Die Geschichte Sebastian Jabbuschs began, als er mit einem Konzept für einen Wettbewerb von Nordmedia bei der Landesmedienanstalt als einer von Dreien 5000 Euro Produktionsmittel gewann. Aufgabe des Wettbewerb war es einen EU-Wahlspot zu konzipieren, der auffällt. Sebastians Gedanken drehten sich dabei vor allem darum, dass eigentlich niemand mehr so richtig Lust auf die EU hat, dass die Strahlkraft und Vision eines „einigen Europas“ verloren gegangen ist. Trotzdem erinnerte er sich an einige gute Moment aus dem EU Parlament. Bei der Suche nach Videoaufnahmen dieser „Sternstunden des EU-Parlaments“ war im Netz wenig verwendbares Videomaterial zu finden. Aus Zufall stieß er jedoch auf den Monty Python Clip „Was haben die Römer je für uns getan“ und beschloss sein bisheriges Konzept zugunsten eines Remakes zu verwerfen.
Flaschenpost: Was hat die EU je für uns getan?
Sebastian: Mit der EU Banken Union müssen zukünftig Investoren und Großeinläger für die Bankenrettung zahlen, nicht mehr die kleinen Steuerzahler. Das Parlament hat zudem als EU Recht verankert, dass keine Flüchtlingsboote mehr abgedrängt und Fischer nicht mehr für die Rettung von Flüchtlingen bestraft werden dürfen. 13 Hersteller von Handys haben sich freiwillig auf einen Standard für Ladekabel geeinigt, ähnliches soll für Laptops folgen. Trotzdem ist die Frage gut 😉 ! Denn oft ist diese Frage gar nicht so einfach zu beantworten. Ich kann jeden verstehen, der erst mal aus dem Bauch heraus unzufrieden ist. Die Ursachen dafür sind jedoch weniger in den geringen Leistungen der EU zu suchen, sondern viel mehr darin, dass wir oft nicht wissen, was z.B. das EU Parlament gegen die Nationalstaaten und die EU-Kommission so alles durchsetzt. Oft schieben die Nationalstaaten die Schuld für alles Böse auf die EU und loben sich selbst in den Fällen wo etwas klappt, für die gelungenen „nationalen Umsetzungen“.
Flaschenpost: Du bringst das in deinem Kurzfilm Was hat die EU je für uns getan? auf den Punkt. Erst fällt niemandem etwas ein, doch dann sprudelt es aus der Erinnerung.
Sebastian: Ja, so ist es. Wir sehen die EU oft immer als dieses große idealistische „Ding“ an und vergessen, wie viele praktische Vorteile wir im Alltag haben. Dieser Pragmatismus geht unter, wenn man sich immer nur darüber streitet, wie viel besser es nur werden könnte, wenn diese oder jene EU-Reform noch durchgesetzt werden würde.
Flaschenpost: Wie genau entstand die Idee und das Konzept für dieses Video?
Sebastian: Ich hab in vielen Gesprächen mit Freunden festgestellt, dass wir alle eigentlich kein Bock mehr auf die EU haben. Und das gilt selbst für die gesellschaftlichen Sphären, die eigentlich sehr liberal und offen sind. Einer der Hauptursachen für diesen irre großen und weit verbreiteten EU-Frust ist (meiner Meinung nach), dass die EU noch immer ein extrem undemokratischer Laden ist, bei dem das Volk über das Parlament gerade mal „mitreden“ darf, aber im Verhältnis zu Kommission und Rat noch immer ziemlich machtlos sind. Echte politische Machtwechsel (aka „Abwahl“) durch das Volk sind sogar unmöglich. Durch diesen Frust haben wir vergessen, warum wir dieses „EU-Ding“ überhaupt machen und warum wir überhaupt noch zur Wahl gehen sollten. Die Motivation, die Euphorie und die Vision für ein gemeinsames Europa sind verflogen, auch weil die anderen Länder möglicherweise diese „deutsche Vision“ nie geteilt haben und entsprechend die von uns stets beabsichtigte verstärkte Integration nicht unterstützen. Ganz konkret stand also die Frage im Raum: Wenn die EU also in gewisser Weise mit diesem großen Ziel gescheitert ist, warum machen wir das überhaupt noch? Wozu noch wählen? Was hat uns die EU überhaupt gebracht? Genau letztere Frage drehte sich bei mir im Kopf und zuerst wollte ich ein Video mit den „Sternstunden“ des EU-Parlaments zusammenschneiden. Beispielsweise wie Herr Schulz mit Berlusconi im Parlament abrechnet, wie dem Mädchen aus Afghanistan der EU-Parlamentspreis übergeben wird, oder wie einige Abgeordnete sich die Anonymous Masken bei der ACTA-Ablehnung aufsetzten. Leider stellte ich bei der Recherche fest, dass es unglaublich schwer ist, an das entsprechende Video-Material heranzukommen und die Rechteklärung wahrscheinlich ca. 1 Trillion Jahre gedauert hätte. Während ich also auf YouTube trotzdem weiter nach Videoschnippseln für meinen EU-Parlaments-Super-Cut suchte, gingen mir irgendwann die spontan sinnvollen Suchbegriffe aus. Eher aus Versehen gab ich „Was hat die EU je für uns getan“ ein und es kam Monty Pythtons Szene „Was haben die Römer je für uns getan“ raus. Und dann war alles klar. Ich warf meine ursprüngliche Idee über den Haufen und entschied mich statt eines Supercuts für eines Mauerbericht in Form diesen Sketch-Remakes… Die Entscheidung für Netzneutralität und die Europäische Datenschutz-Richtlinie kamen übrigens leider zu spät für das Video. Aber es sind genau solche Dinge, die eigentlich echt toll sind und die wir vor lauter Frust vergessen.
Flaschenpost: Gab es besondere Statistiken zur Wahlbeteiligung und dem EU-Interesse, die beeindruckten oder als gar Inspiration dienten? Inwiefern ist das Video eine Reaktion auf bestimmte politische Bewegungen auf deutscher und EU-Ebene?
Sebastian: Besondere Statistiken gibt es nicht. Klar aber ist, dass es in ganz Europa einen Anti-EU-Trend gibt und bei der jetzigen Wahl höchstwahrscheinlich viele Anti-Europäische Parteien ins EU-Parlament einziehen werden (in Deutschland die „AfD“). Grundlage für meine Gedanken waren aber keine Statistiken oder die AfD im Besonderen, sondern der tatsächlich auch von mir und meinen Freunden „gefühlte“ EU-Frust. Nicht mal ich – als ein großer Anhänger der „europäischen Idee“ – bin noch richtig happy. Wir brauchen eine neue Begründung, eine neue „Idee“ für die EU. Und diese darf nicht mehr die viel zu hoch gegriffene, idealistische „europäische Föderation“ sein. Wir brauchen einen viel pragmatischeren Ansatz, der die EU als das sieht, was sie tatsächlich ist: Ein praktisches Tool, zur politischen Koordination von 28 Kleinstaaten, die so ihre Konflikte aushandeln können. Wir brauchen weniger Pathos und Gefühls-Schwelgen und müssen die „Nützlichkeit“ dieser 28-Staaten-Koordinierungsstelle in den Vordergrund stellen. Mit „wir“ meine ich dabei alle, die die Idee der EU verteidigen wollen.
Flaschenpost: Wie war der Ablauf des Wettbewerbs? Wie wurde das Projekt finanziert?
Sebastian: Es gab Anfang März die Ausschreibung, auf die ich mich Mitte März beworben habe. Anfang April hab ich Bescheid bekommen, dass ich „gewonnen“ hab. Danach hab ich vier Wochen intensiv gearbeitet, um aus dem Film den Clip zu machen. Gewinnen in Anführungszeichen, da ich ja selbst keinen Mehrwert hatte, sondern – im Gegenteil – meine Freundin noch weniger zu Gesicht bekommen hat, als sonst schon… Für den Film standen dann allen drei Gewinnern jeweils 5000 Euro bereit, die wohl von der Staatskanzlei Niedersachsen kamen. Das Geld wurde zu 100% in Schauspieler, Komparsen, Location, Regie, Technik, Requisite etc. investiert. Ich selbst bin sogar mit einem kleinen Minus rausgegangen.
Flaschenpost: Wie lief der Dreh ab?
Sebastian: Auf Grund des begrenzten Budgets haben wir alles in einem Drehtag gemacht. Zum Glück konnten wir einen Tag vorher aufbauen. Als Drehort haben wir einen sanierungsbedürftigen Keller in einem Kreuzberger Jugendzentrum gefunden, der groß, dunkel und leise genug war. Am Set waren am Ende erstaunliche 22 Personen. Da dies mein erster „Film“ war, den ich produziert habe, war das auch für mich ein Novum. Ich hatte selbst nicht geahnt wie viel Aufwand und Koordination selbst so ein kleiner Clip macht. Die Fotos vom Set zeigen die Stimmung sehr gut.
Flaschenpost: Was ist der Hintergrund der Beteiligten? Wie viel Film- und Politikerfahrung haben sie?
Sebastian: Ich bin 30 Jahre, alt, bin Politikwissenschaftler und bin offiziell als „Social Media Experte“ beschäftigt. Meinen kompletten Hintergrund könnt ihr aus meiner Website erschließen. Da ich für Idee, Script und Produktion zuständig war, lag der größere Teil der politisch-konzeptionellen Arbeit auch bei mir. Ich hab aber auch Inputs von den Schauspielern, Freunden und auch via Twitter berücksichtigt. Dies war mein erster Film. Etwas mehr Erfahrungen hatte die Regisseurin eingebracht, die mir bei der Vorbereitung, der Planung und dem Casting extrem geholfen hat.
Flaschenpost: Was sind die nächsten Schritte, welche Pläne gibt es zur Weiterverbreitung?
Sebastian: Bisher habe ich nur ein paar Freunde angeschrieben und bislang (Stand 03.05.) mahr als 25.000 Aufrufe erreicht. Jetzt soll die eigentliche Kampagne für den Clip beginnen. Dazu ist geplant, über soziale Netzwerke täglich Fakten zu posten, was die EU tatsächlich für uns schon alles getan hat. Das sollen möglichst ungewöhnliche und bisher eher wenig bekannte Dinge sein. Jeder dieser Fakten beinhaltet einen Link zu unserer Website, wo die Leute dann den Clip finden. Ich hoffe so, noch mehr Leute für meine Idee einer pragmatisch-positiven Idee für Europa zu gewinnen. Ich hoffe auch noch, dass das Europaparlament und die zwei Spitzenkandidaten, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, den Clip twittern und facebooken. Vielleicht zeigen sie sie auch bei Ihren Wahlkampfauftritten auf den Plätzen Europas? Ich weiß nicht, ob sie so viel Humor haben. Ich fänd’s großartig und mit der CC-Lizenz können sie es ja problemlos. Hattest Du eigentlich gesehen, dass wir den Clip auch in Englisch produziert haben? Der gewinnt nur langsam Aufmerksamkeit, da die meisten meiner Freunde Deutsche sind. Und wer weiß, vielleicht posten es ja auch die Jungs von Monty Python. Ich werde sie zumindest mal anschreiben 😉 Wir haben übrigens noch mit dem gleichen Team eine zweite Szene aus das Leben des Brian nachgestellt, die wir in ca. zwei Wochen ebenfalls veröffentlichen werden.
Flaschenpost: Welche Reaktionen gab es bisher?
Sebastian: Am schnellsten war bisher die Piratenpartei, die es bereits auf Twitter, Facebook und Google+ verbreitet hat. Aber auch in der SPD, Linkspartei und Grünen gibt es mehr und mehr Arbeitsgruppen und Einzelpolitiker, die das Video verlinken. Die Konservativen tun sich leider bisher damit noch schwer. Dabei, finde ich, könnte gerade ihnen es helfen, Wähler von der Abwanderung an den populistischen, rechten Rand abzuhalten. Die meisten Reaktionen sind positiv oder richtig begeistert. Einige wenige sind verwirrt, zumindest solange bis sie sich das Video anschauen. Interessant sind die EU-Gegner, die sich hier besonders vorgeführt sehen und insofern natürlich viel unter dem Video schimpfen und es als „einseitige Propaganda“ bezeichnen. Eine bessere Bestätigung, dass das Konzept aufgegangen ist, kann man ja fast nicht bekommen… 😉
Flaschenpost: Gibt es noch etwas, das du hinzufügen möchtest?
Sebastian: Ja. Durch die intensive Beschäftigung mit den Clips habe ich gemerkt, wie viel Genie und Perfektion im Werk der Monty Python Gruppe liegt. Das Original ist unerreichbar und verdient meine größte Anerkennung! Und wer darf, sollte natürlich wählen gehen. Wie man z.B. an Netzneutralität und Datenschutz sieht, bringt es tatsächlich was.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.