Für die meisten Menschen ist die Antwort auf diese Frage ganz einfach: Es gehört niemandem, das Internet ist ein freies Medium, das allen Menschen gleichermaßen uneingeschränkt zugänglich sein sollte. Doch wie bereits zu sehen ist, besteht dieser Artikel nicht nur aus diesem einen Satz. Der Grund dafür ist ein kleiner Anteil an Menschen, der anders zu denken scheint. Dieser Anteil ist auch der Meinung, dass alle Menschen einen Zugang zum Internet haben sollen – aber nur, wenn es nach ihren Vorstellungen reguliert werden kann. Eine Person, die diese Vorgehensweise befürwortet, erkennt man normalerweise an einem Merkmal: Sie sitzt entweder in der Führungsetage eines Unternehmens, dessen Kerngeschäft das Internet beinhaltet, oder aber in einer EU-Kommission.
Letztere hat nun, unter der Federführung von Neelie Kroes, einen neuen Entwurf zur Telekommunikationsverordnung veröffentlicht. Darin finden sich einige Formulierungen, die für die Zukunft des freien Internets eine Gefahr darstellen:
To meet end-users‘ demand for better service quality, content providers may agree deals with internet providers to assure a certain quality of service („specialised services“).
Übersetzung der Flaschenpost: Um der Nachfrage der Endnutzer nach einer besseren Servicequalität zu begegnen, können Anbieter von Internetdiensten Absprachen mit Internet-Providern treffen, um eine bestimmte Qualität der Dienste zu garantieren („spezialisierte Dienste“).
Unklare Aussagen wie diese sind leider nichts Neues: Bereits im Koalitionsvertrag wurde einem Zwei-Klassen-Netz mit schwammigen Formulierungen der Weg geebnet. Eine Umsetzung würde in diesem Fall das Ende des Best-Effort-Netzes und der Netzneutralität bedeuten.
Doch bevor man diese Pläne verurteilen kann, muss man sich im Klaren sein, was die Netzneutralität ist und warum sie für eine freie Gesellschaft unentbehrlich ist. Viele Menschen wissen das sicherlich bereits, doch für einen großen Teil bleibt das Internet ein Mysterium. Doch egal, ob man neue Kleidung kauft, ein Video schaut oder sich bei Wikipedia Hilfe für das Referat holt – jeder Mensch, der das Internet nutzt, ist von der Netzneutralität betroffen und profitiert von ihr. Sie garantiert, dass jeder dieser Dienste unabhängig vom Anbieter mit gleicher Priorität zum Endnutzer geleitet wird (Best-Effort-Prinzip). So wird es auch momentan im Internet umgesetzt, doch leider gibt es keine gesetzliche Verankerung, keine Garantie für das Bestehen der Netzneutralität.
Das Gegenstück dazu ist ein Zwei-Klassen-Netz. In diesem Fall erfolgt eine Regulierung und Priorisierung verschiedener Dienste. So könnte bspw. Google Internetanbieter dafür bezahlen, dass ihre Inhalte schneller zum Endnutzer gelangen. Auf den ersten Blick scheint das nicht allzu schlimm, doch gehen damit einige Nachteile einher. Aus Sicht der Nutzer leidet vor allem die Qualität. Denn nur weil ein bestimmter Anbieter am meisten bezahlt hat um am schnellsten durchgeleitet zu werden, heißt das noch lange nicht, dass dieser auch das beste Angebot hat. Das könnte soweit führen, dass bestimmte Konkurrenz-Angebote gar nicht mehr oder nur noch sehr schlecht erreichbar sind. Dieser Punkt trifft auch die Firmen selbst: Neue Unternehmen am Markt würden es schwerer haben, sich gegen die schnellen Angebote der bereits etablierten Konkurrenz durchzusetzen. Im extremen Fall wird der Content nur noch vom Provider bestimmt, mit verschiedenen Preisschildern versehen und Innovation sowie Entscheidungs- und Meinungsfreiheit müssen zurücktreten.
Grund genug, um für die Netzneutralität zu kämpfen. Das Paradoxe: Neelie Kroes verteidigt ihren Entwurf, da er ihrer Meinung nach genau dies tut. Im Allgemeinen scheint das wirklich der Fall zu sein („11. Yes to Net Neutrality!“), doch durch Einbau von Hintertüren wie durch die vorher genannte Formulierung werden solche Aussagen wieder ausgehebelt. Lange blieb dies natürlich nicht unbemerkt. Es gibt bereits Bemühungen, etwas dagegen zu unternehmen. Zum Beispiel hat es sich die Website savetheinternet.eu zur Aufgabe gemacht, jeden Interessierten über Netzneutralität und das Vorhaben der EU im Detail aufzuklären und bietet Vorschläge an, was man selbst dagegen unternehmen kann. So findet man auf der Seite beispielsweise die Kontaktdaten des zuständigen EU-Abgeordneten, dem man gerne einmal seine Meinung zu dem Thema mitteilen darf.
Betrifft es das Internet, darf natürlich eines nicht fehlen: eine Online-Petition. In diesem Fall sollte man sie aber nicht unterschätzen: Knapp 1 Million Unterzeichner haben sich zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels bereits für die Kampagne auf avaaz.org gefunden. An diesen Petitionen wird oft gezweifelt, doch bei einer solchen Anzahl an Unterstützern kann man davon ausgehen, dass die EU den Gegenwind zumindest zu spüren bekommen wird. Allein dafür sollte es jedem die eine Minute wert sein, die es dauert, den Aufruf zu unterzeichnen und weiter zu verbreiten.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Aktionen erfolgreich sind. Die Netzneutralität ist vor allem im Bezug auf eine freie Gesellschaft ein relatives neues Gut, und gerade deswegen schützenswert. Momentan existiert sie im World Wide Web, doch da sie weder gesetzlich auf Bundesebene noch durch Vorschriften der EU eindeutig bindend ist, gilt sie als gefährdet. Jede Möglichkeit, einen Angriff gegen sie abzuwehren – und sei es nur eine digitale Unterschrift bei einer Online-Petition – sollte genutzt werden. Überraschenderweise hat sich selbst der Bundesrat gegen das Vorhaben der EU gestellt: In einer umfangreichen Stellungnahme hat er sehr deutlich gemacht, dass Deutschland eine Umsetzung dieser Empfehlung nicht unterstützen will und sich für die Verankerung der Netzneutralität auf EU-Ebene eingesetzt. Vielleicht hat an dieser Stelle wieder einmal das Orange ein wenig abgefärbt, bestimmt hat auch der Einsatz der Menschen gezeigt, dass ihnen die Netzneutralität wichtig ist. Zu hoffen bleibt nur, dass sie sobald wie möglich rechtlich bindend wird, um das Thema Zwei-Klassen-Netz ein für alle mal zu beenden.
Beitragsbild: CC BY 2.0 | makrabo via flickr