Die Bundesregierung scheint entschlossen, den Zeitungsverlagen ein eigenes Internetrecht zu geben. Danach darf zwar noch jeder Artikel im Netz gelesen, sein Inhalt aber nicht mehr unbedingt weitergegeben werden. Konkret hat das neue Leistungsschutzrecht (LSR) die Suchmaschinen im Visier. Die sammeln Nachrichten vieler Zeitungen und stellen diese auf einer Seite für Informationssuchende zusammen. Natürlich nicht vollständig – nein, als kleiner Nachrichtenhappen, der selten länger als ein Tweet auf Twitter ist. Den Verlagen ist dieses Treiben nicht unrecht, kommen auf diese Weise mit einem Mausklick doch viele Leser auf das eigene Nachrichtenportal. Weil aber Internetkonzerne wie Google ein funktionierendes Geschäftsmodell haben, die Deutschen Verleger jedoch mit ihren Umsätzen im Netz unzufrieden sind, sollen die Suchmaschinen nun die Kassen auffüllen.
Was News-Aggregatoren wie google, rivva oder paper.li machen, ist (noch) nicht illegal. Es gibt sogar einen Passus im Urheberrecht, der die Verbreitung von tagesaktuellen Nachrichten ausdrücklich erlaubt. So steht in § 50 eine Ausnahme vom Urheberrechtsschutz beschrieben:
Berichterstattung über Tagesereignisse
Zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.
Diese Regelung ist die rechtliche Grundlage für die unzähligen Suchmaschinen, die im Internetzeitalter betrieben werden. Die Regierung will mit dem Leistungsschutzrecht für die Betreiber nun Lizenzzahlungen etablieren.
Die Idee eines Leistungsschutzrechts ist nicht neu und wird erhoben, seit Zeitungen Meldungen aus anderen Zeitungen übernehmen – also etwa seit 1650. Mit Verbreitung des Internets wurde die totgeglaubte Forderung wieder ausgegraben. Nun ging es, verglichen mit den 355 Jahren davor, sehr schnell. Da Suchmaschinen auch Pressemeldungen indizieren, verlangten einige Verlage eine Internet-GEZ (Gebühreneinzugszentrale). Praktisch ein finanzieller Aufschlag auf jeden Internetzugang, der den Verlegern als Ausgleich für sinkende Auflagen dienen sollte. Die Idee konnte sich nicht durchsetzen, wurde aber seit 2004 zur Idee des Leistungsschutzrechts weiterentwickelt.
- Vor 2004: Internet-GEZ soll Verlagsangebote finanzieren
- 2004: erste Forderungen nach einem Leistungsschutzrecht in der Presse
- 2009 wird das Leistungsschutzrecht im Koalitionsvertrag festgeschrieben
- 04.03.2012: Die Koalition sagt: Leistungsschutzrecht kommt
- 24.05.2012: Frau Merkel wird interpretiert: „kein Presseverlegerleistungsschutzrecht“
- 25.05.2012: Die CDU sagt: keine Abkehr vom Leistungsschutzrecht
- 14.06.2012: Leak eines ersten Gesetzentwurfes
- Sommer 2012 wird das LSR im Bundestag mehrfach nicht besprochen
- dann mehrere Gesetzesentwürfe
- 28.08.2012: Das Kabinett beschließt das LSR
- Oktober 2012: Eine ePetition gegen das LSR scheitert
- 12.10.2012: Der Bundesrat signalisiert Zustimmung zum Gesetzentwurf
- 29.11.2012: Erste Lesung des LSR im Bundestag
Die News-Aggregatoren stellen auf ihren Seiten Nachrichten ganz unterschiedlich dar. Manche zeigen lediglich 70 Zeichen, manche den vollständigen Teaser. Neben den bekannten Webseiten gibt es weitere Angebote wie beispielsweise iGoogle mit frei wählbarer Auswahl an Nachrichten sowie „Google Alert“, bei dem sich der Nutzer Suchbegriffe zusammenstellen kann und per E-Mail informiert wird, sobald ein Suchbegriff in den verschiedenen Nachrichtenkanälen auftaucht. Die bekanntesten sind:
- http://www.bing.com/news (70 Zeichen)
- http://news.google.de (250 Zeichen)
- http://www.perlentaucher.de (170 Zeichen)
- http://www.finanzen100.de/ (120 Zeichen)
- http://www.facebook.com/Nachrichten.DE (260 Zeichen)
- http://rivva.de/ (vollständiger Teaser)
- http://paper.li/ (Anbieter für eigene Nachrichtensammlung)
- iGoogle (personalisierte Google-Seite)
- Google Alert (300 Zeichen per E-Mail)
Das Leistungsschutzrecht soll den „Schutz des Presseverlegers“ festschreiben. Konkretes Ziel des Gesetzes ist es, Suchmaschinen zur Zahlung von Lizenzgebühren an Zeitungsverlage zu verpflichten, wenn die Suchmaschine auf einen Zeitungsartikel eines deutschen Verlages verlinkt.
Wie bei vielen Gesetzesvorhaben gibt es eine breite Front an Unterstützern und Gegnern. Auf der Seite der Befürworter befinden sich neben Verlegern und ihren Verbänden, Teile von Parteien sowie Juristen, die nach der Verabschiedung eines solchen Gesetzes für viele Jahre gut beschäftigt wären. Bemerkenswert in der Liste der Befürworter ist auch die FDP. Dies ist immerhin die Partei, die fast immer darauf setzt, dass „der Markt alles regelt“.
Pro
- Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV)
- Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ)
- Axel Springer AG
- CDU in Teilen
- Bundes-FDP
- CSU-Juristen
Die Liste der Gegner bietet ebenfalls einige Besonderheiten. Dass die Suchmaschinen zugegen sind, verwundert nicht. Wir Piraten haben die hilfreichen Funktion des Internet verinnerlicht und lehnen schon allein deswegen ein rückwärtsgewandtes Gesetz ab. Interessant wird es bei den anderen Oppositionsparteien. Besonders die SPD ist hier ein unsicherer Kantonist. Denn als die SPD Teil der großen Koalition war, gehörte sie noch in den Kreis der Befürworter eines Leistungsschutzrechtes. Dass die bayerischen Freidemokraten mehrheitlich gegen das Gesetz sind, lässt aufhorchen. Denn die Vorsitzende des Landesverbands Bayern ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die als Justizministerin im Bund den Gesetzesentwurf einbrachte. Dass die Junge Union und jüngere Kreise der CSU gegen ein Leistungsschutzrecht sind, dürfte mehr als ein Aufbäumen gegen die Altvorderen sein – auch sie können offensichtlich „modern“ von „rückwärtsgewandt“ unterscheiden.
Contra
- Suchmaschinen und andere Aggregatoren
- PIRATEN
- Grüne
- FDP Bayern
- SPD
- JU
- CSU in Teilen
- Verein für eine bürgerliche Netzpolitik (CNET)
- Die LINKE
- Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten (Freischreiber)
- Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)
Stolperfallen eines LSR
Es ist inzwischen eine schlechte Tradition geworden, dass Gesetze, die speziell für das Internet erlassen werden, unvorhergesehene Auswirkungen haben. Das wäre beim Leistungsschutzrecht nicht anders. Denn es hält einige Fallen bereit.
- Zitierfreiheit
Snippets fehlt die Einbettung in ein eigenes Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes. Wer kein eigenes Werk verfasst, kann auch keine Auszüge aus anderen Werken als Zitat darin einbetten. Das kann jede Verbreitung von Nachrichten ohne weiteren Kommentar zum Risiko machen.
- Abmahnanwälte
Dieser Berufsstand ist der eigentlich gesetzlose Teil des Internets. Jeder mag sich selbst ausdenken, welche Geschäftsmöglichkeiten sich hier ergeben.
- „Nicht-gewerblich“
Das Gesetz soll die nichtgewerbliche Nutzung ausschließen. Wir wissen vom Urheberrecht, dass die Unterstellung „gewerblich“ schon gilt, wenn der Missetäter durch den Download einer Mp3 oder eines Filmes Geld spart. Beim LSR könnte das bedeuten: schon wer ein Banner setzt oder seinen Server anmietet, könnte (!) als „gewerblich“ gelten.
- Fliegender Gerichtsstand
Kommt es zur rechtlichen Auseinandersetzung, birgt der „Fliegende Gerichtsstand“ ein großes Risiko. Da „das Internet überall zu empfangen ist“, kann ein Kläger sich an ein Gericht seiner Wahl wenden. Das birgt für den Verklagten zweierlei Risiken: erstens kann der Gerichtsstand am anderen Ende der Republik liegen. Und zweitens haben sich inzwischen Gerichte herausgebildet, die für die eine oder andere „Richtung“ bekannt oder berüchtigt sind. Das Landgericht München I sowie die Hamburger Pressekammer erwarben sich in den letzten Jahren hier einen gewissen Ruf.
- Monopolrecht
Hier gibt es Gefahren von zwei Seiten: Sollte Google die verlangten Gelder nicht zahlen wollen und die Deutschen Zeitungen einfach aus dem Such-Index nehmen, könnten die Verleger versuchen, mit einem „Quasimonopol“ von Google zu argumentieren. Über das Monopolrecht könnte Google dann zu beidem gezwungen werden: indizieren und zahlen. Die zweite Gefahr besteht darin, dass Google die Verlage zwar nicht aus dem Index nimmt, mit großen Verlagen aber günstige Bedingungen vereinbart. Kleine Verlage und Startups hätten eine schlechte Verhandlungsbasis und müssten Googles Vertragsbedingungen akzeptieren, um im Index zu bleiben. Das muss nicht nur Zahlungsmodalitäten betreffen, sondern könnte beispielsweise die „suchmaschinenfreundliche“ Gestaltung des Webauftritts betreffen. So könnten sich sogar Monopole bilden, die kleinere Marktteilnehmer behindern.
Technische Möglichkeiten
Nun ist das Internet nicht der Wilde Westen, für den es oft gehalten wird. Wenn ein Seitenbetreiber nicht möchte, dass seine Seite oder Teile davon von Suchmaschinen indiziert werden, gibt es einige Möglichkeiten zu steuern, was Suchmaschinen indizieren – und was nicht.
- robots.txt 1994
Schon in der Frühzeit des Internets wurde eine aus heutiger Sicht primitive Möglichkeit geschaffen, bei Suchmaschinen die Indizierung zu steuern. Die Datei robot.txt schreibt den Suchmaschinen Beschränkungen vor, an die sich die Suchmaschinen auch halten. So kann mit Hilfe dieser Datei den Suchmaschinen Teile eines Webauftritts oder auch die gesamte Seite „verboten“ werden.
- sitemap.xml von Google, Yahoo! und Microsoft 2006
Das ist die freundliche „Ich-helfe-dir“-Variante, die den Suchmaschinen sagt, wo es welche Inhalte gibt. Diese Datei enthält eine Liste der zu indizierenden Seiten. Die Suchmaschine muss also selbst gar nicht mehr suchen, sondern übernimmt das, was diese Datei angibt. Nahezu jeder Betreiber nutzt diese Möglichkeit, es den Suchmaschinen leicht zu machen. Nicht aber der Springer-Verlag! Eine sitemap.xml sucht man auf bild.de vergeblich, auch bei der Computerbild, beim Hamburger Abendblatt, dem „Rolling Stone“ und allen anderen Verlagen des Springer-Konzerns scheint diese Standardtechnologie unbekannt zu sein.
- Automated Content Access Protocol (ACAP) 2007
Mit Hilfe dieses Protokolls lässt sich detailliert festlegen, wer welche Teile von Medienbeiträgen unter welchen Bedingungen weiterverwenden darf. Die Möglichkeiten sind sehr umfangreich und meist auf Restriktionen basierend. So lässt sich eine Weiterleiterung per E-Mail verbieten, die Konvertierung in andere Formate (z.B. pdf), der Ausdruck kann verboten sein oder auch das automatische Übersetzen. Darüber hinaus gibt es Anweisungen, die beispielsweise die Länge von Snippets oder die erlaubte Dauer der Speicherung festlegen. Derzeit nutzen etwa 800 Verlage (u.a. die Neue Züricher Zeitung und das Wall Street Journal) diese Kennzeichnung. Da dies jedoch kein verabschiedeter Internetstandard (RFC) ist, ist eine Berücksichtigung auch nicht bindend.
- Robot-Meta-Tags 2007
Die Möglichkeiten hier entsprechen weitgehend denen des ACAP-Protokolls. Nur werden die Nutzungseinschränkungen hier technisch anders implementiert.
- Linked Content Coalition (2010)
Hierbei handelt es sich um eine Lizenzbeschreibungssprache, deren Sprachumfang aber noch nicht veröffentlicht wurde. Sie versucht, dem Lizenzdschungel eine Art „Esperanto“ überzustülpen (Lizensierungssprache genannt).
Alternativen für Verlage
Zum Leistungsschutzrecht gibt es einige Alternativen. Zuerst ist die Alternative „kein Leistungsschutzrecht“ zu nennen. Die Verlage fahren gut mit den Suchmaschinen, die ihnen Leser zuführen. Statt also nach dem Gesetzgeber zu rufen, sollten Verleger einfach gar nichts tun – denn so wie es gerade läuft, können sie zufrieden sein. Soll mehr Geld in die Kasse gespült werden, wären die Verlage gefordert, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gerade Unternehmen, die früh das Internet entdeckten, machen heute satte Gewinne. Unternehmen, die das Internet erst Ende der 90-er Jahre für sich entdeckten, haben hier viel aufzuholen. Sollten die Verlage aber tatsächlich glauben, von den Suchmaschinen bestohlen zu werden, können sie die Tür schließen. Zwei Zeilen in der oben erwähnten Datei robots.txt würde die Suchmaschinen draußen halten.
Alternativen für Nutzer und Aggregatoren
Kommt das Leistungsschutzrecht tatsächlich, wird dies den deutschen Teil des Internets massiv verändern. Sollte es dann nur noch kostenpflichtige News-Aggregatoren geben, werden findige Programmierer Möglichkeiten finden, Nachrichten auf eine Art und Weise zu sammeln, die vom Gesetz nicht erfasst wird. Google zeigte mit seiner Chrome-Erweiterung de-LSG eine der Möglichkeiten: Ein Plugin im Browser verlagert die Nachrichtensuche von den großen Suchmaschinen weg auf den eigenen Rechner. Der wird dann selbstständig nach Nachrichten suchen und sie, wie es die News-Aggregatoren heute auf ihren Servern machen, auf einer eigenen Seite anzeigen. Die Programmierung einer lokalen Suchmaschine mit allem Komfort wird nicht besonders kompliziert sein. Sollten den Suchmaschinen von den Verlagen Kosten aufgebürdet werden, ist es auch denkbar, dass die großen Internetunternehmen versuchen, widerum die Verlage zu Kasse zu bitten. Die Einbindung von Youtube-Filmen in Zeitungsseiten ist eine Verlagspraxis, die Google als Youtube-Mutterkonzern auf Ideen bringen könnte.
Für die Verlage ist das Leistungsschutzrecht auch der Versuch, sich ein wenig Kontrolle über ihre Inhalte zurück zu holen, denn diese haben sie im Zeitalter des Internets tatsächlich verloren. Sie wissen nicht, wer die Snippets ansieht und somit nichts über die Verbreitung. Im Zeitalter der Apps für mobile Geräte haben sie sogar die Kontrolle über die Preisgestaltung verloren, denn was die App und damit der Zugriff auf die Artikel kostet, bestimmen plötzlich auch Apple und Google. Sie haben nicht einmal mehr die Kontrolle über die Werbung, denn diese wird von Agenturen geschaltet. Wenn der Benutzer einen Werbeblocker im Browser einsetzt, sind sie machtlos dagegen – denn alle Versuche, Nutzer mit Werbeblockern auszusperren, blieben erfolglos, da diese sich immer besser tarnen.
Die 1. Lesung zum Leistungsschutzrecht steht nun auf dem Programm. Die Verlage wirkten duch fleißige Lobbyarbeit auf das Gesetzgebungsverfahren ein. Google nutzt die Startseite seiner Suchmaschine. Es wird spannend sein zu beobachten, wer in Deutschland die Gesetze macht: Deutsche Verleger oder amerikanische Internetkonzerne?
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.