Die Diskussion über Quoten brodelt schon lange in Deutschland, seit einiger Zeit hat sie auch die Piratenpartei erreicht. Auf dem Bundesparteitag 13/2 waren einige Anträge zur Abstimmung eingereicht worden, die die Frauenquote im Vorstand zum Thema hatten. Tatsächlich zur Abstimmung gekommen sind sie allerdings nicht. Die einen sehen das als Beweis dafür, dass Quoten nicht notwendig beziehungsweise nicht von der Mehrheit gefordert sind, die anderen halten das im Gegenteil gerade für ein Zeichen, dass Quoten durchgesetzt werden müssen, da nicht alle deren Notwendigkeit einsehen.
Überhaupt ist der ganze Themenbereich voll von in der Rhetorikforschung sogenannten Topoi, das sind im weitesten Sinne Argumente, die von beiden Seiten gleichermaßen genutzt werden können. Das zeigt die große Ambivalenz, die dieser Diskussion innewohnt. Ein solcher Topos ist unter anderem, dass die Quoten nun auch in der Piratenpartei angekommen sind. Während die Pro-Seite das mit dem Wort “endlich” befürwortet, hält die Contra-Seite das für ein Einbrechen der “Postgender”-Definition der Piratenpartei.
Auf jeden Fall sind die Argumente beider Seiten durchaus stichhaltig und einer Betrachtung wert. Deshalb auf den folgenden Seiten jeweils eine Pro- und eine Contra-Argumentation zum Thema “Die Frauenquote in der Piratenpartei”.
PRO (geschrieben von @astefanowitsch)
An der Frauenquote scheiden sich die Geister in der Piratenpartei so heftig, wie an kaum einem anderen Thema. Für die einen ist die Quote eine Beschränkung innerparteilicher Demokratie, ein Festhalten an traditionellen, längst überwunden geglaubten Geschlechterrollen und ein Vorwurf an Frauen in der Partei, Ämter und Mandate nicht aus eigener Kraft erreichen zu können. Für die anderen (zu denen ich zähle), ist sie nicht etwa Selbstzweck feministischer Politik oder Lösung sämtlicher Probleme, sondern eine brachiale, aber unvermeidliche Konsequenz aus der überfälligen Einsicht, dass die parteiinternen Strukturen der Piratenpartei nicht außerhalb gesellschaftlicher Strukturen existieren und deshalb deren Ungleichheiten abbilden.
In diesem Beitrag greife ich drei in der aktuellen Diskussion besonders wichtige Aspekte dieses natürlich sehr viel komplexeren Themas auf. Ein Punkt, den ich bewusst außer Acht lasse, ist die Frage nach Quoten für andere Bevölkerungsgruppen. Die Argumente für eine Frauenquote lassen sich grundsätzlich auch auf Quoten für andere Gruppen übertragen und es ist sinnvoll, das zu diskutieren. Allerdings ist es kein Argument gegen eine Frauenquote, dass in Bezug auf andere Gruppen möglicherweise ebenfalls Handlungsbedarf besteht.
1. Quoten haben nicht das Ziel, Schwachen zu helfen oder Menschen für Diskriminierung zu entschädigen. Sie haben das Ziel, dort Repräsentativität herzustellen, wo das freie Spiel der Kräfte das nicht tut. Es ist eine offenkundige Tatsache, dass die demokratischen Prozesse in der Piratenpartei nicht dazu geführt haben, dass ihre Mitgliederstruktur, ihre Gremien oder ihre Wahllisten in Bezug auf das Geschlecht auch nur annäherungsweise die Verhältnisse in der Bevölkerung abbilden. Während Frauen etwas über fünfzig Prozent der Bevölkerung (und übrigens auch der Wählerschaft der Piratenpartei) ausmachen, stellen sie nach realistischen Schätzungen bestenfalls 20 Prozent der Mitglieder und deutlich weniger als zwanzig Prozent der Mandatsträger/innen.
Das wäre ein Problem für jede Organisation, die die Gesellschaft mitgestalten will. Es ist ein besonderes Problem für eine Partei, deren Selbstverständnis auf der Idee einer breiten Beteiligung an politischen Prozessen beruht. Dabei spielt es keine Rolle, warum Frauen in der Partei und ihren Strukturen unterrepräsentiert sind – ob es etwa an einem strukturellen Sexismus liegt, den wir alle verinnerlicht haben, ohne uns seiner bewusst zu sein, oder an einem mangelnden Interesse von Frauen an den Themen der Piratenpartei. Vieles deutet auf erstere Erklärung hin, denn für einen unbewussten und verinnerlichten Sexismus gibt es in der sozialpsychologischen Forschung überzeugende Belege, während die Tatsache, dass die Wählerschaft der Piratenpartei etwa zur Hälfte aus Frauen besteht, dagegen spricht, dass es an den Themen liegt.
2. Ein angenehmer Nebeneffekt der Frauenquote wäre, dass sie in einer Art Rückkoppelungseffekt dazu führen würde, mehr Frauen für die Mitarbeit in der Piratenpartei zu gewinnen. Aus der sozialpsychologischen Forschung wissen wir, dass Frauen sich tendenziell ungern in Situationen begeben, in denen Frauen unterrepräsentiert sind. Eine Frauenquote würde also zunächst auf die Mitgliederstruktur der Piratenpartei bezogen zu einer Überrepräsentation von Frauen in Ämtern und Mandaten führen, aber das hätte dann zur Folge, dass Frauen sich stärker für eine Mitarbeit auch in der Basis der Partei interessieren würden.
Eine Quote wäre also nicht nur eine kurzfristige Lösung, um für eine angemessene Vertretung von Frauen in den Strukturen und Institutionen der Piratenpartei zu sorgen. Sie würde mittelfristig dazu beitragen, den Anteil an Frauen in der Partei nachhaltig zu erhöhen und eine Quote irgendwann wieder überflüssig zu machen.
3. Die Einführung einer Frauenquote bedeutet nicht, traditionelle Geschlechterrollen zu bestätigen oder zu verfestigen. Sie bedeutet nur, anzuerkennen, dass die Kategorie Geschlecht in unserer Gesellschaft (und in unseren Köpfen) wirksam ist – wäre sie es nicht, gäbe es die eingangs erwähnte Unterrepräsentation von Frauen nicht.
Es mag sein, dass die Piratenpartei im Sinne des oft zitierten, nie irgendwo beschlossenen „Postgender“-Gedankens auf eine Gesellschaftsordnung hinarbeitet, in der die Kategorie Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Aber zu einer solchen Gesellschaft gelangen wir nicht, indem wir die real existierende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Stil eines sprichwörtlich gewordenen ehemaligen Kanzleramtsministers für beendet erklären und vor der Überrepräsentation von Männern die Augen verschließen. Zu einer solchen Gesellschaft gelangen wir nur, indem wir die Ungleichbehandlung tatsächlich beenden. Und da in den sieben Jahren der Existenz der Partei niemandem eine bessere Lösung zu einer solchen Beendigung eingefallen ist, könnte es an der Zeit sein, der Frauenquote eine Chance zu geben – als Brückentechnologie in eine Zukunft ohne Quoten.
CONTRA (geschrieben von @H3rmi @dyfustic und @Scaramouche1989)
Obwohl die Quote im Vorfeld des letzten Bundesparteitags das dominierende Thema war, wurde am Ende nicht einmal darüber abgestimmt. Die Piraten gingen ohne Quote, aber mit vier Frauen im Bundesvorstand (BuVo) nach Hause, und alle waren glücklich. Wir scheinen doch immer noch ein gemeinsames, richtiges und wichtiges Ziel zu haben: die Gleichberechtigung aller Geschlechter. Die BuVo-Wahlen haben gezeigt, wie das geht – einfach kompetente Frauen wählen. Aber ein bitterer Beigeschmack bleibt, nicht zuletzt durch Tweets wie “Unser Plan hat funktioniert: Die #Piraten haben aus Angst vor einer Frauenquote 50% Frauen in den #BuVo gewählt” oder “Ich habe einfach aus Prinzip nur Frauen gewählt und war auch mit Sicherheit nicht der-die-das Einzige. Quote selbstgemacht.” Diese Tweets zeigen, weshalb viele Frauen die Quote ablehnen: Sie wollen nicht gewählt werden, weil sie Frauen sind, sondern weil sie kompetent sind. Weil sie Menschen von sich überzeugen konnten. Weil sie sich den Wahlsieg erkämpft haben. Nicht weil sie zufällig über die richtigen Geschlechtsorgane verfügen.
Eine Quote betont die Unterschiede der Geschlechter, die wir doch eigentlich zu überwinden versuchen, und sie strebt eine Gleichberechtigung an, die Männer diskriminiert, Frauen bevorzugt und Menschen, die ihr Geschlecht nicht festlegen möchten, völlig außen vor lässt.
Tatsächlich wirken Quoten sich dort, wo sie existieren, wenig positiv oder sogar deutlich negativ auf Gleichberechtigung aus. Paradebeispiel dafür ist Norwegen, das 2011 als erstes Land der Welt eine Frauenquote von 40% in Aufsichtsräten einführte. Das angebliche Erfolgsmodell kann bei näherem Hinsehen jedoch kaum Erfolge vorweisen: Die berühmte „gläserne Decke“ wurde nicht durchbrochen, weil die entscheidenden Posten, die Vorstände, weiterhin hauptsächlich mit Männern besetzt werden. Die Quote in Aufsichtsräten liegt nach wie vor nicht höher als bei den gesetzlich geforderten 40%. Frauen stehen am Rande des Burnouts, weil sie aus reinem Personalmangel bis zu acht Aufsichtsratposten gleichzeitig besetzen müssen, und werden dafür noch als „Goldene Röcke” diskreditiert. Somit wird das eigentliche Problem, dass Frauen bei gleicher Bezahlung und geringerer Anerkennung mehr arbeiten müssen, durch die Quote nur noch verstärkt.
Gesamtgesellschaftlich betrachtet ist die Frauenquote besonders interessant: Warum sollten Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, als besonders schützenswert gelten? Unter diesem Gesichtspunkt müsste man zunächst Quoten für alle tatsächlichen Minderheiten einführen, die weitaus häufiger Opfer von Benachteiligung und Intoleranz sind als Frauen. Sowieso war doch lange Jahre der „besondere Schutz“ die Rechtfertigung dafür, Frauen in ihren beruflichen Ambitionen zu bevormunden.Frauen mögen für ihren Bevölkerungsanteil zu wenig in Aufsichtsräten vertreten sein, aber das ist nicht der einzige Bereich, in dem es ein Ungleichgewicht von männlichen und weiblichen Berufstätigen gibt. Schreit irgendjemand nach einer Männerquote in Friseursalons, Blumenläden oder Kosmetikstudios, weil Männer dort zu wenig sichtbar seien? Wird etwa lautstark eine Frauenquote auf dem Bau, bei der Bundeswehr oder in der IT gefordert? Nein. Dabei wäre doch gerade da ein wunderbarer Ansatzpunkt, den Gedanken der Gleichberechtigung in die Köpfe der Menschen zu bringen.
Seien wir ehrlich, der Fokus auf Aufsichtsräte und DAX-Unternehmen ist rein symbolisch. In Deutschland gibt es ca. 35 Millionen abhängig Erwerbstätige. Davon arbeiten 3,5 Millionen Menschen in DAX-Unternehmen, also 10%. Arbeiten in Deutschland so wenig Frauen, dass nur Aufsichtsräte in DAX-Konzernen eine relevante Stellgröße für Chancengleichheit sind? Übrigens werden Aufsichtsratsposten in wesentlichen Anteilen durch (ehemalige) Parlamentsabgeordnete bekleidet, und zufällig wurde im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD eine 30%-Quote für Aufsichtsräte vereinbart. Wir reden hier übrigens von etwa 1.600 Aufsichtsratsposten in deutschen DAX-Unternehmen – und das im Verhältnis zu 35 Millionen Jobs! Zu ca. 16,7 Millionen abhängig beschäftigten Frauen, wovon 45% in Teilzeit arbeiten! Wo hilft da eine Quote in Aufsichtsräten, die Berufschancen von Frauen in “normalen” Berufen zu verbessern?
Ähnlich düster ist die Prognose einer Quote für die Piraten. Eine Quote weckt die klassische Geschlechterverteilung, die unsere Partei schon überwunden hatte. Postgender ist aus Sicht der Autorinnen nicht gescheitert – haben wir doch am eigenen Leib erfahren, dass wir gerade in der Piratenpartei und ihrem “nerdigen” Umfeld einfach Menschen sein konnten. Unser Geschlecht spielte keine Rolle, bis es thematisiert wurde, und das durch genau die Personengruppe, die sich für unsere Gleichberechtigung einsetzen möchte. An dieser Stelle soll gesagt werden: Wir fühlen uns bereits gleichberechtigt! Eine Frauenquote für Vorstände würde aus unserer Sicht nicht nur die Kompetenz unserer weiblichen Vorstände mit Füßen treten, die es zuvor aus eigener Kraft an die Spitze geschafft hatten und Frauen bevormunden, die lieber abseits des Vorstandes Projekte verfolgen. Die Quote würde auch von der zahlenmäßigen Minderheit der Frauen wesentlich mehr Leistung fordern, um dasselbe Soll zu erfüllen wie die Mehrheit ihrer männlichen Kollegen – nur um dann eine Art formale, symbolische Gleichberechtigung zu erreichen, die gefühlt bereits vorhanden ist.
Dabei haben wir eigentlich das Ideal, alle Menschen gleichermaßen wertzuschätzen. Das merkt man an den verbalen Verrenkungen, die bei Quotenanträgen mitschwingen. Ein Anteil von „Frauen“ würde diese auf ihre Geschlechtsorgane reduzieren. Ein Anteil von „Frauen und Menschen, die sich nicht als Mann identifizieren“ drückt womöglich den tatsächlichen Frauenanteil bis auf null. Wenn man es schon nicht aussprechen kann, sollte man es einfach sein lassen.