Sexismus ist ein Alltagsphänomen, das viele Ausprägungen kennt. Der Blogpost Normal ist das nicht! begründete die Entstehung einer anfangs nur auf Twitter geführten Diskussion. Alle Beträge hatten den Hastag #Aufschrei und fanden bald auch ausserhalb des Internets Aufmerksamkeit. Sexismus und der #Aufschrei wurden jetzt auch Thema für den Grimme Online Award. Wir sprachen mit der @Faserpiratin Jasna Strick.
Flaschenpost: Wie hast du von deiner Nominierung erfahren?
Faserpiratin: @vonhorst und ich bekamen Mitte April eine Email von @marthadear, dass wir drei für den Preis nominiert seien. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Ein Freund war zu Besuch und saß neben mir, während ich leichenblass die Email las. Er befürchtete schon, es wäre etwas Schlimmes passiert.
Flaschenpost: Es gab noch mehr Nominierungen für den Preis.
Faserpiratin: Die anderen Nominierungen kann man beim Grimme-Institut einsehen. Es gibt 28 Nominierungen und es werden acht Preise wild durch die Kategorien verteilt. Besonders freut es mich, dass auch leidmedien.de eine Chance auf einen Preis hat. Die Seite richtet sich an Journalist*innen und wie sie angemessener über Menschen mit Behinderungen berichten können.
Flaschenpost: Wie wird sich die Preisverleihung im Kampf gegen Sexismus auswirken?
Faserpiratin: Das ist schwer zu sagen. Wir sind froh, dass sie Nominierung erst mal weitere Aufmerksamkeit für das Thema bringt und zeigt, dass es da etwas gibt, dass sie Menschen bewegt und das ohne den Hashtag nicht in der Intensität in die klassischen Medien gekommen wäre. Wir hoffen, dass Sexismus so einfach viel sichtbarer gemacht wird und daraus folgend dann gesellschaftlich ganz anders sanktioniert. Um was zu ändern darf der Gesprächsfaden nicht abreißen.
Flaschenpost: Die #Aufschrei-Debatte lief ja weitgehend über Twitter. Spielt der Kurznachrichtendienst inzwischen der selben Liga wie Fernsehen oder Online-Journalismus?
Faserpiratin: Die Debatte wurde durch den Hashtag gestartet, aber lief dann eigentlich woanders weiter. Twitter ist ja nicht gerade ein ideales Diskussionsmedium. Diskutiert wurde in Talkshows, in Zeitungsberichten und auf Blogs.
Twitter ist einfach eine andere Art Medium und weniger Journalismus als vielmehr Sprachrohr. Twitter bietet ganz normalen Menschen die Möglichkeit, sich zu äußern und gelesen zu werden, das war einfach bei diesem Thema genau der richtige Weg. Das Besondere war also, dass Twitter ermöglichte, dass nicht ein*e Journalist*in die Deutungshoheit über ein Thema hatte, sondern viele verschiedene Autor*innen zu Wort kamen.
Flaschenpost: Wann wird der Gewinner bekannt gegeben?
Faserpiratin: Soweit mir bekannt, erfahren wir erst auf der Verleihung am 21.06., wer gewonnen hat. Die Preisträger*innen stehen jetzt aber schon fest.
Flaschenpost: Wirst du das gleich twittern?
Faserpiratin: Ob wir gewonnen haben bzw. wer gewonnen hat? Na sicher!
Flaschenpost: Lass uns nochmal über den #Aufschrei reden. War das eine geplante Kampagne?
Faserpiratin
Der #Aufschrei war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Er entstand in der Nacht auf den 25. Januar als @vonhorst als Reaktion auf einen Blogeintrag bei kleinerdrei.org einfach begann, ihre Erlebnisse mit Sexismus und sexuellen Übergriffen zu twittern. Ich stieg mit eigenen Erfahrungen ein, @marthadear lieferte den Hashtag und das Ding nahm seinen Lauf. Bis heute sind über 60.000 Tweets zum Thema verfasst worden. Obwohl es nie einen Aufruf zum Mitmachen gab, wussten viele Betroffene gleich, um was es ging und machten mit.
Der Brief an Gauck entstand natürlich nicht zufällig, aber er war eine Reaktion auf ein konkretes Ereignis. Ich las ein Interview mit Gauck und twitterte wütend über seine Statements, dass ich dem mal gerne einen Brief schreiben würde und so fanden wir uns dann zu siebt in einem Pad zusammen. Die Protagonistinnen von #Aufschrei und dem Gauck-Brief überschneiden sich aber stark.
Der #Aufschrei ist keine Kampagne, höchstens eine Initiative – und als solche sind wir auch nominiert.
Flaschenpost: Sexismus war zeitweise das Thema Nr. 1. Glaubst du die gesellschaftliche Wahrnehmung ändert sich nachhaltig?
Faserpiratin: Die Wahrnehmung hat sich in jedem Fall geändert. Vielen Menschen ist durch die Debatte erst bewusst geworden, dass Sexismus und sexuelle Gewalt keine Themen sind, die in den 70ern gelöst wurden und damit vom Tisch sind. Über Sexismus wurde bis Anfang diesen Jahres einfach viel zu wenig gesprochen. Vielen Menschen war nicht klar, welche Machtstrukturen dahinter stecken, was Sexismus genau ist und einigen wurde durch das Lesen der Tweets erst klar, dass auch sie schon Erlebnisse hatten, die so nicht okay waren.
Sexismus kein Problem anderer Menschen oder gar anderer Kulturen (was eine sehr rassistische Sichtweise wäre), sondern passiert in unserer Gesellschaft tagtäglich. Auch der Fakt, dass Sexismus vielfach mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Trans- oder Homophobie verbunden und dadurch verstärkt ist, ist ein wichtiger Punkt, der noch viel mehr in die gesellschaftliche Debatte einfließen muss.
Flaschenpost: Du bleibst also an dem Thema dran?
Faserpiratin: Ich war vorher an dem Thema dran und werde es natürlich auch weiterhin bleiben. Das wäre auch unabhängig vom #Aufschrei so 😉
Flaschenpost: Eine letzte Frage: Warum “Faserpiratin”?
Faserpiratin: Faserpiratin war ich, bevor ich Piratin wurde – ich habe einen Shop, in dem ich meine gesponnenen Garne verkaufe und der heißt halt FibrePiratess. Es ging mir damals mal um Seeräuber*innen
Flaschenpost: Vielen Dank dass du dir die Zeit genommen hast. Am 21.06. drücken wir kräftig die Daumen! Da der Gewinner des Publikumspreises, wie der Name es vermuten lässt, vom Publikum bestimmt wird noch ein Rat an unsere Leser: Ihr könnt auch abstimmen.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.