Am 19. Juni war Mr. President Barack Obama in Berlin und beriet sich unter anderem mit der Bundeskanzlerin. Neben anderen wichtigen Themen wie dem syrischen Bürgerkrieg, Guantanamo und atomarer Abrüstung, ging es auch um Netzpolitik. Kein Wunder, nachdem die USA sich die Kritik vieler Europäer zugezogen haben, seit bekannt wurde dass der Geheimdienst NSA massiv Daten und Aktivitäten von Amerikanern, aber auch Deutschen und anderen ausspionierte.
Obama verteidigte das Projekt Prism : «Ich habe die Arbeiten der Geheimdienste überprüfen können und bin sicher, dass wir ein gutes Gleichgewicht [zwischen Freiheit und Sicherheit] getroffen haben. […] Das alles geschieht unter Aufsicht der Gerichte.»
Weiterhin sei Prism kein wahlloses Überwachen sondern eine gezielte Fahndung zur – was könnte es anderes sein?– Terrorismusprävention. Dass dieses Spionagesystem schon seit den 90er Jahren, als von islamistischem Terrorismus noch keine Rede war, existiert, wird dezent verschwiegen.
Anstatt aber das Missfallen der von ihr repräsentierten Menschen Obama gegenüber zum Ausdruck zu bringen, verteidigt Angela Merkel die Überwachung durch den NSA. Nichts anderes war zu erwarten von einer Regierungschefin, die Netzüberwachung wie die Bestandsdatenauskunft befürwortet. Keine Klage über den Eingriff in die Rechte des Einzelnen, auch keine Klage über den Eingriff in die nationale Souveränität war in der Pressekonferenz zu hören. Dafür glänzte Kanzlerin Merkel mit einer politischen Meisterleistung, die der Netzgemeinschaft die Unfähigkeit der CDU/CSU hinsichtlich libertärer und moderner Netzpolitik vor Augen geführt hat.
Zitat: «Das Internet ist für uns alle Neuland, und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung, mit völlig neuen Möglichkeiten und Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen.» Manche dachten sich so: Ja, und die werden auch noch immer wiedergewählt! Wenn das Internet für Frau Merkel (und ihrer Aussage nach auch Obama) so neu ist –das ist doch klar!– muss es eingeschränkt, reguliert und überwacht werden. Das ist kein rhetorischer Ausrutscher – das ist das Indiz für die klassische Denkweise von CDU/CSU-Politikern und Wählern: Mutti kontrolliert jeden Schritt und macht für alles enge Regeln, dann werdet ihr ganz ohne blaue Flecken groß.
Wenn man schon zugibt, von etwas keine Ahnung zu haben, dann sollte man doch auch die Finger davon lassen!
Im Internet wurde der Hashtag #Neuland schnell zum Trend des Tages. Hohn und Spott zog sich die Kanzlerin von den “Ureinwohnern”, den digital natives, zu. Dann der Hit: jemand meldete die Domain http://angelamerkel.de an und füllte die gesamte Seite mit Neuland-Witzen. Klasse verwandelt!
Neuland : Dieses Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit – an sich ganz sympathisch – diente aber vermutlich nur der Bagatellisierung von Prism und der desaströsen deutschen Netzpolitik. Piraten-Bundesvorstand Klaus Peukert bemerkte trocken: «Euch ist klar, dass wir die Indianer sind?»
Schnell kam teils sehr heftige Kritik von Piraten, Netzaktivisten und anderen digital natives, häufig wurde Merkels Umgang mit den Menschen in #Neuland mit dem europäischer Eroberer in den Amerikas verglichen: Zu Gast im “Lebensraum” Anderer, aber gleich nach der Kontrolle greifen.
Medien und einzelne Blogger kritisierten, der “Shitstorm” gegen Merkel sei arrogant und unverhältnismäßig. Aber wie kann man sonst damit umgehen, wenn jemand schlechte Politik macht, jahrelang, und dann zugibt, von betreffendem Bereich keine Ahnung zu haben. Sicher waren einige Aussagen extrem, teils auch beleidigend. Aber das ist eine Frage der Diskussionskultur – dass deutliche Kritik geübt werden musste, steht jedoch außer Frage.
Klar ist: autoritäre, rückständige Netzpolitik wird auf immer mehr Widerstand in Europa stoßen und letztlich scheitern. Die Piraten wollen keinen “rechtsfreien Raum”. Nur ein freies Internet ohne Zensur, verdachtsunabhängige Überwachung und Bevormundung. «Freiheit», so stand es in einem Blogartikel, «ist Sicherheit. In einem Polizeistaat gibt es keine Sicherheit mehr.»