Pünktlich zur Umstellung der Uhren am 28.Oktober 2012 lud die Zeit zum sonntäglichen Matinee in die Hamburger Kammerspiele. Wo sonst zwei Vertreter der Zeit einen Gast befragen, waren diesmal zwei Gäste zu einem Streitgespräch geladen. In der Fragestunde hatten sich Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen und Bernd Schlömer, Vorsitzender der Piratenpartei, vor dem Moderator Josef Joffe, Herausgeber der Zeit, also zwei gegen die Zeit, zu rechtfertigen.
Im Vorfeld war die Veranstaltung mit „Demokratie 2.0: Grüne vs. Piraten. Wer hat die besseren Ideen“ beworben worden. Im Untertitel wurde gefragt, ob die Grünen plötzlich alt aussehen, oder ob die PIRATEN schon wieder passé sind. In Erwartung einer spannenden Diskussion war das Interesse im Hamburger Landesverband so groß, dass die gestifteten Karten im Trollfunk verlost werden mussten.
Anmoderiert wurden die beiden Parteivertreter mit launigen Worten, die in wenigen Minuten die politische Entwicklung vom Kindesalter bis heute skizzierte. Insofern war die Atmosphäre freundschaftlich und auch die Fragen des Moderators dienten zu Anfang einem klassischen Warming-up. So fragte er Claudia Roth, ob sie eher Twitter oder Facebook bevorzuge. Die Grünenpolitikerin entgegnete, dass für sie die Beschränkung auf 144 Zeichen einer Menschenrechtsverletzung gleichkäme, sie also deutlich eher Facebook nutzen würde. Bernd meinte dann auch prompt, dass Männer sich wahrscheinlich prägnanter ausdrücken würden, woraufhin Frau Roth mutmaßte, dass diese doch eher nicht so viel zu sagen hätten. Das erste Gekicher war im Saal zu hören.
Der Moderator wollte dann wissen, ob denn die PIRATEN die Kinder der Grünen, Fleisch vom Fleisch, seien. Dies wurde von Frau Roth bestritten. Dazu wären viel zu wenig Frauen in der Partei. Nach diesem beeindruckenden Argument hatte Bernd Schlömer, bis dahin mit seinen Redeanteilen klar im Nachteil, die Chance darzustellen, dass bei der Anmeldung das persönliche Merkmal „Geschlecht“ nicht erfasst würde – Einwurf von Frau Roth „das verstehe ich nicht“ – und die Piratenpartei den Anteil Frauen mit 15-20% nur schätzen könne. Damit läge er vermutlich deutlich über dem Durchschnitt der FDP. Am Applaus merkte man schnell, dass die Sympathien im Saal stärker auf Seiten der Piratenpartei lagen. Bernd Schlömer räumte aber ein, dass bei vielen PIRATEN die Eltern grün gewesen sein können.
Josef Joffe wollte von beiden Gesprächspartnern wissen, ob sie sich für die Bundestagswahl eine Koalition, eine rot-orange-grüne Ampel vorstellen können. Frau Roth war da merklich ablehnender. Mit einem Alter von sechs Jahren wären die PIRATEN deutlich schulreif und von daher fehle ihr eine ausreichende klare Position, zu deren Ausarbeitung man seitens der PIRATEN nun genug Zeit gehabt hätte. Auch denke sie, dass sie es aus eigener Kraft schaffen werden, die Bundestagswahl zu gewinnen. Sie räumte aber ein, dass sie die PIRATEN durchaus ernst nehmen wolle. In einem spontanen Rückfall zur vorangegangen Frage echauffierte sie sich noch mal über die Post-Gender-Haltung der PIRATEN, schimpfte über die ungleiche Bezahlung von Frauen und betonte, die Grünen wären die einzige Partei mit der Regelung einer Frauenquote. Zurück zur eigentliche Frage bezweifelt Frau Roth, dass man sich bei den Themen nuklearer Endmülllagerung und im Bereich Alten- / Krankenpflege und Reha-Maßnahmen würde einigen können.
In gewohnt sparsamer Wortwahl resümierte Bernd Schlömer, dass die Piratenpartei den Grünen sicherlich näher stehen würde, als anderen Parteien, aber der Wunsch nach einer Ampel ginge im derzeit zu weit. Der Moderator versuchte ein wenig zu versöhnen und schlug vor, darüber könne man ja noch mal nachdenken, wenn es für rot grün nicht reicht.
In einer neuen Frage zitierte Herr Joffe eine Liedzeile aus der Zeit, als Claudia Roth sich in einer Rockband engagiert hat: „Keine Macht für niemand.“ In Richtung der nur mit einem einzigen grünen Accessoire, einem Armbändchen, versehenen, ungewohnt farblosen Politikerin meinte er dann, dass die PIRATEN diesen Inhalt in ihrem Bundesvorstand (BuVo) doch vorleben würden.
Frau Roth bemitleidete an dieser Stelle ihren politischen Gegner fast und versicherte, sie habe keine Häme für die PIRATEN. Es gäbe auch Streit bei den Grünen. Allerdings habe die Glaubwürdigkeit der PIRATEN durch Fälle wie „Klick mich“ und durch wechselndes Personal und dem Streit im BuVo arg gelitten. Sie könne nicht mehr erkennen, worum es geht.
Bernd räumte ein, dass man mit einigen Vorgängen sicherlich auch überfordert gewesen sei. Er fand „Klick mich“ auch nicht gut. Dann verwies er aber auf Brüche bei den Grünen wie z. B. beim Kohlekraftwerk in Moorburg, wo die Grünen alt und etabliert wirkten. Deshalb kämen die PIRATEN frischer und frecher daher, der ganze Politikstil sei auch ein anderer. So setze er als Bundesvorsitzender sehr stark auf Beteiligung der Basis und sei maximal Steuermann und Organisator – eben ein anderer Stil.
Claudia Roth begrüßte den Stil der PIRATEN, hinterfragte aber die Inhalte und Dauer bzw. Verbindlichkeit der Inhalte. Als Beispiel nannte sie den Syrienkonflikt; wie bilden die PIRATEN dazu eine Position für den Wähler?
An dieser Stelle wurde Liquid Feedback erklärt. Trotz der Empfehlung aus Liquid Feedback, die ein Meinungsbild ist, steht das freie Mandat bei den PIRATEN im Vordergrund – ohne Fraktionszwang.
Der Moderator bescheinigte den Grünen ein kohärentes Programm. An Bernd Schlömer gewandt fragt er, wenn die Piratenpartei mit einem Betriebssystem zu vergleichen sei, ob sie denn ein Windows ohne Dateien wären. Dies wurde von Bernd deutlich dementiert. Die PIRATEN seien klar kein Windows, man wage eben den Versuch eines neuen Politikstils. Das Vorhaben die Bürger stärker zu beteiligen, das wäre das neue Betriebssystem.
Herr Joffe leitete mit einem Zitat des Online Magazines Cicero das Gespräch über zu der Frage, ob der Aggregatzustand von Frau Roth ein „auf Kreuzzug sein“ sei. Diese nutzt die Analogie dazu, die Informationsplattform Kreuz.net aufs Schärfste zu verurteilen und berichtete über die Bemühungen, den Server ausfindig zu machen. Ihre Absicht ist es, diese Dienste sperren und löschen zu lassen. Bernd Schlömer bestätigte, dass er die Inhalte ebenfalls ablehne, differenzierte aber in der Vorgehensweise, dies zu unterbinden. Er stellte dar, dass Sperren nichts bringt – wenn überhaupt, dann Löschung. Insgesamt könne die Politik hier über Verbote nicht effektiv regulieren, da die Betreiber sofort eine neue Domain eröffnen könnten. Die Piratenpartei hielte nichts von Restriktionen im Netz, da dadurch viel zu viele wünschenswerte Inhalte ebenfalls betroffen wären.
Als nächstes fragte der Moderator Herrn Schlömer, was mit den PIRATEN passiert sei, nachdem man nun in Umfragen bei 4-6% angekommen ist. Der gab sich jedoch gar nicht besorgt und meinte, dass die PIRATEN eine reelle Chance für eine Fraktion im Bundestag hätten. Er habe auch lieber jetzt stürmische See. Herr Joffe schiebt nach, dass z. B. der Spiegel in den Umfragewerten mehr als nur einen zyklischen Abschwung sehen würde. An dieser Stelle mischt sich Claudia Roth ein und meint, sie kenne auch 3-4% Umfragen für die Grünen. Ausgezählt würde bei der Wahl. Wahrscheinlich wären die PIRATEN eben in der Realität angekommen.
Schlömer merkte an, dass die PIRATEN nach wie vor von vielen grünen Überläufern profitierten, weil dort z.B. das Thema „Teilhabe“ Mitglieder und Bürger enttäuscht habe. Fairer Weise räumte Frau Roth ein, dass man manchmal mit Bürgerbeteiligung, wie in Hamburg mit der Schulreform, schief gelegen habe und dass man nachdenken müsse, was man falsch gemacht habe.
Der Moderator fragte, ob denn die Grünen in der Hochphase der Piratenpartei nervös geworden seien? Er zitierte Tweets, nachdem grüne Mitglieder ihrer Parteiführung vorgeworfen haben, man dürfe nicht spießig werden, die Frechheit sei abhanden gekommen und man sei nicht mehr cool. Direkt wendete er sich an Herrn Schlömer: „Sind die Grünen noch cool?“ Dieser schwieg etwas überfahren und offensichtlich nachdenklich. Frau Roth flüsterte „ja“. Allgemeines Gelächter im Saal.
Als der Saal sich wieder etwas beruhigt hatte, bemerkte Frau Roth, sie wolle nicht cool sein. Schlömer sagte über die PIRATEN, dass man mehr als cool sein wolle. Letztendlich ginge es aber darum, bei der Bundestagswahl Frau Merkel zu entzaubern.
Als der Moderator sich für das Gespräch bedankte, waren tatsächlich schon 90 Minuten um. Die Veranstaltung war durchaus kurzweilig. Argumentativ trennen sich die beiden Politiker mit einem Unentschieden, mit leichten Vorteilen bei der deutlich routinierteren Claudia Roth. Wir hätten uns Bernd Schlömer an manchen Stellen bissiger gewünscht und aktiver, statt eher passiv den reagierenden Part im Verlauf der Veranstaltung einzunehmen. Man muss aber zugeben, dass es nicht einfach ist, bei Frau Roth zu Wort zu kommen.