
Ein Gastartikel von Lord Schadt.
Ich gestehe: Als Schriftsteller bin ich ein großer Liebhaber von Büchereien. Als Kind bin ich einmal die Woche mit einem Einkaufskorb zur Ortsbücherei geschlendert und habe mir Kassetten, Bücher und Comic-Alben ausgeliehen. Meiner Ortsbücherei habe ich viel zu verdanken, und ohne die Inspiration aus den Hunderten von Büchern und Kassetten wäre ich heute vermutlich kein Schriftsteller.

Bibliotheken sind jedoch Relikte aus einer analogen Vergangenheit. Texte wurden Jahrhunderte lang in Büchern gedruckt und in Büchereien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Doch wird das auch in Zukunft so sein?
Die digitale Revolution ist bisher an den Büchereien vorbei gegangen. Ein Beispiel: Ich habe eine externe Festplatte, die knapp über Hundert Euro gekostet hat und auf der man rund drei Terabyte Daten speichern kann. Auf eine räumlich kleine 3-TB-Festplatte passen rund drei Millionen Bücher. Klingt faszinierend, ist es auch. Auf meine Festplatte habe ich zum Beispiel mehr als fünf Tausend Comics, mehr als zwanzig Tausend Bücher, rund vier Tausend Hörbücher und mehr als zwanzig Tausend Musik-Alben. Oder kurz gesagt: Auf meiner Festplatte habe ich mehr Medien als jede Ortsbücherei Deutschlands. Und in einigen Spezialgebieten bin ich sicherlich besser ausgerüstet, als die beste Bücherei der Welt. Zum Beispiel habe ich nicht nur das Gesamtwerk von Johann Sebastian Bach in mustergültigen Aufnahmen auf meiner Festplatte, sondern auch rund Hundert Interpretationen seiner Goldberg-Variationen. Das ist meine kleine Privat-Bibliothek. Hinzu kommt, dass ich einen Internet-Zugang habe und somit Zugang auf die größte Bibliothek bzw. Mediathek aller Zeiten. Wer möchte kann sich im Internet innerhalb kurzer Zeit alles besorgen, hier ein paar Beispiele:
- Rund zwei Tausend Krimi-Hörspiele aus dem Rundfunk
- Die Top-100 Alben-Charts
- Etliche Tausend professionell gescannte Comic-Alben
- Diverse aktuelle Magazine und Zeitschriften
- Oder auch die Kulturgeschichte der Menschheit in Form der Digitalen Bibliothek
Dazu kommen noch legale Angebote wie google.books mit mehr als einer Million Bücher und Projekte wie Open Culture.
Was das nun für Bibliotheken bedeutet
In einer digitalen Zukunft sehen Bibliotheksräume trist aus. Ein Tisch, Stuhl, eine Festplatte und ein USB-Kabel sind die Bibliothek der Zukunft. Ach nee, es sieht sogar noch schlimmer aus: Da fast jeder unserer Generation schon einen Schreibtisch, Stuhl und Internet-Anschluss hat, kann man Bibliotheken auch ganz abschaffen. Oder anders gesagt: Wenn sich nichts ändert, werden Büchereien langsam, aber sicher zu einem Ort für alte Menschen, an denen die digitale Revolution vorbei gerannt ist. Und danach sterben sie aus …
Ein Hoffnungsschimmer
Der Untergang der Bibliothenken ist nicht unabwendbar – wenn sich zum einen die Politik für ein neues Urheberrecht einsetzt, und wenn zum anderen Büchereien sich verändern.
Was geschehen muss
Damit Büchereien nicht zu antiquierten, praktisch nutzlosen Orten werden, muss das Urheberrecht geändert werden. Da es heute schon möglich ist, sich digitale Kultur kostenfrei zu besorgen, ist es sinnvoll, digitale Medien in jeder Form kostenfrei anzubieten. Die heutigen Versuche von Bibliotheken, in der Anzahl limitierte Ebooks umständlich mit DRM für einen begrenzten Zeitraum zu verleihen, führen eher dazu, dass sich Leser die Texte umsonst besorgen, um entweder nicht warten zu müssen oder um sich die Zeit zum Lesen zu nehmen, die man benötigt. Hier wird eine künstliche Verknappung erzeugt, mit der analoge Ausleihverfahren ins digitale Zeitalter übertragen werden. Sinnvoller hingegen wäre es, Online-Büchereien der digitalen Welt anzupassen! Und alternative Bezahlmodelle für Kulturschaffende zu entwickeln!
Die Bibliothek der Zukunft wie ich sie mir vorstelle
Ein offener Ort, an dem sich die Bürger einer Stadt oder eines Dorfes treffen können, um sich bei Kaffee, Tee oder einem gepflegten Glas Wein über Kultur zu unterhalten. Regelmäßig werden Lesungen, Konzerte, Kunstausstellungen und Seminare angeboten. Es gibt keine Bibliothekare mehr, dafür helfen Kulturberater, sich im Wirrwarr der digitalen Medien zurecht zu finden und passende Texte (Bücher wäre das falsche Wort), Hörtexte und Filme zu finden. Es gibt auch regelmäßig Vorträge, in denen lesens-, sehens- und hörenswerte Kultur vorgestellt wird, die man sich anschließend zum Beispiel via USB-Stick, Handy oder MP3-Player direkt mit nach Hause nehmen kann. Das, was früher die Bücherei war, wird so zum kulturellen Zentrum eines Ortes und trägt dazu bei, das Kulturleben und das örtliche Leben aktiv zu fördern. Da Bibliothek der falsche Name für so ein Zentrum ist, werden Büchereien in Kulturtheken umbenannt.
Das Geld, das vorher für Medienankäufe verwendet wurde, kann für Veranstaltungen wie zum Beispiel Lesungen und Konzerte genutzt werden, so dass den Kulturschaffenden kein Schaden entsteht. Im Gegenteil: Da kein Geld mehr für verstorbene Kulturschaffende ausgegeben wird, sind insgesamt mehr finanzielle Mittel für aktive Schriftsteller, Musiker und bildende Künstler vorhanden.
Freuen wir uns also auf die Zukunft und hoffen, dass Kulturtheken schon bald Realität werden, damit sich digitale Buch- und Kulturjunkies nicht mehr in privaten Kämmerchen und virtuellen Tauschbörsen treffen müssen!
Schließt die Bibliotheken! Öffnet Kulturtheken!