Ein Gastbeitrag von Astrid Semm
Normalerweise rede ich über Bildung, vor allem über Schule und was dort geändert gehört. Aber PRISM und Tempora sind Anlaß genug, um auch einmal über den politischen Tellerrand hinwegzublicken.
Sicherheit ist so etwas Wunderschönes. Sicherheit ist warm, wohlig,
kuschelig. Sicherheit ist das, was wir alle uns wünschen, jeden Tag, zu
jeder Stunde, Tag und Nacht. Unsere Kinder sollen sicher zur Schule
kommen, wir möchten sicher zur Arbeit kommen und danach wollen wir alle
auch sicher wieder zuhause ankommen. Sicher möchten wir sein vor bösen
Menschen, die uns bedrohen, Leib und Leben in Gefahr bringen, in unsere
Häuser und Wohnungen einbrechen – und auch vor denen, die Anschläge
verüben, weil sie das Recht für sich in Anspruch nehmen, zu wissen, was
gut für uns alle ist und auf gewalttätige Weise der Gesellschaft ihren
politischen oder religiösen Stempel aufdrücken wollen. Sicher wollen wir
sein vor Amokläufern, die wahllos Menschen verletzen und töten und
Sicherheit brauchen wir vor Psychopathen, die in ihrem Wahn
gesellschaftsschädigende Dinge tun. Davor sicher zu sein gibt ein gutes
Gefühl.
Was aber, wenn wir plötzlich feststellen müssen, dass wir alle unter
dem Verdacht stehen, gewalttätige Verbrecher, Attentäter oder
Psychopathen zu sein? Was, wenn die Menschen, denen wir unser Vertrauen
ausgesprochen haben, indem wir sie zu Volksvertretern gemacht haben, uns
plötzlich ihr Vertrauen entziehen? Genau das passiert gerade.
Jeder, der telefoniert oder das Internet nutzt (oder gar das Internet
zum Telefonieren nutzt!), ist verdächtig. Im Moment sind wir “nur” den
USA und Großbritannien verdächtig, aber hinter deren Projekten mit den
wohlklingenden Namen “PRISM” und “Tempora” lauert schon die europäische
Überwachungskrake INDECT. Was das bedeutet, ist den wenigsten Menschen
klar – am ehesten wohl noch denjenigen, die die Vorgehensweisen des
DDR-Ministeriums für Staatssicherheit am eigenen Leibe erfahren haben.
Ein guter Anfang, um sich ein Bild davon zu machen, ist die Geschichte
von Christoph Schnauss, die er <a
href=”http://www.schnauss.info/ov_stasi” target=”00″>auf seiner
Website erzählt.
Macht die Kontrolle der Internetnutzung und des Telefonverkehrs eines
jeden Nutzers nun unsere Welt sicherer? Manch einer scheint zu denken,
dass dem so sei, wie man immer wieder einmal in Kommentaren lesen kann
wie dem, den ich auf facebook fand:
Auch wenn es nicht die feine Art ist abgelauscht zu werden
ist mir diese westliche Art lieber als wenn ich grad im Cafe sitze und
son Selbstmorddödel reinkommt und mir die Beine abreisst durch seine
Bombe. Früher wars halt schöner da wurde es bestimmt auch
gemacht(wahrscheinlich) nur wusste es keiner. 🙂
Aber man sollte im Auge behalten, dass die Verarbeitung der Menge an
Daten, die bei
dieser generellen Überwachung des gesamten Datenverkehrs nur mit
Methoden möglich ist, wie die, die von Suchmaschinen angewandt werden.
Da werden bestimmte Schlagwörter genutzt, um die anfallenden Daten nach
Verdächtigem zu durchsuchen. Jeder, der jemals Google benutzte oder eine
Stellenbörse, weiss, wie fehleranfällig diese Vorgehensweise ist.
Und so kann es dem Internetnutzer sehr schnell passieren, dass er,
anstatt davor geschützt zu werden, dass “son Selbstmorddödel reinkommt
und mir die Beine abreisst”, er selbst bezichtigt wird, ein potentieller
Selbstmorddödel zu sein, wenn er für den Rezeptvorschlag, den seinem
Freund für eine Geburtstagstorte mailt, die falsche Wortwahl trifft –
beispielsweise “das ist eine richtige Kalorienbombe”. Er kann sich in
kürzester Zeit in der Situation wiederfinden, dass er von offizieller
Seite befragt wird, warum er in seinen Mails, auf Skype, in einem Forum
oder in sonstigen sozialen Netzwerken von Bomben redet. Oder von
irgendwelchen Substanzen, die zum Bau von Bomben taugen.
Man sollte auch im Auge behalten, dass in unserer leistungsbezogenen
Welt Erfolgsquoten wichtig sind. Das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft
erlaubt den Zugriff auf Passwörter zu E-Mail-Konten und sozialen
Netzwerken schon bei Ordnungswidrigkeiten. Und so wäre es möglich, dass
unter Erfolgsdruck geratene Ermittler mit diesen Möglichkeiten
Ermittlungserfolge erzeugen. Sicher ist das strafbar; anderseits sind
auch Ermittler nur Menschen und reagieren auf Druck eben auch
menschlich.
Vorstellbar wäre auch (und so etwas ist durchaus schon vorgekommen),
dass Ermittler aus ihrer Überzeugung heraus, einen Schuldigen vor sich
zu haben, für das Beweismaterial sorgen, das benötigt wird, um den
Schuldigen dingfest zu machen. Mit der Bestandsdatenauskunft ist das ein
Kinderspiel.
Man verstehe mich bitte nicht falsch: Ich gehe nicht davon aus, dass
unsere Ermittlungsbeamten generell zu solchen Mitteln greifen würden.
Aber es ist durchaus schon vorgekommen, wenn auch in verschwindend
geringer Zahl. Deswegen sollte man einerseits den Erfolgsdruck nicht
erhöhen durch eine automatisierte Datensammlung, aus der alles Mögliche
herausgelesen werden kann, wenn man es nur richtig anstellt und
andererseits auch Möglichkeiten stark einschränken, eine Ermittlung aus
der Überzeugung, die Täterschaft richtig erraten zu haben, aktiv in eben
diese Richtung zu steuern.
Auch die Möglichkeit, dass auf diese Weise unbequemen und unliebsamen
Meinungsäußerern beigekommen werden kann, darf man nicht übersehen. Mit
den “richtigen” Abfragemethoden und der “richtigen” Auswertung kann man
jeden Menschen aller möglichen Vorhaben beschuldigen.
Eine der wichtigsten Säulen unseres Rechtssystems ist die
Unschuldsvermutung. Gegen Menschen, die keiner bösen Tat verdächtig
sind, wird nicht ermittelt und jeder, der einer bösen Tat verdächtigt
wird, hat als unschuldig zu gelten, bis die Schuld bewiesen ist. Und
genau diese essentielle Säule unseres Rechtssystems wird jetzt
ausgehölt, bis sie zusammenbricht. Was passiert, wenn plötzlich jeder
verdächtig ist, wenn der Beschuldigte seine Unschuld beweisen muss und
nicht der Ankläger die Schuld, das hat die Menschheit im Laufe ihrer
Geschichte mehrfach deutlich gezeigt.
Die Werkzeuge, die derzeit zur Verfügung stehen, sind mächtig. Dem
Einzelnen werden sie keine Sicherheit bringen, im Gegenteil. Dafür
werden sie sukzessive die Prinzipien der Meinungsfreiheit, der
Versammlungsfreiheit, der Informationsfreiheit, der Bildungsfreiheit –
kurzum: des Menschenrechts auf Freiheit – aushebeln und uns, den
Menschen, die in diesem Land leben, jede Freiheit nehmen.
Ich unterstelle denjenigen, die jetzt diese Methoden einführen und
anwenden wollen, nicht, dass sie das zum Zweck der Freiheitsbeschneidung
tun. Aber ich – und jeder, der im Geschichtsunterricht zumindest
einigermaßen aufgepaßt hat – weiß, dass es nur einen
echten Demagogen braucht, damit genau diese Gesetzgebung gegen das
gesamte Volk, jeden einzelnen unbescholtenen Bürger benutzt werden kann.
Sicherheit stelle ich mir anders vor.
Finden wir uns damit ab, dass es die totale Sicherheit nicht gibt.
Das Leben ist lebensgefährlich. Verbrechen sind möglich und sie werden
begangen. Das einzige, was uns hilft, sind Zivilcourage und Achtsamkeit
zur Vorbeugung und sorgfältige Ermittlungsarbeit zur Aufklärung von
Verbrechen. Computer können nicht leisten, was Menschen leisten können.
Also laßt uns auf die Straße gehen und laut werden! Laßt uns
mitteilen, dass wir lieber mit der Möglichkeit leben, dass jemand eine
Bombe legt als mit der Unfreiheit des Generalverdachts! Dieser Irrsinn
muss ein Ende haben!