

Daniel Schwerd muss man als sehr aktiven Piraten bezeichnen. Er ist Landtagsabgeordneter und dort Sprecher für Wirtschafts-, Netz- und Medienpolitik. Seit 2010 ist er das Gesicht des KV Köln. Zusätzlich hält er als @netnrd über Twitter den Kontakt zur Basis und berichtet dort regelmäßig von für Piraten interessanten Dingen. Am 26. war dann auf Twitter zu lesen: „Liebe Leute, mit sofortiger Wirkung lasse ich mein Amt als Vorstand des KV Köln aus gesundheitlichen Gründen ruhen. Bitte habt Verständnis.“ Wir sprechen mit Daniel darüber wie es dazu kam.
Flaschenpost: Daniel, was ist geschehen?
Daniel Schwerd: Mir war klar, dass ein Mandat im Landtag eine Vollzeitbeschäftigung ist – eher sogar mehr als ein Vollzeitjob. Ich hatte befürchtet, dass für das Amt im Kreisverband möglicherweise nicht mehr genug Zeit bleibt. Allerdings habe ich sehr viel Zuspruch und Unterstützung gehabt, wir haben viele aktive und engagierte Piraten im Kreis, und auch der übrige Vorstand steht dahinter, daher habe ich das Amt weiter ausgeübt. Das tue ich gerne und bin dankbar für das viele konstruktive Feedback, das ich bekomme.
In den letzten etwa zwei Wochen kam es zu einer Äußerung eines Mitglieds des Kreisverbandes ohne Amt oder Funktion in der Partei, die den Gaza-Streifen als Konzentrationslager bezeichnete.
Das ist natürlich ein vollkommen inakzeptabler Vergleich, er stellt eine Relativierung des Holocaust dar. Erwartungsgemäß entbrannte ein Sturm der Entrüstung – ein Shitstorm. Zwar gibt es den Erklärungsversuch, Konzentrationslager nicht als KZ der Nazi-Zeit gemeint zu haben – ich finde den aber unzureichend und sehr schwach.

Sehr schnell wurde intensiv und auch emotional in der Kölner Mailingliste diskutiert. Und dann wurde auch klar, dass wir uns als Kreisverband zu dem Thema erneut positionieren müssen, weil das von uns erwartet wurde.
Wir haben dann als Vorstand eine Stellungnahme verfasst, uns deutlich von solchen Aussagen zu distanzieren. Ich sah es als meine Aufgabe an, diese Stellungnahme voranzutreiben und bekannt zu machen.
Allerdings musste ich an zwei Fronten kämpfen: Der einen Seite ging die Stellungnahme nicht weit genug, es wurde gefordert, die Autorin aus der Partei auszuschließen und eine Stellungnahme des ganzen Kreisverbandes zu erwirken – ungeachtet der Tatsache, dass wir das erstere gar nicht beschließen können, und das zweite eine Kreismitgliederversammlung erfordert, die eine vierwöchige Einladungsfrist hat.
Die andere Front folgt der Argumentation der Autorin, und sieht also die Voraussetzungen einer Holocaustrelativierung gar nicht gegeben. Man sieht eine Kampagne, in der die Nazi-Keule geschwungen würde. Ihnen war die Stellungnahme also zu weitgehend.
Ich habe mit erheblichen Beschimpfungen zu tun gehabt, wurde von der einen Seite als Nazi-Streichler und Salon-Antisemit bezeichnet, was mir sehr weh getan hat. Gleichzeitig aber als jemand, der einer Agenda folgt, die von außen vorgegeben wurde.
Ich weiß, dass das quasi Normalzustand ist, in alle Richtungen zu argumentieren und zu überzeugen. Auch dass Debatten im Internet durchaus mal ruppiger ablaufen als im „realen“ Leben. Und das Thema ist eines, in dem man im Grunde nur verlieren kann, die Diskussion wird so unglaublich emotional geführt.
Bei mir kommt jedoch noch die emotionale,eigene Betroffenheit dazu, da mir der Kampf gegen Antisemitismus ein besonderes Anliegen ist. Mir ging das alles sehr nah, und das äußerte sich in stress- und spannungsbedingten körperlichen Symptomen.
Kurz gesagt, ich war emotional zu stark involviert und betroffen, und habe daher die Entscheidung getroffen, mich aus der Diskussion heraus zu ziehen. Dies als Selbstschutz, und aus der Verantwortung heraus, die ich für das Mandat im Landtag habe, in dem ich nicht ausfallen möchte.
Flaschenpost: Du schreibst „du lässt das Amt ruhen“. Was genau bedeutet das?
Daniel Schwerd: Ich bin und bleibe aktives Mitglied des Kreisverbandes, und werde auch in der Sache weiter aktiv bleiben. Ich habe aber die „Verantwortung“ für die Entscheidungen in der Sache abgegeben.
Thomas Hegenbarth, der 2. Vorsitzende des Kreisverbandes, übernimmt meine Aufgaben einstweilen. Auch der Rest des Vorstandes möchte mich unterstützen und entlasten, wofür ich sehr dankbar bin.
Aber auch von vielen Menschen innerhalb und außerhalb des Kreisverbandes habe ich Ermutigung bekommen, was mich wahnsinnig freut und froh macht.
Flaschenpost: Du wirst in Köln fehlen. Auch im Namen der Redaktion wünsche ich dir gute Erholung und dass 2013 etwas konfliktärmer verläuft.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.