Parteistrategen messen der Wahl zum 17. Bayerischen Landtag hohe Bedeutung bei, gilt der Urnengang am 15. September doch als Fingerzeig für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag eine Woche später. Derzeit sieht beispielsweise das Meinungsforschungsinstitut Forsa für Bayern die CSU bei 46 Prozent, die SPD bei 20, Bündnis 90/DIE GRÜNEN bei zwölf und die Freien Wähler bei neun Prozent. Nicht im Maximilianeum vertreten wären danach die FDP mit vier Prozent, DIE LINKE mit drei und die PIRATEN mit zwei Prozent. Auf alle übrigen Wahlvorschläge entfielen fünf Prozent. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2008 würden CSU und SPD leicht und die Bündnisgrünen deutlich zulegen, die Freien Wähler würden leicht sinken und die FDP ihren Stimmenanteil halbieren.
Bei dieser Sachlage wollte die Landesgruppe Bayern der DPRG ergründen, welche Maßnahmen die im Landtag vertretenen Parteien zur Wählermobilisierung ergreifen, welche Kommunikationskanäle sie nutzen und wie viel Geld sie investieren. Den Berufsverband der Public Relations-Fachleute interessierte auch, welche Lehren aus dem letzten US-Präsidentschaftswahlkampf gezogen werden können, und welches Gewicht Social Media zukommt. Der Zeitpunkt der Podiumsdiskussion sei mit Bedacht vor dem Wahltag, wenn also alle Aktivitäten noch unbekannt sind, gewählt worden, erklärte Vorstandsmitglied Hans-Peter Meier, selbst Journalist, PR-Berater und Politologe. „Das fanden wir viel spannender, als nach der Wahl, wenn alle Wunden geleckt sind, zu hören, warum die Wahl so und nicht anders ausgehen musste.“ Wenngleich die Runde auf einen Repräsentanten der Regierungspartei CSU verzichten musste, waren schon die Ausführungen der Vertreter von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP und den Freien Wählern erhellend.
SPD: eine Million Hausbesuche
„Die Messe ist immer erst am Wahltag gelesen“, unterstrich Rainer Glaab, technischer Wahlkampfleiter und Abteilungsleiter Kampagne der BayernSPD. Umfragen zählten nicht, denn sie ließen die unterschiedlichen Wahlverfahren unberücksichtigt. Jeder Wahlkampf sei anders, und Programme müssten auf aktuelle Fragen neue Antworten geben. Seine Partei habe sich entsprechend „komplett neu aufgestellt“ und erstmals flächendeckend „eine einheitliche Gestaltungslinie durchgesetzt“. Jeder einzelne Kandidat habe eine eigene Website und einen eigenen Facebook-Auftritt erhalten, denn „die Reichweite ist entscheidend“. „Pressestellen machen oft viel zu viel“, betonte Glaab. Diesmal werde nur kommuniziert, „was wirklich relevant ist“. In der Endphase wolle sich die SPD dann sogar „radikal“ auf ein Argument konzentrieren.
Drei PR-Agenturen habe die Partei engagiert, eine davon ausschließlich für Soziale Netzwerke. In den Wahlkampf flössen zwar 20 Millionen Euro, doch die Kräfteunterschiede zwischen SPD und CSU seien „enorm“: Die Regierungspartei erhielte besagten Betrag an einem Tag alleine an Spenden, hob Glaab hervor. Die SPD müsse zudem mit „wenig Personal“ auskommen, konzentriere sich daher in den letzten drei Monaten vor dem Urnengang auf tägliche Telefonschaltungen, Vor-Ort-Treffen und Web-Konferenzen. Entscheidend aber seien die letzten beiden Wochen und die Nichtwähler. Dann gehe es weniger um Inhalte, als um „Köpfe und Emotionen“. Eine höhere Wahlbeteiligung nutze den Sozialdemokraten. Darum planten sie eine Million Hausbesuche vor allem in Gebieten, wo laut Meinungsforschungsinstituten viele SPD-Wähler sind: „Deshalb machen wir Wahlkampf bis 18 Uhr Sonntagabend.“
Bündnisgrüne: Microtargeting
Bündnis 90/DIE GRÜNEN wiederum will herausgefunden haben, dass sich ein Drittel aller Wähler mit „grünen Grundwerten“ identifizieren kann. Ob Umweltschutz, Gleichberechtigung oder Integration im Wahlkampf tatsächlich mobilisierten, bliebe abzuwarten. Doch auf das „Grundrauschen im Medienwald“ käme es an, meinte Alex Burger, Pressesprecher des Landesverbandes Bayern. Politische Auseinandersetzungen fänden nur in Sozialen Netzwerken statt, die klassischen Medien böten hingegen lediglich „Sensationsmache“. Die Bündnisgrünen setzten vor allem auf Microtargeting, also die zielgenaue Wähleransprache. Speziell der „Haustürwahlkampf“ hinge von den Aktivitäten der Ortsverbände ab. „Von den USA kann man etwas abgucken, aber weder mitgehen, noch mithalten.“ Die bayerische Wahlkampfzentrale liefere zwar Wahlkampfmaterial, doch letztlich sei nur eines entscheidend: „Reden, Reden, Reden!“
„Einfache Sprache“ solle helfen, möglichst viele Wahlberechtigte einzubinden und die wichtigsten Aussagen würden „in konsumierbarer Form“ vermittelt werden. Der Anspruch „Control over Message“ aber müsse verworfen werden. Und trotz aller Bemühungen der PR-Experten stellte Burger fest: „Authentizität kann man nicht planen.“
FDP: Social Media, wenn es passt
Die „Wasserstandsmeldungen“ der Sonntagsfragen erklärte auch Martin Hagen, Hauptgeschäftsführer der FDP Bayern, für nachrangig. Seine Partei habe eine Full-Service-PR-Agentur beauftragt und verlasse sich auf den „Swing“ der letzten sechs Wahlkampfwochen. Großflächenplakate, Direct Mailing und Canvassing, das systematische Wählerwerben, sieht Hagen als probate Mittel der Zielgruppenansprache. Genauso wie für Photoshootings seien die Kandidaten der FDP aber für Website-Pflege und Online-Kommunikation selbst verantwortlich. Die Parteizentrale böte lediglich ein „Baukastensystem“ an. Bei der Wahl zum 18. Landtag in Schleswig-Holstein vom 6. Mai 2012 habe Wolfgang Kubicki auch ein Ergebnis von 8,2 Prozent der Zweitstimmen erreicht, obwohl er als Spitzenkandidat nicht in den Sozialen Netzwerken aktiv gewesen sei. Dennoch sei die Partei nun „in Social Media ganz gut aufgestellt“, meint Hagen, und wenn es zum Kandidaten passe, „dann bin ich ein Freund davon“. Zwar seien alle Kandidaten gut beraten, „klar“ zu sprechen, aber: „Komplexes lässt sich nicht auf eine knackige Punchline reduzieren.“
Freie Wähler: Fokus auf Spitzenkandidaten
Für die Freien Wähler (FW) wiederum sei die klassische Medienberichterstattung von zentraler Bedeutung, erläuterte Michael Leonbacher. „Wir werden versuchen, mit einem einfachen Wahlkampf in den Landtag zu kommen.“ Seine Partei sei über ihre Kommunalpolitiker bekannt geworden und besonders in ländlichen Regionen stark. In den Städten habe sie „Akzente“ gesetzt und bayernweit Erfolg mit dem Volksbegehren gegen Studienbeiträge gehabt. Leonbacher, selbst 3. Bürgermeister der Gemeinde Gröbenzell und deren Referent für Planung und Ortsentwicklung, veranschaulichte, dass sich die FW auf herkömmliche Infostände und Veranstaltungen mit ihrem Spitzenkandidaten konzentrierten. „Auf dem Land wird ein Hubert Aiwanger wahrgenommen, auf diese Marke setze ich.“ Die FW seien noch „Greenhorns“, denen die Ressourcen fehlten. Eine PR-Agentur könnten sie sich für den Wahlkampf nicht leisten, nur zwei hauptamtliche Angestellte. An die FW sei noch nicht einmal eine PR-Agentur von sich aus herangetreten. Leonbacher: „Lange waren die eigenen Leute auch die größten Gegner, heute aber sind sie die stärksten Kampagnenträger.“ Erst das Antreten bei Wahlen habe die Parteikasse gefüllt, und erst seitdem sie im Landtag sitzen, würden sie zu Podiumsdiskussionen eingeladen. Deshalb sei für die Wählermobilisierung die Authentizität der Kandidaten das Wichtigste.
Die Wahlkampfmanager waren sich einig, dass politische Kommunikation nicht mit Markenkommunikation gleichzusetzen sei, denn bei ersterer ginge es um Partizipation, bei letzterer um Verkauf. Politische Vorgaben in eine passende Strategie umzusetzen bedeute demnach aus Sicht der beauftragenden Parteien, dass die PR-Agenturen „gute Sparringspartner mit eigener Überzeugung und Dialogbereitschaft“ sein müssten, resümierte Burger. Wer allerdings im Wahlkampf sein Image noch ändern müsse, begehe Selbstmord.
Die PIRATEN als parteigewordene digitale Bürgerbewegung waren zu diesem Podium wegen fehlender Repräsentanz im bayerischen Landtag nicht eingeladen worden. Sie hätten der Diskussion sicherlich weitere wichtige Aspekte hinzufügen können. Insbesondere, weil sie das Internet nicht nur als Plattform oder Kommunikationskanal auffassen, sondern als Teil ihrer Lebenswirklichkeit sehen. SPD-Wahlkampfleiter Glaab merkte zumindest an, auch nachdem sich die Piratenpartei aus seiner Sicht „zerlegt“ hätte, blieben ihre Ansätze weiter interessant.