2003 wollte sich München „frei von Windows“ machen. Der Stadtrat beschloss mit dem damaligen Bürgermeister Ude gemeinsam, LIMUX auf die rund 14.000 städtischen Computer installieren zu lassen. Das Mamutprojekt MiLux sollte 30 Millionen Euro kosten und über mehrere Jahre laufen.Der Umstieg ist schon lange gemacht, 15.000 Rechner der Stadtverwaltung laufen inzwischen unter LIMUX, 3000 Rechner laufen unter Windows 7, die hauptsächlich in Bildungseinrichtungen der Stadt Verwendung finden und größtenteils gespendet sind.
Mit dem neuen Oberbürgermeister Reiter, SPD, zog ein Mann ins Rathaus ein, der die Verwendung von Linux auf den Prüfstand bringen will. Für ihn hinkt Open-Source-Software den Lösungen von Microsoft hinterher, die damalige Entscheidung für Linux habe ihn überrascht. Ihm zur Seite springt der 2. Bürgermeister, Josef Schmid von der CSU. Der hadert mit dem ganzen Projekt. Er vermisste Anwender-Programme auf den Bürorechnern und zahlreiche Funktionen, die „sonst gängig sind“.
Der Stadtrat wiederum spricht den Bürgermeistern die Kompetenz ab und verteidigt den Entschluss von 2003 als mutige Entscheidung. Wir fragten Thomas Ranft, Pirat und Stadtrat in München, nach seiner Einschätzung.
Flaschenpost: Werden die Uhren in München zurück gedreht?
Thomas Ranft: Die Uhren in München werden sicher nicht zurück gedreht. Allein die Tatsache, dass die Landeshauptstadt für einen dreistelligen Millionenbetrag ein neues Rechenzentrum baut und die Geschäftsführung von it@m (IT@München, eine Tochtergesellschaft der Landeshauptstadt) sich vor Anfragen aus anderen Städten für Informationsbesuche nicht retten kann, spricht dagegen. Würde man das alles zurückdrehen, hätte man viel, viel Geld der Steuerzahler verbrannt. Außerdem müsste man, würde man die Open-Source-Software gegen Windows austauschen, erneut Millionenbeträge investieren, um diese Software zu installieren.
Flaschenpost: In München ist die SPD ist mit der CSU selten einer Meinung. Warum ist es bei diesem Thema anders?
Thomas Ranft: Ersteinmal ist es die Einzelmeinung des SPD-OB und seines CSU-Stellvertreters. Selbst ein CSU Kollege aus dem IT-Ausschuss hat die Aussage des 2. Bürgermeisters als Einzelmeinung eines Juristen bezeichnet. Auch die Mitglieder von CSU und SPD im Ausschuss stehen hinter der Open-Source-Software und haben das auch öffentlich erklärt. Das deckt sich auch mit meinem persönlichen Eindruck aus den Ausschuss-Sitzungen. Alle anderen Fraktionen, inklusive der Meinen, stehen übrigens auch dahinter.
Flaschenpost: Dieter Reiter fädelte den Umzug der Microsoft-Zentrale vom Stadtrand Münchens in die Innenstadt ein. Könnte es Absprachen geben die wir nicht kennen?
Thomas Ranft:Mir sind keine Absprachen bekannt. Und selbst wenn es sie gäbe, würden sie nichts nützen, da letztendlich der Stadtrat entscheidet und der steht geschlossen hinter LIMUX.
Flaschenpost: Ist Reiters Kritik an der „nicht mehr zeitgemässen IT-Infrastuktur“ aus der Luft gegriffen?
Thomas Ranft: So ganz ist diese Kritik nicht aus der Luft gegriffen, aber falsch formuliert. Was man aus der Verwaltung hört, ist ein nicht näher definierbares „Grummeln“ über das EDV-System. Wobei man wissen muß, dass LIMUX oft als Sündenbock für nicht funktionierende Verwaltungsabläufe herhalten muß. Das ist, wie wir wissen, in großen Firmen nicht anders. It@m setzt eben auch bei den Sicherheitszertifikaten hohe Standards, was auch gut und sinnvoll ist, aber die Implementierung neuer Anwendungen nicht einfacher macht und bei der Entwicklung Zeit braucht. Nahezu 30.000 Mitarbeiter arbeiten in der Stadtverwaltung mit LIMUX, haben aber in der Regel zuhause andere Systeme, was sicher eine gewisse Aversion gegen die Software am Arbeitspaltz mit sich bringt. Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen Referate der Stadtverwaltung in den seltensten Fällen übergreifend arbeiten und untereinander nicht kommuniziert wird. Synergien werden hier viel zu selten genutzt.
Flaschenpost: Was kann man machen, um diese Reibungsverluste bei LIMUX zu beseitigen?
Thomas Ranft: Zuerst gehört eine umfassende Bestandsaufnahme auf den Tisch, wo diese Reibungsverluste liegen. Ich habe dazu mit unserer Fraktion jetzt gerade eine Anfrage eingereicht, in der der Oberbürgermeister detailliert Auskunft geben soll, wo es hakt. Ist es die Ebene der Verwaltungsstruktur, nicht geeignete Hardware, nicht vorhandene Kommunikation oder hat die verwendete Software Schwächen? Aufgrund der Komplexität der Materie, es soll für jedes einzelne Referat berichtet werden, erwarten wir eine Antwort auf diese Anfrage im letzten Quartal diesen Jahres. Liegen diese Informationen vor, kann man gezielt daran gehen, Schwachstellen zu beseitigen.
Flaschenpost: Hat sich Linux also bewährt?
Thomas Ranft: Ja, Linux hat sich bewährt. Sie hat die Stadt zum einen unabhängig gemacht und dem Bürger Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich gebracht. Berlin muss jetzt Millionen ausgeben, um seine Rechner von Windows XP auf eine neue Systemsoftware umzustellen, weil Microsoft den Support für Windows XP dieses Jahr eingestellt hat. Das bleibt uns Münchnern erspart!
Flaschenpost: Welche Möglichkeiten haben Reiter und Schmid den Angestellten wieder Windows vorzusetzen?
Thomas Ranft: Keine! Ohne einen Beschluss des Stadtrates ist das nicht möglich und diese Mehrheit sehe ich nicht und wird es mit mir und meiner Fraktion auch nicht geben.
Flaschenpost: Danke Thomas, hoffen wir, dass Bayern bleibt wie Bayern ist: Mit Linux in Münchens Stadtverwaltung.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.