Auch wenn die Piratenpartei gerade mal 6 Jahre alt ist, können ihre Mitglieder schon auf viele “alte” Geschichten zurückblicken. Auf wohl jedem Stammtisch erzählen Altpiraten den staunenden “Neuen” so manche Anekdote aus der Vergangenheit. Und wie das bei Seemannsgarn so ist, wird der überstandene Shitstorm um so größer, je häufiger davon berichtet wird. Die Serverausfälle erscheinen im Rückblick immer noch länger zu dauern und die Anzahl der dabei verschluckten wichtigen Arbeiten übertrifft inzwischen bestimmt das, was derzeit an Dokumenten tatsächlich im Wiki zu finden ist.
Eine dieser oft erzählten Geschichten will ich hier für die Nachwelt aufschreiben: Die Geschichte des Bings. Wer beim letzten Bundesparteitag war, weiß, dass dieser Parteitag in Neubings stattfand. Wer Neubings auf der Landkarte suchte, wird schließlich Neumünster gefunden haben. Warum aber wurde dem Bundesparteitag ein Bings angedichtet, und woher kommt dieser sehr spezielle Piratenhumor überhaupt?
Der Ursprung des Bings liegt in tiefer Vergangenheit, im Frühjahr 2010. Der erste Bundesparteitag dieses Jahres fand in Bingen statt, einem kleinen Weinort am Rhein. Vielen Piraten, die damals dabei waren, stecken die damaligen Schrecken noch heute in den Knochen. Der Start verlief mehr als holprig: das Netzwerk wollte nicht funktionieren, einige Piraten probten ihre Fähigkeiten, den Ablauf mit ständigen GO-Anträgen und trolligen Fragen an die Kandidaten zu bremsen und die Presse zerriss uns wegen des undisziplinierten Ablaufs in der Luft. Aber als der BPT2010.1 nach zwei Tagen zu Ende gegangen war, hatten wir immerhin einen neuen Vorstand gewählt und nebenbei noch über den einen oder anderen Programmpunkt abgestimmt.
Der zweite Parteitag des Jahres fand in Chemnitz statt und die einzige Gemeinsamkeit mit Bingen war das schlechte Netzwerk. Ansonsten war die Lektion aus Bingen gelernt – das Programm wurde zügig abgearbeitet. Als wir nach dem BPT am Sonntag Abend nach Hause fuhren, taten wir das mit einem guten Gefühl. Denn wir wussten noch nicht, was folgen sollte.
Im Mai 2011 sollte der erste Parteitag des neuen Jahres mit Neuwahlen des Vorstandes stattfinden. Als Veranstaltungsort hatte sich Heidenheim durchgesetzt, ein kleiner Ort mit 50.000 Einwohnern an der Grenze von Schwaben und Bayern. Heidenheim ist aber auch ein kleiner Ort, den kaum einer kennt. Viele Piraten fragten “Heidenheim? Wo ist das? Wie heißt das Dings?”. Sehr schnell wurde aus “Dings” dann “Bings”, da sich noch viele Piraten an den Bingener Parteitag im Jahr zuvor erinnerten. Weiter gab es durchaus Befürchtungen, dass Heidenheim zu einem Bingen 2.0 werden könnte. Beim Parteitag selbst war “Bings” dann schon ein stehender Begriff, von Heidenheim sprach niemand mehr. Und anders als in Bingen verlief dieser Parteitag auch weitgehend harmonisch – der dort gewählte Vorstand genoss ein hohes Ansehen.
Doch nach dem Bundesparteitag ist vor dem Bundesparteitag. Der folgende programmatische Parteitag 2011 sollte in Offenbach stattfinden. Ob es daran lag, dass viele Piraten Offenbach nicht von Offenburg unterscheiden konnten, oder eher daran, dass viele Piraten inzwischen Gefallen am Bings gefunden hatten? Die genauen Ursachen sind nicht mehr zu klären, was aber passierte: Piraten und auch die Presse sprachen von Offenbings. Das Bings im Namen sollte auch den positiven Ablauf beschwören, der beim Parteitag in Bings die Piraten begeisterte. Was auch funktionierte – wenn man außer Acht lässt, dass das Netzwerk traditionell langsam war.
Dass der erste Parteitag des Jahres 2012 ebenfalls wieder in einem Bings stattfand, war keine Überraschung mehr. Den Zuschlag erhielt Neubings in Schleswig-Holstein. Das Bings hatte sich inzwischen derart verselbstständigt, dass der geplante Sonderzug, der Piraten aus Bayern und Baden-Würtemberg nach Neumünster, Verzeihung, nach Neubings fahren sollte, Bingsbahn getauft wurde. Leider musste diese Sonderfahrt abgesagt werden, da es nicht genug Voranmeldungen gab. Im Sprachgebrauch überlebt die Bingsbahn dann doch, da die Bahn AG ein überaus attraktives Angebot machte: Call Deutsche Bahn und sage “NEUBINGS!”. Dahinter steckte die Fahrkarte für die Hin- und Rückfahrt zum Bundesparteitag zum Pauschalpreis von 99.-€.
Der nächste Bundesparteitag findet jedenfalls in Bongs statt. Vielleicht aber auch in Ruhrbings oder Pottbings. Bochum wird sich freuen!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.