
Münchner Sicherheitskonferenz | Quelle: MSC (mit freundlicher Genehmigung des Pressebüros)
Ein Gastartikel von Jürgen Stock.
„Von Deutschland soll nie wieder Zurückhaltung ausgehen.“ So Max Uthoff in der Kabarett-Sendung „Neues aus der Anstalt“ am 4. Februar 2014 im ZDF, drei Tage nach der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Max Uthoff ist einer der besten politischen Kabarettisten des Landes, und es ist immer ein Vergnügen, seinem scharfen Blick und seine Formulierungen zu folgen. Aber hat er auch diesmal Recht? Gibt es es eine neue deutsche Außenpolitik?

Die Regierungspolitik, so sie vertreten wird von Außenminister Steinmeier und Familienverteidigungsministerin von der Leyen, will uns bedeuten, Deutschland wolle anders, neu sein und sich von Westerwelles Kurs der Zurückhaltung weg weiterentwickeln. So lauten die gängigen Interpretationen. Man war gefordert „zu liefern“ auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Das war auch noch die Jubiläumsausgabe des fünfzigsten Mals. Und da sich die Große Koalition über die Maßen Zeit bis zur Regierungsbildung gelassen hatte, war man ach erst so kurz im Amt. Man musste sich bekennen. Dazu hatte sich noch der Bundespräsident angesagt, die Eröffnungsrede der 50. MSC zu halten. Nein, Bundeskanzler Angela Merkel würde nicht kommen. Es war ja auch höchste Zeit, dass sie ihren Skiunfall auskurierte. Wann würde man denn sonst anfangen zu regieren.
Nun, ich weiß nicht, ob Max Uthoff es unternommen hat, die Reden Gaucks, Steinmeiers und von der Leyens zu lesen. Ich habe mir diese Aufgabe auferlegt.
Steinmeier hat mit seinem neuen alten Amt ja Glück. Er kannte und kennt es bereits. Von der Leyen war weniger glücklich. Sind familienfreundliche Teilzeitkriege im Ausland bei Schwesig‘schem vollem Soldausgleich ein glücklicher Einstieg zu nennen? Nicht einmal zweiunddreißig Stunden lang. Nein, sie mussten etwas anderes liefern auf der MSC.
Gauck: Wir brauchen das Nato-Bündnis. Steinmeier: Für uns bleibt das nordatlantische Bündnis unverzichtbare Rückversicherung … . Von der Leyen: Umso mehr stehen wir Deutschen fest zu unseren Verpflichtungen gegenüber … unserem transatlantischen Bündnis … . Nun, Max Uthoff, das ist nicht neu in deutscher Außenpolitik, das werden Sie zugeben. Und dass sie dann das Lied vom Lastenausgleich singen, ist klar, denn das Bekenntnis zur NATO will materiell, finanziell unterfüttert sein, sonst bliebe es ideell. Aber da draußen sterben Menschen, wenn geschossen wird. Nicht nur manche von denen, denen wir Freiheit und Sicherheit zu bringen beabsichtigen. Auch unsere Leute. Auch das ist Lastenteilung. Was immer auch von zu Guttenberg sonst im Gedächtnis bleiben mag, er hat die Mission in Afghanistan Krieg genannt. Es ist Krieg, und im Krieg wird gestorben. Auf allen Seiten.
Was sonst noch haben die drei gesagt auf der MSC? Gauck. „Zudem sollte es heute für Deutschland und seine Verbündeten selbstverständlich sein, Hilfe anderen nicht einfach zu versagen, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden“. Von der Leyen: „Und diese Krisen und Konflikte [in Syrien, Libyen, Afrika] appellieren an unser humanitäres Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden. Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren.“ Das ist die Politik der Responsibility-to-protect, der Schutzverantwortung, und so verständlich es ist, ihr folgen zu wollen, sie führt zwangsläufig in moralische Dilemmata. Wo greifen wir ein, wo nicht? Darüber hinaus ist sie inflationär. Und sie wird zur Falle, wenn wir die Situation und die Akteure in einer Region nicht sehr gut kennen. Steinmeier: „Deutschland muss bereit sein, sich außen-und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.“ Steinmeier hat Recht, wenn er sagt, Deutschland ist zu groß, als dass es nicht gesehen würde, stellte es sich stumm in eine Ecke. Responsibility-to-protect ist aber im eigentlichen Sinne keine Politik, denn sie nennt keine Perspektive. Man greift ein, um Tod und Leid zu verhindern, aber man definiert keine darüber hinausweisenden Ziele. Responsibility-to-protect hat auch kein Kriterium in dem, was legitime Interessen Deutschlands sind. Die aber will keiner definieren. Gauck nicht – dem es auch nicht zukäme, der aber immerhin einräumt, dass die Responsibility-to-protect „umstritten“ bleibt –, Steinmeier nicht, von der Leyen nicht, Merkel nicht. Wie Jakob Augstein feststellt: Frau Doktor Merkel arbeitet ja als Fachärztin für politische Anästhesie im Kanzleramt.
Weil das aber alles nichts hilft, versucht man, die europäische Karte zu spielen. Gauck: „In Zukunft kann daraus [aus der vermehrten Verantwortung] sogar eine gemeinsame europäische Verteidigung wachsen.“ Von der Leyen: „Ich werde mich entschieden für die weitere Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO einsetzen.“ Steinmeier: „Deutschland will und wird Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.“

Unisono ist das gleichwohl ein Nichts an Inhalt. Woran wird sich deutsche Außenpolitik ausrichten? Gauck, Merkel, Steinmeier, von der Leyen, sie sagen es uns nicht. Es gibt also keine neue deutsche Außenpolitik, beliebt ist es auch, sie nun „aktiv“ zu nennen – oder wie auch immer.
Was es gibt, ist, dass Russland die Politik der Responsibility-to-protect bereits jetzt schon dem Spott preisgibt. Russlands stellvertretender Außenminister Gennadi Gatilow erklärte [am 7. Februar 2014], die Einigung [zwischen syrischer Regierung, Uno und Rotem Halbmond] zeige, dass gar keine Resolution des Uno-Sicherheitsrats nötig sei, um Hilfslieferungen an die Bevölkerung [in Homs] zu ermöglichen. Dass die Waffenruhe schon am nächsten Tag wieder gebrochen wurde, stärkt gerade nicht die Position der Befürworter der Responsibility-to-protect, sondern zeigt, dass sie keine Außenpolitik ist, sondern dass man sich, mit gutem Willen zwar, den Fährnissen hingibt. Schutz zu gewähren, ihn gegebenenfalls mit militärischer Gewalt zu erzwingen, kann immer nur ein erster Schritt sein. Politik jedoch muss am Ende gestalten. Wo, was, warum, wie? In den Reden von Gauck, Steinmeier, von der Leyen sucht man vergebens nach Antworten auf diese Fragen.
Max Uthoff, ich schätze die Eleganz ihrer Formulierung. „Von Deutschland soll nie wieder Zurückhaltung ausgehen.“ Sie ist die sprachliche Möglichkeit einer Unmöglichkeit. Wie könnte „Zurückhaltung“ von etwas „ausgehen“? Wenn das aber nicht geht, ist das Gegenteil, die Verneinung die Unbestimmtheit. Aber ich fürchte, Sie könnten Recht haben, Gauck, Steinmeier, von der Leyen, die versuchen das. Dass es dann ohne Ziel ins Ungewisse hinaus geht, scheint ihnen nicht klar zu sein oder sie nicht zu stören. Ich glaube zu wissen, dass Sie das genauso wenig wollen wie ich. Braucht Deutschland eine neu Außenpolitik? Sie wird kommen – so oder so! Wir haben die Chance sie mitzugestalten.