Seit September 2005 besteht die Möglichkeit, Petitionen in elektronischer Form beim Bundestag einzureichen. Die ersten Jahre wurden die ePetitionen beim Entwickler der Software gehosted – der Edinburgh Napier University. 2008 stand dem Petitionsausschuss dann ein eigenes System zur Verfügung. Das setzte auf phpBB, einer freien Forensoftware auf. Nach fünf Jahren und über 20.000 Petitionen war eine Verjüngungskur notwendig. Jetzt kommt Java auf Linuxservern zum Einsatz.
Der Grundaufbau des neuen Frontends ähnelt dem bisherigen System, da dieser sich prinzipiell bewährt hat und die Systemumstellung
für die ca. 1,4 Mio. Bestandsnutzer somit nur mit einer geringen Umgewöhnung verbunden ist. Das optische Erscheinungsbild basiert auf dem hausinternen Styleguide des Bundestags für Internetauftritte und lässt somit auch eine optische Verbindung zu Vorgängersystem erkennen.
Es gibt wie bisher eine Startseite, über die der Nutzer neben aktuellen Infos direkt auf die Kernbereiche des Systems zugreifen kann: Petition einreichen und bestehende Petitionen diskutieren bzw. mitzeichnen. Die Hauptfunktions- und Inhaltsbereiche des System sind zudem noch einmal in der Hauptnavigation abgebildet. Die Untergliederung der im System vorhandenen Petitionen nach Bearbeitungsstand in Form von Tabs bleibt ebenfalls erhalten.
Neu hingegen – und eine der aus Nutzersicht sicherlich bisher deutlichsten Änderungen – ist die Umstellung der Forenlogik: weg von einem flachen phpBB-Aufbau, hin zu einer Baumgliederung. Dies geschah aus mehreren Gründen.
Zum einen soll der Diskussionscharakter, also der Austausch von Meinungen, stärker betont werden. Eine hierarchische Gliederung von Beiträgen kann einzelne Aspekte einer Diskussion besser darstellen. Vor allem aber können auch die Bezüge von Beiträgen und Antworten untereinander so visualisiert werden, dass sie intuitiv nachvollziehbar sind. Die klassische phpBB-Anordnung hingegen ist eher auf das Darstellen von singulären Meinungsäußerungen ausgelegt und weniger auf einen echten Diskurs. Eine Bezugnahme ist hier nur über Zitate möglich, was bei längeren Diskussionen schnell unübersichtlich wird. Auch kann eine Diskussion bei flachem Threadaufbau nur schlecht selektiv gelesen werden.
Zum anderen sollen die Foren zukünftig auch besser inhaltlich ausgewertet werden und somit noch stärker in die Petitionsbearbeitung einfließen. Diese Auswertung wird durch die neue Struktur vereinfacht.
Ein weiteres neues Element ist die Marginalspalte am rechten Rand der Anwendung, welche insbesondere zu den einzelnen Petitionen viele interessante Detailinformationen bereitstellt. So gibt es nun eine grafische Kurve des Mitzeichnungsaufkommens über die Zeit, eine Visualisierung der Restmitzeichnungszeit, die Darstellung des Votums bei abgeschlossenen Petitionen sowie eine Möglichkeit zum Download von zugehörigen Dokumenten.
Ebenfalls neu ist eine kontextbezogene Hilfe, welche für jede Seite der Anwendung spezifische Informationen zur Unterstützung des Nutzers bereitstellen kann. In diesem Sinne wurde auch der Bereich “Service und Information” in der neuen Anwendung überarbeitet. So ist es nun möglich, umfangreiche redaktionellen Inhalte und Hilfetexte über ein anwendungsinternes Redaktionssystem bereitzustellen.
Bei der Bedienung des ePetitionssystems wurden weiter alle Nutzerdialoge überarbeitet und vereinfacht. So wurde unter anderem auf die unzeitgemäßen und relativ unsicheren Captchas verzichtet. Hinzu kommt eine Unterstützung des Nutzers durch kontextbezogene Hilfefunktionen und funktionsbezogene Hilfe-Popups an vielen Stellen der Anwendung.
Ebenfalls neu ist die weitreichende Integration von umfangreichen Such- und Filterfunktionen in das Bedienkonzept. Weiterhin kann man sich zukünftig auch nur mit der zur Registrierung verwendeten E-Mail Adresse plus Passwort am System anmelden. Das Merken eines zugewiesenen, meist kryptischen Nutzernamens ist also nicht mehr notwendig.
Im Laufe der Zeit wurden von Nutzern viele weitere Vorschläge zur Weiterentwicklung gemacht, die bereits in den kontinuierlichen Anpassungsprozess der Altanwendung einflossen, soweit es um kleinere funktionale Anpassungen ging . Aufwändiger umzusetzende Vorschläge wurden nun bei der Konzeptionierung des neuen Systems berücksichtigt; exemplarisch sind zu nennen:
- Grafische Darstellung des Mitzeichnungsverlaufs
- Mehr automatisierte Informationsmöglichkeiten (insbesondere per E-Mail) bei Zustandsänderungen von Petitionen
- Petitionsinhalte als PDF
- Zulassung von URLs in Forenbeiträgen als Quellbeleg eines Zitats
- Besserer Datenschutz durch optionale pseudonymisierte Mitzeichung von Petitionen
- Umfangreichere Suchmöglichkeiten
- Klare Darstellung des Ergebnisses einer Petition
Bei einer weiteren Neuerung lohnt nochmals die genauere Betrachtung: Bei abgeschlossenen Petitionen ist das Votum nun direkt sichtbar – also welchen Abschluss eine Petition erfahren hat. Ein Beispiel für ein solches Votum wäre der Ausgang: “Die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen”. Dieses vorläufige Petitionsergebnis war vorher zwar auch ersichtlich, allerdings nur in einem aufrufbaren Dokument. Dieses Dokument ist im neuen System ebenfalls noch vorhanden, es enthält weitere Details zum Votum sowie eine Begründung.
Allerdings wurden nicht nur Funktionen hinzugefügt, sondern auch einige entfernt:
- Weniger Formatierungsmöglichkeiten für Text in Beiträgen (nur noch Listenpunkte und Fettschrift)
- Nutzer können keine Signatur und kein Profilbild mehr einstellen
Die Entwicklung des neuen Systems war von Anfang an zweistufig angelegt. In der jetzigen ersten Stufe ging es zunächst – neben der Ablösung des bestehenden Systems durch eine neue technische Basis – um die Optimierung und den Ausbau der bestehenden Funktionalitäten. Echte zusätzliche funktionale Neuerungen aus Sicht des Nutzers sind daher in dieser ersten Stufe nur wenige zu finden. Allerdings existiert nun die Basis für eine spätere zweite Stufe, welche dann nochmals weitere funktionale Neuerungen bringen wird. Hier werden an vielen Stellen weitere Vorschläge des Forums zur Weiterentwicklung einfließen. Da diese Funktionen bisher konzeptionell noch nicht vollständig ausdefiniert sind, gibt es nur eine stichpunktartige Liste der noch geplanten Änderungen:
- Verbesserte Schnittstelle zur Anwendungsprogrammierung
- Durch Nutzer verwendbare Schnittstellen (lesend) für soziale Netzwerke und ähnliches
- Semantische Suche
- Systemunterstützte Auswertung (Summary) von Foreninhalten auf Basis semantischer Verfahren und interaktiver Beitragsbewertungen
- Interaktive Bewertung von Forenbeiträgen
- Dialoggeführte Entscheidungshilfen beim Einreichen von Petitionen
- Systemunterstützte Ähnlichkeitsprüfung von Petitionen (die inhaltsgleiche bzw. ähnliche Mehrfacheingaben leichter auffindbar und den Nutzer ggf. schon beim Einreichen seiner Petition auf potentiell inhaltsgleiche Anliegen aufmerksam machen soll)
- Workflowfunktionen für den internen Bearbeitungsprozess
- Dokumentenupload
- Funktionalitäten für die gemeinsame Zusammenarbeit von Nutzern an Petitionstexten vor deren eigentlicher Einreichung (ähnlich dem Etherpad)
Die Technik hinter den ePetitionen hat sich wie eingangs geschrieben vollständig gewandelt. Kam vorher ein Open-Source System mit im Webserver laufendem php zum Einsatz, setzt man nur auf ein modernes 3-Tier-System mit strenger Trennung von Webserver, Applikationserver und der Datenbank.
Das E-Petitionssystem wird jetzt auf 6 Hardwarservern betrieben, welche unter Linux laufen. Zwei der Server werden als Webserver fungieren, die übrigen vier als Applikationsserver mit virtualisierten Instanzen. Bei der Anwendung handelt es sich um eine Java-Anwendung auf der Grundlage eines Content Repository (JCR).
Leider wird auf die Unterstützung von IPv6 verzichtet. Allerdings muss man ehrlicherweise gestehen, dass in Deutschland gerade mal 1.6% des Datenaufkommens das “zukünftige” Protokoll verwendet. Sollte die Telekom wie angekündigt Ende des Jahres IPv6 für ihre Kunden anbieten, wird vielleicht für das ePetitionssystem des Bundestags die 5%-Hürde überschritten.
Für das Team des Petitionsausschusses gibt es ebenfalls Anpassungen, die die Moderation und Administration erleichtern. So wird nun der interne Moderationsablauf wesentlich besser durch das System abgebildet und unterstützt. Zudem existiert nun ein Journalsystem (Historie) für die Anwendung, welches Änderungen in allen Stufen nachvollziehbar und beliebig rückholbar macht. Die Betreuung der ePetitionen wird vom Ausschussdienst, bestehend aus dem Sekretariat und vier Eingabereferaten mit 80 Mitarbeitern miterledigt. Davon arbeiten mehrere in irgendeiner Form mit dem System. Drei Dienstposten sind allerdings extra für das Petitionssystem eingerichtet, diese kümmern sich etwa in besonderer Form um die Moderation und die inhaltliche Auswertung einzelner Diskussionsforen.
Mit dem ePetitionssystem wurde ein Instrument geschaffen, welches die Artikulation von Bürgerinteressen ermöglicht und seit Bestehen zahlreiche politische Diskussionen und Prozesse vorangebracht oder angestoßen hat. Dass dieses Instrument technisch und inhaltlich weiterentwickelt wird, ist nur zu begrüßen. Insbesondere der Petitionsausschuss ist diesbezüglich vorbildlich engagiert: bei der Zusammenarbeit mit den Nutzern des Systems, was dessen Weiterentwicklung angeht, aber auch mit der Information der Öffentlichkeit – hier der Flaschenpost – der viele Informationen zum neuen System dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurden.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.