ “. Dass Mainstream-Medienmann Matussek das findet, verwundert kaum, denn andere Mainstreamer haben ja besagte Soap eigens zur humorigen Verunglimpfung der Netz- und Nerdkultur kreiert. Die US-Nerds dieser Soap sind aber nicht nur alberne Witzfiguren sondern auch total unpolitisch, der Obrigkeit treu ergeben sowie frei von moralischem Zweifel, wenn sie Atomraketen oder Biowaffen bauen sollen. Die Piraten strafen dieses Wunschbild Lügen und wollen einfach nicht zum stigmatisierenden Stereotyp passen.
Matussek beklagt auch die mangelnde „Achtung vor geistiger Leistung“: „Sie geben sich kapitalismuskritisch, aber ihre Vorstöße zum Urheberrecht sind nichts anderes als Aufstände aus der Welt der Wohlstandsverwahrlosten, die alles umsonst haben wollen“. Er geißelt die Heuchelei der Piraten, die im Netz raubkopieren, aber Jagd auf plagiierende Politiker machen: Plagiatsfahnder seien „die allergehässigsten Jagdgemeinschaften“. Matussek sieht keine besondere Verpflichtung der Machtelite, sich an rechtliche Strukturen ihres eigenen Machtsystems zu halten und er begreift auch nicht den Unterschied zwischen einer Kopie für den Eigenbedarf und einem Plagiat. Möglicher Hintergrund könnte auch sein, das Matusseks Geldgeber vom Bertelsmann-Konzern auch im Internet ihre Milliarden verdienen wollen.
Der Netzaktivist habe, so Matussek, „sowieso das Gefühl, die anderen, die Unwissenden, meilenweit abzuhängen. Und plötzlich schweben Erfindungen wie ‚Liquid Democracy‘ über uns wie bunte Luftballons über einem ewigen Kindergeburtstag und sollen die Welt retten.“ Und die Piraten seien, laut Matussek, voller „Überheblichkeit wie die 68er. Der Unterschied: Damals wurde gelesen, gelesen, gelesen“, und zwar: „Benjamin, Trotzki, Bakunin, Adorno, Reich“.
In der dummen Netzkultur blieben dagegen, will Matussek beobachtet haben, von Büchern nur „Slogans und Klappentexte“, „die dröhnende politische Leere aller Piraten-Verlautbarungen“ verdanke sich der „feuilletonistischen Jagd nach dem neuesten Reiz“, dem „nächsten Ding“, dem „Dada der Netzavantgarde“: Alles sei dumm und auf dem „Theorieniveau des ‚Yps‘-Magazins, das uns erklärte, wie man mit einer Scherbe und einer Paketschnur Feuer macht.“
Perfide Unterstellung: Piraten sind wie Nazis
Weithergeholt wirken Matusseks Versuche, die Piraten in die Nähe von Nazis zu rücken: Den „jungen Netzmenschen“ eigen sei ihr „Mechaniker-Gequatsche von Programmierern“, kritisiert Matussek, Gequatsche, das ihn an das „ontologische Murmeln Heideggers“ erinnere, bei dem viele das Prädikat „Nazi-Philosoph“ mitdenken.
Auch die Postmoderne als im konservativen Feuilleton verpönte Richtung der Philosophie wird mit den Piraten gleichgesetzt, dort wird Matussek deutlicher: „Diese Maschinenmenschen rufen zwar ständig den Tod des Autors aus, aber das tun sie dann doch mit der allergrößten Autoren-Angeberei. Alles, so die Behauptung, sei ein großer Textfluss, der über die Bildschirme ströme, der von Tausenden Autoren stamme und sich nur zufällig verdichte im Einzelnen. Da ist der Gedanke an die völkische Textgemeinschaft nicht weit. Interessanterweise wurde der Urhebergedanke auch während der Nazi-Zeit stark abgewertet – da galt der Autor dann lediglich als ‚Treuhänder des Werkes‘ für die Volksgemeinschaft.“
Dieser Vorwurf ist an die Postmoderne ebenso wenig zu richten, wie an die Piraten. Sonderbar ist vor allem der Publikationsort Matusseks, denn gerade Bertelsmann machte selbst beste Geschäfte als „Treuhänder des Werkes“ unter Goebbels. Zum Beispiel mit dem kriegsverherrlichenden Epos „Flieger am Feind“, 1934 von Goebbels zum „Weihnachtsbuch der Hitlerjugend“ gekürt. Bertelsmann verdiente Millionen Reichsmark, später auch mit Frontlektüre für die NS-Truppen. Matussek tut so, als wisse er davon nichts und fabuliert weiter:
„Ihr Protest, so die Piraten, richte sich gegen die Verwerter, ein Begriff, der eine grauenhafte Konnotation enthält, nämlich die einer selbst nicht kreativen Zwischenschicht, die sich vampiristisch auf der einen Seite am Talent und auf der anderen Seite am (Netz-)Volk gütlich tut. In den Karikaturen der 30er Jahre kam sie als Parasitenbande von jüdischen Krämern, Händlern und Finanzbossen vor.“
Seine „grauenhafte Konnotation“, die mit den Piraten nun wirklich nichts zu tun hat, walzt Matussek breit aus. Er behauptet, Ideen der Piraten gefunden zu haben, die „uns direkt ins Reich der Umerziehungslager“ führen würden, denn sie „wollen die totale Transparenz“, ihr „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ werde „in der Praxis Repressionsapparate und Terror“ gebären und auch „das Begeisterungsfeuer von Halbwüchsigen kann, wie wir von den totalitären Jugendkohorten des vergangenen Jahrhunderts wissen, zu Verheerungen führen.“
So schließt Matussek, leider ohne uns zu sagen, wo er bei den Piraten den „Traum totaler Herrschaftsfreiheit“ und „totalitäre Jugendkohorten“ im Kampf um „totale Transparenz“ usw. gesichtet haben will. Da liegt eine ganz andere Deutung seiner Motivation nahe: Rache im Sinne bzw. Auftrag seiner Brötchengeber.
Piraten bezweifelten die Gemeinnützigkeit der Bertelsmann-Stiftung
Unbeliebt sind die Piraten bei Verwerter Bertelsmann, dem größten Medienkonzern Europas, vor allem aus zwei Gründen. Erstens stellen sie das Urheberrecht zur Diskussion: Das gefällt weder Medienindustrie noch „Spiegel“. War Matusseks Pamphlet im Bertelsmann-Blatt „Spiegel“ die Rache des größten europäischen Urheberrechte-Verwerters Bertelsmann an den Piraten? Denn die hatten nicht nur die Verwerter-Profite bedroht, sondern im NRW-Wahlkampf auch noch Forderungen der Anti-Bertelsmann-Bewegung aufgenommen.
Die NRW-Piraten traten dafür ein, der milliardenschweren Bertelsmann-Stiftung die Gemeinnützigkeit zu entziehen, einem neoliberalen Think Tank, also der hierzulande mächtigsten Lobbyismus-Fabrik mit angeschlossenem Medienimperium. Es geht um viele Millionen jährlicher Steuererleichterungen, die nach Meinung der Kritiker unrechtmäßig an Bertelsmanns „Abteilung für politische Kampagnen“ vergeben würden, da die Stiftung zudem heimlich und illegal Profitinteressen des Konzerns befördere – etwa, wenn für die Privatisierung staatlicher Verwaltungen getrommelt wird, für welche die Bertelsmann-Tochter „Arvato Government Services“ ihre bezahlten Dienste anbiete.