Manchmal fühle ich mich bei der Piratenpartei wie in einem Asterixheft, wo mal eben das eigene Schiff versenkt wird, nur damit es kein anderer bekommt. Oder, wenn die Piraten sich brennend für ein Thema interessieren (biologische Leckgeschichten aus dem Landtag twittern? Ja? Nein?), werden in der Community lodernde Signale gesetzt, wobei am Ende, der in allen Farben geführten Debatte, das Basisschiff mal wieder rauchend untergeht. Öffentlich, transparent, weithin sichtbar.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Über Nacht war ein transparentes Phänomen ausgebrochen. Politik wieder endlich ein Thema in Teilen der Bevölkerung, die sie schon lange abgeschrieben hatten. Wir wurden geliebt, und sogar von den Medien angeflirtet. Doch wie es mit der Leidenschaft für seine neue Flamme so ist, kamen schon bald Egozentrik, Eifersucht und Twitter hinzu.
Wer schert sich um Außenkorrektur, wenn man als politischer Midas alles anfassen kann, man in Talkshows, ahnungslos aber frech, alles sagen kann und man nur Begeisterung erlebt. Wir waren rücksichtslos, so verliebt in unseren Erfolg, uns unserer Sache so sicher, dass wir vergessen haben, das all das nicht selbstverständlich ist. Statt dieses Kapital zu nutzen und Politik zu machen, beschäftigten sich die (meisten) Piraten irgendwann nur noch mit sich selber. Jeden Tag. Das nennt man per Definition Masturbation. Ich kann und will nicht glauben, dass dies das Einzige ist, was eine leicht introvertierte Nerdgeneration gut kann. Gott sei Dank sind wegen dieser Tätigkeit einige auch ziemlich angefasst.
Bei dem ganzen Schall und Rauch der piratigen Selbstbeschäftigung haben uns die Wähler in Niedersachsen ein maximales Signal gegeben. Der Sommernachtstraum ist zu Ende. Die Begeisterung schlug in Enttäuschung um. Die Liebe zu einer neuen Kraft im Politischen Kabarett ist verpufft. Abgekühlt. Masturbation ist eben nur für einen selbst befriedigend. Und wenn man es in der Öffentlichkeit tut, wirkt es abschreckend – selbst für die, die uns lieben.
Deshalb müssen wir ungeschminkt zugeben, wir haben das falsch gemacht. Wir haben die Wahl verloren, und das Wahlergebnis war vernichtend. Die Wähler sahen keinen Grund, uns ihre Stimme zu geben oder auch nur zu leihen. Bei allen Gründen die Piraten zu wählen, die WIR in unserer Blase sehen mögen: Wir haben die Wähler weder thematisch noch durch unser Auftreten überzeugt.
Woran lag es? An dieser Stelle ganz ausdrücklich: Es waren nicht unsere Piraten in Niedersachsen schuld. Wo waren die Helfer? Wir schaffen es, 2.000 Personen an einem Wochenende für einen Bundesparteitag zu mobilisieren. Haben wir in der heißen Phase des Wahlkampfes in Niedersachsen irgendeine Fußgängerzone in orange geflutet? Die wenigen Tapferen, die sich aufgemacht haben, sind alles gewesen? Wo war nach Ablehnung des SÄA042 (Verteilung der Parteienfinanzierung) die in Bochum versprochene Solidarität? Dies frage ich als wohnhafter Westfale! Ja, es gab vereinzelte Wahlkampfhelfer, es gab Leihgaben und Materialspenden. Aber jeder einzelne muss sich fragen, warum war er nicht dort? Warum hat er nicht gespendet. Warum hat er nicht mit mehr Menschen geredet? Und vor allem: Was hat er stattdessen für die Partei getan? Es war unser aller Wahlkampf, aber die meisten haben ihn den Niedersachsen überlassen. Das liebe Piraten, war zu wenig.
Seit der Wahl werden überall Verantwortliche für das Ergebnis gesucht. Aus der Egoperspektive. Diesen Blickwinkel haben sich viele Piraten jahrelang spielerisch erarbeitet. Man sieht zuerst die anderen. Da! Allen voran werden die Medien identifiziert. Okay, ich bin auch mit Vielem nicht einverstanden, was die Medien schreiben. Aber Leute, es sind nicht die bösen Medien. Für wie wichtig halten wir uns eigentlich? Die Medien berichten immer nur dann, wenn wir irgendetwas Aufregendes machen. Ob das dann in unserem Sinne ist oder nicht, sei erst mal dahingestellt. Was ist also das Naheliegende, wenn wir in den Medien nicht auftauchen? Oder nicht so dargestellt werden, wie wir uns selber sehen? Dann liegt es nicht an Verschwörungen, sondern wir waren nicht außergewöhnlich, wir waren nicht präsent, wir waren schlicht nicht medientauglich. Die Medien sind also schon mal nicht schuld.
Es lag an den Themen. Aber die Piraten haben doch so viel Themen. Man hat doch so stark programmatisch gearbeitet. Ja, aber machen diese uns für Wähler besonders? Das ganze soziale Engagement und unsere Inhalte am linken Spektrum werden besser von der Linkspartei bedient. Denkt offensichtlich der Wähler. Okay, dann punkten wir mit Umweltthemen. Mhm, es ist sicher hilfreich, zu Fracking eine Meinung zu haben. Aber ich würde ungern die Arbeit von Personen machen, die uns sozialisieren wollen und uns das verbraucherfeindliche Lebensmittelrecht eingebrockt haben. Auch hier zeigen wir nicht genügend Profil, nicht genügend Unterschiede. Egal wie kompetent wir sind und wie viel Programm wir verabschieden, keiner wird uns die Rettung des Euro zutrauen. Und ich finde das auch nicht als Manko. Wenn wir Wähler mit Themen begeistern wollen, dann dort, wo wir authentisch sind und wo wir Kernkompetenzen haben. Weniger Programm ist mehr. Besonders wenn dann noch das Programm lesbar ist. Ja, die Themen haben nicht begeistert oder wurden nicht genügend transportiert.
Es lag am Schwarm, also an uns allen. Aber die Medien schwärmten doch noch im Frühling und sogar die Wähler hatten ihren Schwarm. Der war sogar noch intelligent. Schwarmintelligenz? Selten so gelacht. Ein Schwarm ist weniger intelligent als die Summe seiner Teile. Verantwortlichkeiten, Zielorientierung, Aufgaben- und Projektmanagement sind selten vorhanden und wenn doch, werden sie in endlosen Diskussionen zerlegt. Wir können nicht mit 2.000 unvorbereiteten Basismitgliedern an einem Wochenende ein Parteiprogramm verabschieden. Mir graut vor Neumarkt.
Es lag an unserer Parteikultur. Haben wir eine? Immer wieder brechen Strohfeuer aus, die wir versuchen mit einem eingeschalteten Föhn zu ersticken. Andersdenkende, die mit interessanten Thesen den Mainstream verlassen, werden nieder geschrien. Stand nicht mal „Vielfalt und Respekt“ auf einem unserer Plakate? Im Gegensatz dazu, werden Menschen mit wirklich schädigenden Thesen und Wortmeldungen nicht isoliert, ihnen wird nicht ausreichend widersprochen und sie werden nicht konsequent ausgeschlossen. Wenn einige wenige Idioten es schaffen, mit ihren ungefilterten, vorsätzlichen oder unüberlegten Aussagen zu Nationalsozialismus, Kinderpornographie, Rassismus oder Sexismus die Piratenpartei zu verunglimpfen, müssen wir dagegen anders und geschlossen vorgehen. Wie erklären wir der Jüdischen Allgemeinen und ihren Lesern, dass wir Antisemitismus nicht dulden, aber Mitglieder wegen solchen Äußerungen nicht aus unserer Partei ausschließen?
All das sind Dinge, die man in einer funktionierenden Beziehung nicht tut. Wenn man die Schuld immer beim anderen sucht, aber sich selbst für fehlerfrei hält, verliert man schnell Vertrauen. Wenn man nicht mehr gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet, sondern immer in andere Richtungen drängt, ist das belastend. Und wenn man dann auch noch keine anderen Meinungen gelten lässt, aber zugleich alle die, die unsere Wähler verabscheuen, in seiner Mitte duldet – wie soll denn diese Partnerschaft überleben?
Wir haben uns mal anders verhalten: Wir hatten abgefahrene Ideen, waren kreativ, und haben unsere Liebe umworben: Wir haben diskutiert, Georg Schramm als Bundespräsidenten vorzuschlagen. Es gab die Bremer Kulturtankstelle und passend zur geplanten Gesetzesnovellierung haben wir jugendgefährdende Denkmäler verhüllt. Was machen wir stattdessen heute? Was tun wir für unsere Wähler? Liquid Feedback? Irgendwie macht keiner mit. Keine Köpfe? Irgendwie honoriert das der Wähler nicht. Themen? Alles und nichts. Piratenpartei? Keine Ahnung – irgendwas mit Internet.
Es ist noch nicht zu spät. Es ist an der Zeit, sich mit den anderen, mit den Fremden, mit den Menschen da draußen zu beschäftigen, mit den Wählern. Es ist Zeit Sex zu haben. Man kann auch gerne dabei andere anstecken, mit Begeisterung, mit Ideen. Aber bitte nicht wieder das eigene Schiff. Wenn die Piraten jetzt nicht die Signale hören, dann war die Niedersachsenwahl die letzte Wahlschlacht, die die Piraten geschlagen haben. Danach wird es sie nicht mehr geben.
Fassen wir die Gründe unserer Niederlage zusammen. Wir haben nicht den Mut uns von missglückten Experimenten oder festgefahrenen Ideen zu verabschieden. Einzelpersonen handeln unseren Grundsätzen zuwider und wir werden sie nicht los. Wir haben eine entsetzliche, verletzende Form miteinander umzugehen. Unsere Themen und wofür wir wirklich stehen kennen zu wenige. Wir transportieren unsere Inhalte nicht richtig.
Es wird ein schwerer Weg nach Berlin. Aber mit Ideen, vor allem mit Mut, mit weniger, dafür aber mit profilierten Themen und mit einer funktionierenden Streitkultur oberhalb der Gürtellinie, können wir Wähler auch wieder für uns gewinnen. Wir haben das schon einmal geschafft. Wir haben die richtigen Ideale, die besseren Argumente und wenn wir fair, offen und ehrlich bleiben, macht uns Niedersachsen nur stärker und wir schaffen den Bundestag.