Plötzlich war es da, das “Frankfurter Kollegium”. Eine Gruppe von Piraten, die herausstellen, dass der Mensch im Zentrum des politischen und gesellschaftlichen Geschehens stehen muss. Bisher existiert nur die Webseite mit einem Manifest, einer FAQ und einem Formular, um Mitglied zu werden. Dazu ein Twitteraccount, Accounts für Facebook und Google+ sowie eine Mailingliste. Am Samstag will sich das “Frankfurter Kollegium” offiziell als Verein gründen – im Presseclub in Frankfurt.
Die Flaschenpost sprach mit Christian Reidel (Bim), Aleks Lessmann, Astrid Semm, Mario Tants und Christian Bethke.
Flaschenpost: Das “Frankfurter Kollegium” bezeichnet sich als Freiheitlicher Flügel der Piratenpartei. Gibt es damit einen neuen Flügel bei den Piraten?
Bim: Diese Bezeichnung kann man verwenden.
Aleks: Nach den Sozialpiraten und dem Kegelklub? Könnte man so sagen, ja.
Mario: Menschen, die Freiheits- und Bürgerrechte als Hauptgrund für ihr Engagement bei der Piratenpartei genannt haben, gab es spätestens seit 2009 sehr viele. Neu ist das meines Erachtens nach nicht. Auch dass diese gemeinsam politische Akzente setzen wollen, ist nicht neu. Für mich ist lediglich die Organisationsform eine andere, geeignetere. Und natürlich, dass wir dies nicht informell tun, sondern das ganz offen den anderen Mitgliedern mitteilen.
Christian: Wir schaffen mit dem Frankfurter Kollegium auf jeden Fall transparente Strukturen innerhalb der Piratenpartei und verhindern, dass diese Gruppenbildung in Hinterzimmern geschieht.
Mario: Verhindern konnten wir diese Hinterzimmergruppen bisher nicht. Wir können nur an uns andere Maßstäbe anlegen und diese soweit möglich auch einhalten.
Flaschenpost: Gegen wen wollt ihr euch abgrenzen?
Bim: Wir wollen uns gegen niemanden abgrenzen. Wir setzen – wie andere, im Gegensatz zu anderen, informellen Gruppierungen innerhalb der Piratenpartei – inhaltliche Schwerpunkte und haben zugleich noch eine kommunikative Variante in Form eines Verhaltenskodex. Ein Großteil von vergeudeter Energie beruht auf fehlendem gegenseitigen Zuhören und Wohlwollen.
Mario: Ich bin da bei Bim. Wir wollen halt die Themen bearbeiten, die uns besonders am Herzen liegen; andere haben andere Schwerpunkte.
Astrid: Ja, ich denke auch, dass “abgrenzen” das falsche Wort ist. Ich persönlich war froh, ein paar Leute gefunden zu haben, die auch einfach nur in Ruhe und in gegenseitigem Respekt an Themen abseits des parteiinternen Mainstreams arbeiten können möchten. Von daher denke ich, dass die Abgrenzung (wenn man denn davon reden möchte) weniger gegen Menschen stattfindet als vielmehr gegen Verhaltensweisen.
Aleks: Zusammenfassend: wir wollen sozialliberale Inhalte wieder nach vorne bringen. Wir haben den Eindruck, die sind im Moment weniger präsent.
Flaschenpost: Seid ihr in der Gründungsphase oder gibt es das “Frankfurter Kollegium” bereits?
Bim: Wir sind in der Gründungsphase. Die offizielle Gründung erfolgt am 15.12.12 in Frankfurt. In den letzten Wochen erfolgten lediglich die hierfür erforderlich Vorbereitungen, formal oder rechtlich ist derzeit nichts fix.
Flaschenpost: Wer darf nach Frankfurt zur Gründung des e.V. kommen?
Bim: Kommen darf jeder. Gründungsmitglied wird, wer im Gründungsteam dabei ist.
Mario: Und natürlich nur, wer das Manifest unterschreiben kann.
Flaschenpost: Als “sozialliberal” wird die Koalition zwischen SPD und FDP in den Jahren 1969 bis 1982 bezeichnet. Wie passen wir Piraten in diese Einordnung? Viele von uns waren damals noch nicht geboren.
Bim: Wir Piraten stehen für Teilhabe, Freiheit (insb. Netzfreiheit und Bürgerrechte) und Transparenz. Das beinhaltet Aspekte etablierter Parteien, eine programmatische Nähe zu einer der heutigen etablierten Parteien haben wir nicht.
Aleks: Dazu kommt: freiheitliches Denken und soziales Engagement haben kein Verfallsdatum. Sie sind heute genauso wichtig wie damals. Nee, eigentlich sind sie heute wichtiger denn je.
Astrid: Richtig. Erschwerend hinzu kommt, dass genau diese Einstellung – jedem seine Freiheit zu gönnen einerseits und jedem die Unterstützung zu geben, die er benötigt, andererseits – in der deutschen Politiklandschaft schmerzlich vermisst wird. Insofern ruhen viele Hoffnungen in der Tat auf den Piraten, die durch ihren Protest gegen Überwachung, gegen Einschränkung von Bürgerrechten und gegen den Verdacht gegen alle Bürger, klare freiheitliche Positionen eingenommen haben.
Flaschenpost: Kaum waren die Pläne zur Gründung des Frankfurter Kollegiums öffentlich, wurde auch schon Kritik laut. Die einen kritisierten die “geheime Gründung”, andere den Schritt in die Öffentlichkeit zu dem Zeitpunkt, an dem der Bundestag über das Thema Beschneidung beriet. Es gab auch Stimmen, die eine Flügeldebatte vor der Wahl in Niedersachsen fürchten. Hätte die Gründung bis nach der NDS-Wahl warten können?
Bim: Es wird keine Flügeldebatten geben, wenn wir Piraten uns auf die wesentlichen Aspekte unserer Schwerpunkte konzentrieren. Wer uns ohne jeden Grund als rechts, neoliberal usw. bezeichnet, der provoziert solche Debatten, die wir lieber inhaltlich führen wollen.
Aleks: Eben, es ist immer der richtige und der falsche Zeitpunkt. Dass die Niedersachsen das nicht so eng sehen, kann man daran sehen, dass Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender beim Kollegium mitmachen, wie auch andere niedersächsische Piraten. Und wenn ich Aussagen auf Twitter lese wie “Dank Kollegium überlege ich, wieder bei den Piraten aktiv zu werden”, dann scheint es, dass es nicht warten konnte. So jemand würde ich dann bitten, seine neu gefundene Kraft in den Wahlkampf in NDS zu stecken.
Mario: Ich sehe das ähnlich. Irgendwas ist ja immer. Wenn die Zeit für eine bestimmte Sache reif ist, dann ist das so. Kritik haben wir aber erwartet. Wo diese konstruktiv ist, werden wir sie annehmen und in unsere Arbeit einfließen lassen. Und natürlich gibt es auch Leute, die lieber die bisherigen informellen Strukturen pflegen. Zu denen zählen wir uns nicht.
Flaschenpost: Ihr schreibt in der FAQ, dass jeder Pirat Mitglied bei euch werden kann. Aber könnt ihr überhaupt prüfen, ob ein Mitglied im Frankfurter Kollegium auch Mitglied der Piratenpartei ist?
Bim: Das können wir nicht. Jedes Neumitglied muss mit seinem Mitgliedsantrag versichern, dass er Pirat ist. Wir setzen auf Ehrlichkeit und Offenheit, so wie wir miteinander kommunizieren wollen und was unserem Menschenbild entspricht. Wer diesbezüglich lügt, wird rechtlich kein Mitglied, selbst wenn er eine Zeitlang auf einer Mitgliederliste stehen mag.
Mario: Mir war dabei wichtig, dass keine parallele “Partei” neben den Piraten entsteht. Ich bin Pirat und will nichts gegen unsere Partei tun, sondern diese gemeinsam mit anderen nach vorn bringen.
Flaschenpost: Damit sind wir bei der inhaltlichen Arbeit des “Frankfurter Kollegiums”. Was wollt ihr bewirken?
Aleks: Wir wollen soziale, liberale, freiheitliche Positionen entwickeln, die innerparteiliche Diskussion mit Meinungen, Ansichten und Analysen voranbringen und konstruktiv die Programmatik der Partei erweitern.
Flaschenpost: Wie soll das geschehen? Die Entwicklung von Positionspapieren funktioniert doch traditionell über die AGs.
Aleks: Manche arbeiten in AGs, manche in Flügeln, manche für sich. Das Gute an uns Piraten ist, dass wir jeden Input annehmen, und ihn dann von der Basis absegnen lassen oder eben nicht. Das konnte man in Bochum sehr gut sehen, wo Anträge modular angenommen wurden. Es ist weniger wichtig, woher der Antrag kommt, als dass es ein guter Antrag ist.
Bim: Wir wollen unsere Positionspapiere in die Programmatik der Piratenpartei über die üblichen Wege einbringen. Wir setzen bei den Kollegiumsmitgliedern aktive Mitarbeit voraus, was auch die Anwesenheit auf Parteitagen beinhaltet.
Mario: Eben, Politik bleibt nicht stehen. Sie verändert sich ständig und muss das auch. So sind auch die bisherigen Strukturen der Piratenpartei nicht in Stein gemeißelt. Wer von uns weiß schon, ob es nicht in Zukunft noch eine bessere Idee gibt? Ich persönlich hoffe das sogar. Bis dahin nehmen wir das, was uns am geeignetsten erscheint.
Flaschenpost: Vielen Dank für den Einblick in das Frankfurter Kollegium. Die letzten Sätze sind für euch reserviert: warum sollen sich Piraten bei euch engagieren?
Aleks: Weil sie der Meinung sind, dass die Piratenpartei die progressivste freiheitliche und sozialliberale Kraft ist. Die einzige Partei, die das 21. Jahrhundert lebt. Und entsprechend diese Positionen mit anderen progressiven, freiheitlichen Piraten voranbringen wollen.
Astrid: Weil wir den gegenseitigen Respekt wieder etablieren und vorleben möchten. Weil Freiheit bedeutet, seine Meinung äußern zu dürfen und dabei sicher sein zu können, dass sie als das gehört wird, was sie ist.
Mario: Politik sollte eine Demokratisierung der Gesellschaft durch größtmögliche und gleichberechtigte Teilhabe aller, an der Befriedigung der individuellen Bedürfnisse und Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten anstreben. Sie sollte auch eine größtmögliche Mitbestimmung an allen gesellschaftlichen Prozessen anstreben. Dies innerhalb der Piratenpartei im Kollegium zu befördern, könnte einfach auch Spaß machen.
Bim: Jeder, der für die Themen Freiheit (v.a. Bürgerrechte und Netzfreiheit), Transparenz und Teilhabe brennt UND bereit ist, diese in konstruktivem Diskurs zu erarbeiten, keinen Bock auf einen Shitstorm wegen einer sachlich abweichenden Meinung hat, und dies gut von einer heftigen sachlichen Diskussion trennen kann, wird viel Spaß bei und mit uns haben 🙂
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.