Zwei Jahre schrieb die Studentin Vea Kaiser an ihrem Roman Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam. Doch nur wenige Monate nach der Veröffentlichung tauchte ihr Buch im Internet auf. Frei herunter zu laden und ganz umsonst. Ihre Wut entlud sich auf Facebook. Der “Wutschrei” Ihr versklavt uns verbreitete sich zuerst im Internet und fand dann auch in den Printmedien Widerhall.
Kurz vor einer Lesung fand sich die Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch.
Flaschenpost: Was war das eigentlich, was du geschrieben hast?
Vea Kaiser: Es war ein Wutananfall, ein Schrei, ein Wutschrei. Ich kann dir die Situation kurz schildern, in der er entstanden ist. Ich war abends mit Freunden in Wien etwas trinken, als einer der Freunde ganz stolz berichtete, dass er mein E-Book gratis runtergeladen hat. Ich war sehr überrascht und glaubte es ihm nicht, denn das Buch hat ja einen Kopierschutz. Am nächsten Tag schickte er mir den Link und ich schaute mir die Seite an und fragte mich: Was soll das jetzt? Am meisten regte mich das Motto dieser Webseite auf: “Wir befreien Bücher”. Die arbeiten nach einem Wunschlistenprinzip. Das heißt, die User dieser Website schreiben in das Forum, welche Bücher sie gerne umsonst lesen würden. Danach macht sich ein technikaffines Mitglied daran, den Kopierschutz zu knacken. Ich hatte sofort meinen Verlag informiert und sie gebeten, einen Blick auf die Seite zu werfen. Mir war trotzdem richtig unwohl, ich war so sauer, dass ich das Gästebuch dieser Seite aufgemacht hatte und in genau diesem Wortlaut meine Wut los wurde. Ich klickte auf “senden” und bekam die Meldung “wir prüfen deine Nachricht und schalten sie dann online”. Es ist ein geprüftes Gästebuch und ich war sicher, dass sie es garantiert nicht online stellen. Deswegen hatte ich den Text auf meine Facebook-Seite kopiert. Drei Stunden später sah ich, dass der Text inzwischen tausend Mal kopiert wurde und sich verbreitete.
Flaschenpost: Ist dein Vorwurf “Sklaverei” nicht etwas hoch gegriffen? Ist es nicht eher wie wenn die Jungs auf einem Baum sitzen und über den Zaun hinweg das Fussballspiel schauen statt den Eintrittspreis zu zahlen? Wirklich weggenommen wird ja keinem etwas. Auch wenn der Verein so natürlich weniger Geld einnimmt.
Vea Kaiser: Ich weiss, es ist sehr drastisch und es ist politisch nicht sehr korrekt, aber wie gesagt: Es war eine 15-minütige Wutrede. Wenn ich von Sklaven schreibe, habe ich das Konzept der Römer im Kopf, die versklavte Griechen zur Literaturproduktion zwangen. Ich wollte niemanden verletzen, aber ich stehe nach wie vor dazu, gewisse Dinge auch krass zu sagen. Ich mache verdammt viel, um dieses Buch einsehbar zu machen. Es gibt von meinem Buch eine ausführliche Leseprobe der ersten Kapitel. Das Buch liegt in jeder Buchhandlung aus, sodass man reinblättern kann. Wenn es verpackt ist, macht jeder Buchhändler das Plastik sofort weg, wenn man sagt, man wolle reinlesen. Ich habe Promotionvideos gedreht, Leseproben für YouTube eingelesen und war in fast jedem Bundesland in Deutschland zu einer Lesung. Die meisten Lesungen sind auch umsonst. Das heißt: Es gibt sehr viele Möglichkeiten, das Buch kennenzulernen und einen Eindruck zu bekommen, bevor man es kauft.
Flaschenpost: Sind diese Lesungen eine zusätzliche Einnahmequelle für dich?
Vea Kaiser: Oh ja, und ohne sie würde es auch nicht gehen. Wenige Bücher verkaufen sich wirklich gut. Ich hatte sehr viel Glück, ca. 50.000 Exemplare für einen Debütroman sind sensationell. Ich kann jetzt davon und von den Auftragsarbeiten, die ich annehme, leben. Aber ich bin alleinstehend, ich habe keine Kinder, keine Haustiere, ich bin nur für mich selbst verantwortlich. Ich wohne in einer kleinen Wohnung und habe keinen teuren Lebensstil, deswegen geht das. Stell dir vor, ich hätte Kinder und bräuchte eine 70 m2 Wohnung statt einer 40 m2 Wohnung!
Flaschenpost: Hast du einen Überblick wie oft das E-Book verkauft wurde?
Vea Kaiser: Etwa 1800 mal. Das ist wenig im Vergleich zu den gedruckten Büchern. Diese knapp 4 % entsprechen ungefähr dem Trend am Buchmarkt. In Deutschland ist es erst im Kommen, aber man merkt den Anstieg.
Flaschenpost: Für die E-Book-Ausgabe deines Buches gibt es auf der Diskussionsseite von Amazon viel Kritik.
Vea Kaiser: Dafür ist Amazon verantwortlich, die kümmern sich um ihre Kindle-Ausgabe selbst. Das ist etwas, was mich sehr ärgert: Dass die Leute nicht richtig begreifen, was Amazon gerade macht. Amazon ist höchst problematisch. Amazon beutet nicht nur Mitarbeiter aus, sondern setzt auch Verlage stark unter Druck. Die machen, was sie wollen. Im E-Book fehlt ein Teil des Plans, das Register, die Möglichkeit, zwischen den Kapiteln zu navigieren.
Flaschenpost: Glaubst du, dass die geringe Anzahl der E-Book-Verkäufe daran liegt, dass deine Leser sich das E-Book einfach runter laden?
Vea Kaiser: Ich glaube nicht, weil diese Buchtauschbörsen sich meines Wissens noch nicht so durchgesetzt haben. Das liegt vielleicht daran, dass Buchkäufer und -leser im deutschsprachigen Raum auch eher einen konservativen Ansatz haben. Viele Menschen in meinem Freundeskreis reagierten überrascht und konnten sich nicht vorstellen, dass das illegale Downloaden überhaupt möglich ist. Es war für mich interessant zu sehen, wie groß die Anzahl derer war, die sich nicht vorstellen konnten, ein Buch gratis herunter zu laden und dass es überhaupt illegal kopiert werden kann. Die Vorstellung geht nicht in den Kopf, weil sie doch beim Buch immer an ein Kulturgut denken, was sehr schön ist.
Flaschenpost: Das orginal E-Book mit DRM kann nicht weitergegeben werden. Man bekommt es nicht auf einen anderen Reader. Ich kann natürlich meinen ganzen Reader weitergeben, aber ich gebe auch nicht das Sofa weiter, auf dem ich das Buch lese.
Vea Kaiser: Aber du kannst den Reader weiter geben, das geht ja mit dem Buch auch so. Ich habe kein Problem damit, wenn man Bücher ausleiht, es kommen auch oft Menschen zum Signieren meiner Bücher und bitten darum, es neutral zu signieren, denn es soll verschenkt und weitergegeben werden. Es ist schön, wenn Leute Bücher verleihen. Ich habe ein Problem damit, wenn es unkontrolliert passiert, wenn rücksichtslos die Rechte des Autors missachtet werden. Eine Kopie, die unkontrolliert im Internet kursiert, ist illegal, es weiter zu verbreiteten ist durch die Lizenz nicht gedeckt. Es macht einen Unterschied, ob man Sachen im Freundeskreis herumborgt oder eine riesige Zahl von Kopien anfertigt, die man dann zur freien Entnahme auf den Marktplatz stellt.
Flaschenpost: Du schriebst in deinem Wutschrei, dass die Nische leidet, weil die kleinen Autoren durch Tauschbörsen mehr geschädigt werden als die Grossen.
Vea Kaiser: Was du vorher sagtest, also dass die Burschen über den Zaun schauen, spielt in dieser Richtung. Junge, unbekannte Autoren kämpfen um jeden einzelnen Leser. Nimm einen Dorfverein und nimm Borussia Mönchengladbach. Denen tun drei oder vier Zuschauer im Stadion nicht weh. Der kleine Dorfverein, der fast insolvent ist, dem tun vier Zuschauer schon weh, wenn sie nicht dabei sind. Da geht es um jeden Einzelnen!
Flaschenpost: Die digitale Kopie, die Möglichkeit etwas runterzuladen, ist ja in der Welt und lässt sich mit Gesetzen und Aufrufen nicht abschaffen. Muss man sich nicht fragen “wie gehen wir damit um, wie machen wir für alle das Beste aus der Situation?”. Bietet die Kulturflatrate oder die Wertmarke einen Ausgleich?
Vea Kaiser: Ich finde dieses “Ich will alles haben, ich will alles sammeln” ist nicht der richtige Ansatz. Das zeugt nicht von erwachsenen Menschen und dem verantwortungsvollen Umgang mit Konsum. Natürlich finde ich wichtig, dass man sich mit der Situation auseinandersetzt. Ich habe nur ein Problem damit, dass man Unrecht einfach akzeptiert und legitimiert. Ich habe ein Problem damit, dass die Gesellschaft sich ein bisschen aus der Verantwortung stiehlt.
Flaschenpost: Im Internet wird ja durchaus Geld mit Inhalten verdient. Nur bekommen das oft die Betreiber von Downloadseiten und nicht die Urheber oder ihre Verlage. Die Benutzer sind aber offensichtlich willens, Geld auszugeben.
Vea Kaiser: Ja, das stimmt, aber ich verstehe nicht, dass man lieber einem Kriminellen die Kohle in den Rachen schmeisst, statt den Künstlern, die dahinter stehen. Was mich zum Beispiel an der Debatte ärgert ist, dass irgendwann aufgehört wurde, von Verlagen zu sprechen und jetzt von Verwertung gesprochen wird. Dass in gewissen Kreisen die Musiklabels und die Literaturverlage, also die ganzen Zwischenstufen dämonisiert wurden, dass man von schwarzen böseartigen Konstrukten ausgeht, die dem Künstler den Saft aus dem Leib ziehen und dem Konsumenten auch. Die gilt es dann zu umgehen und lieber Kohle an Kriminelle zahlen, das ist, was heute passiert. Das ist eine wahnsinnige Unwissenheit. Vielleicht ist es gerade in der Kunstbranche und der Kulturbranche das Problem, dass man nicht gerne über die Produktionsabläufe spricht. Dass man da sehr vieles geheim hält. Wenn ich auf Lesungen von der Zusammenarbeit mit dem Verlag erzähle, sind die Leute oft überrascht, wie viel auch der Verlag beiträgt, wie wichtig er ist.
Leider baut man gerade im deutschsprachigen Raum oft einen Geniekult um die Künstler auf.
Handwerkliche Abläufe werden ausgeblendet und irgendwo hat man im Hinterkopf, dass die „wahren“ Künstler ja immer arm waren. Es ist eine verfehlte Informationspolitik, der müssen wir als Kulturschaffende entgegen gehen. Zum Beispiel muss man erklären: “Leute, wenn sich ein Buch richtig gut verkauft, dann baut sich der Verleger nicht mit dem Gewinn einen dritten Swimmingpool. Nein, das Geld wird dazu verwendet, um quer zu finanzieren. Um zum Beispiel einen Lyrikband raus zu bringen, um junge Literatur zu fördern. Jeder unbekannte Autor ist schließlich ein ungewisses Investment”. Man muss erkennen: Verlage sind Hebammen, die einem Text in die Welt helfen, da stecken wunderbare, leidenschaftliche Menschen dahinter.
Flaschenpost: Was erwartest du von einer Welt, in der nichts runtergeladen wird?
Vea Kaiser: Das Ding mit Autoren ist: Sie schreiben so oder so! Es ist ein innerer Drang, da können wir auch nicht raus. Mir ist ganz ehrlich noch nie ein Autor untergekommen, der schreibt, um Geld zu verdienen. Wir schreiben, weil wir nicht anders können. Klar, wir wollen auch Aufmerksamkeit. Ich erwarte von der Gesellschaft, dass sie das nicht ausnutzt. Dass sie nicht einfach sagt “Ihr macht das sowieso, dann kann ich es konsumieren”. Nein, ich erwarte, dass man miteinander einen Vertrag eingehen kann. Ich sage, ich biete es euch an und ich hätte gerne etwas dafür und ich finde es legitim, dass Kreative sagen können “Ich möchte etwas für das, was ich mache – auch wenn man es nicht berühren kann”.
Flaschenpost: Willst du später von den Büchern leben, die du schreibst?
Vea Kaiser: Ich weiss genau, das liegt nicht in meiner Macht. Klar wäre es schön, wenn es funktioniert, aber ich muss ehrlich sagen: Ich bin nicht besonders zuversichtlich, dass es funktionieren wird. Ich hatte wahnsinnig viel Glück mit meinem ersten Roman. Es sind viele Sachen passiert, die man nicht planen kann. Jetzt komme ich gut zurecht, wie gesagt, ich bin Studentin. Aber was, wenn ich irgendwann eine Familie gründen will? Da müsste ich mir einen zweiten Job suchen und dann wäre es ein Unterschied, ob ich 20 Stunden arbeite und 20 Stunden für das Schreiben verwenden kann, oder 40 Stunden arbeite und das Schreiben nur in meiner Freizeit machen muss. Es gibt seltsamerweise viele Leute, die erwarten das. Es gibt die Vorstellung, ein Künstler darf nichts verdienen. Aber damit verbietest du das Grundrecht auf ein bisschen Freizeit und Familie.
Flaschenpost: Vea, vielen Dank für die Beantwortung der vielen Fragen. Wer Dich bei einer Lesung erleben möchte, findet auf der Seite Deines Verlages die Termine der Vorlesungen. Ich kann nur empfehlen, zu einer deiner Lesungen zu gehen.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.