
Piratenpartei-Flyer als Schiff |Piratenpartei Deutschland||CC BY 2.0|

Armut ist ein Phänomen, das wir längst besiegt glaubten. Wir leben in Deutschland, in einer gefestigten Demokratie und verzeichnen seit Jahren ein solides Wirtschaftswachstum.
Uns sollte es laut der volkswirtschaftlichen Bilanzen immer besser gehen. Für diejenigen, denen es nicht so gut geht, gibt es ja das sogenannte „soziale Netz“. Durch das verbriefte Recht der sozialen Gesetzbücher wird jedem geholfen, wortwörtlich steht im §1 SGB II: “Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.”
Klingt nach stetigem Fortschritt, nach zunehmender sozialer Gerechtigkeit-
Früher war das nicht so….
Beispielsweise kann ich mich noch an meine Großmutter erinnern. Sie stammte aus Polen und hat nie richtig Deutsch gelernt. Nimm mehr Butter, Kindchen, hat sie öfter gesagt. „Würde“ war ihr egal, „soziale Gerechtigkeit“ war für sie wenig maßgeblich. So viel zu der prägenden Erfahrung der Nachkriegszeit bei einem Menschen, der wirklich arm war und es ein Leben lang blieb. Das ist vorbei, sollte man meinen, zum Glück !
Wären da nicht diese Nachrichten, dass neben der unserer positiven Wirtschaftslage auch die Armutsquote ein Rekordhoch erreicht hat. Bereits Ende letzten Jahres präsentierte der Paritätische Wohlfahrtsverband den Armutsbericht 2013 und legte in diesem Jahr einen weiteren differenzierten Bericht zum Thema „Armut in Deutschland“ vor.
Schon im ersten Teil des Armutsberichts wurde deutlich, dass in unserem Land die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinander klafft: Seit 2006 ist die Armutsquote in Deutschland kontinuierlich gestiegen und zwar jüngst auf 15,2 %. Das heißt, 15,2 % der Menschen in Deutschland gelten als arm.
Unterschieden nach Regionen ergibt sich im Ruhrgebiet eine Quote von 16,6 % beim Schlusslicht Bremen 23,1% .
Ebenfalls stark getroffen sind Sachsen (18,9%), Sachsen-Anhalt (20,9%), Berlin (21,2%), Brandenburg (18,3%), Mecklenburg-Vorpommern (22,9%) sowie verschiedene Städte.
Dem Bericht zufolge droht in verschiedenen Regionen das Wegbrechen der Wirtschaftskraft, die Vernichtung sozialer Infrastruktur und die soziale Verödung ganzer Regionen.
Demgegenüber verbesserten Bayern (11,1%) und Baden-Würtenberg (11,2%) ihre Position weiter, wodurch sich die Kluft zwischen zunehmend ärmeren und reicheren Bundesländern manifestiert.
Die nationale Armutskonferenz (nak) bewertete die Ergebnisse der ersten Studie als alarmierend. Deshalb forderte die Armutskonferenz schon vor Monaten die Erhöhung der Regelsätze der ALG II Empfänger, mehr Beschäftigungssmodelle für Langzeitarbeitslose und die Verstärkung des sozialen Wohnungsbau.
Diese Forderungen wurden durch den zweiten Teil des Armutsberichtes des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes eindrucksvoll untermauert:
Armutsgefährdet sind Arbeitslose (59,3 %) und Alleinerziehende (41 %), zunehmend ältere Menschen (14,3%); auch noch im Fokus die Kinderarmut (15,1%).
Immer mehr ALG II -Empfänger verschulden sich aufgrund der zu niedrigen Regelsätze. 2012 mussten 16.833 die Jobcentermitarbeiter Darlehensanträge bearbeiten, was belegt, dass die Grundsicherung kaum für das Notwendigste ausreicht.
Verschlechtert hat sich die Situation der Langzeitarbeitslosen, denn die Fördermaßnahmen hatte die Merkel- Regierung halbiert, also 50% gestrichen. Damit musste ein erhöhter Verwaltungsaufwand finanziert werden.
Zunehmend mehr Menschen arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen (Midi oder Mini-Jobs) und sind mit der Arbeitslosigkeit sofort auf Aufstockung durch Hartz IV angewiesen. In Essen bezogen 83% der Erwerbslosen Arbeitslosengeld II. Die Arbeitslosenversicherung greift nicht mehr- die Dunkelziffer der Menschen, die Leistungen beziehen könnten, dies aber nicht wollen ist, kann nur geschätzt werden. Mutmaßlich kommen auf einen Leistungsbezieher zwei Berechtige, die verzichten.
Besonders ineffizient war die Familienpolitik: Das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder (BUT) wurde kaum in Anspruch genommen. Nur 60,4 % wurden wie vorgesehen verwendet. Von dem wenigen abgerufenen Geld kam bei den Kindern noch weniger Leistung an als vorher. Die Gründe dafür sind vielschichtig, möglicherweise wussten die Eltern nicht, was ihren Kindern zusteht oder sie wollten die Diskriminierung der Kinder durch die Inanspruchnahme des BUT vermeiden.
Der größte Teil der geplanten Gelder des BUT ging erneut für Verwaltungsaufwand drauf: Die Gelder für die Kinder überwies der Bund pauschal an die Kommunen. Diese zweckentfremdeten die nicht abgerufenen Gelder für eigene Zwecke, um ihre Haushalte zu entlasten.
Und schließlich wurde ja noch das umstrittene Betreuungsgeld eingeführt: Da ohnehin nur Ein-Einkommen-Familien davon profitieren konnten, blieb im Fazit nicht mehr als eine hohe Investition in ein überkommenes, altmodisches Familienmodell. Denn nicht einmal wirklich bedürftigen Eltern konnte diese teure Maßnahme helfen, weil das Betreuungsgeld auf den Regelsatz bei Hartz IV angerechnet wird. Abschließend wären da noch gesetzliche Missgriffe bei Renten, Kranken- und Pflegeversicherung—
Alles in allem ist der Armutsbericht 2013/14 ein Armutszeugnis für die Merkel-Regierung. Aber für die GroKo sieht es auch nicht besser aus: Der gepriesene Mindestlohn von 8.50 € sichert den Menschen nicht die Existenz sondern den Gang zum Jobcenter als Aufstocker. Denn das Höchsteinkommen liegt unter dem Regelsatz von Hartz IV. Im Grunde ist dies jedem klar, der einen Taschenrechner hat. Wer 37,7 Stunden arbeitet erhält 1.036 € netto, schon wenn die Miete 350 €uro kostet, reicht das Geld nicht mehr für das Lebensminimum.
Meine Großmutter kann sich jeder irgendwie vorstellen, aber die Zahlen der Statistik sind anonym und damit auch die Menschen. Sie sagen uns, dass zum Beispiel in Berlin jeder fünfte Mensch als „arm“ gilt und dass das Folgen hat – für uns alle! Denn je nach Bundesland wird die Anzahl der armen Menschen größer. Das ist eine Kettenreaktion. Geschäfte geben auf, die Verkehrsinfrastruktur lohnt nicht mehr, Menschen ziehen weg, die soziale Verödung ganzer Gebiete folgt.
Auch das alles klingt abstrakt.
Weil wir sie nicht sehen, diese neue Armut in unserem Land. Zu lange schon glaubten wir diese Krankheit besiegt zu haben. Außerdem will keiner arm sein, nicht mal die Menschen, die es wirklich sind.
Armut stigmatisiert, für Armut schämen sich Menschen und Armut darf keiner sehen.
Also hatte es meine Großmutter eigentlich ganz gut, denn sie war stolz darauf, arm gewesen zu sein und es trotzdem geschafft zu haben, vier Kinder zu ernähren und groß zu ziehen. Heute wäre ihr ihre Armut peinlich. Sie würde darauf achten, ihre Lebensmittel von der Tafel zu holen und sich gleichzeitig möglichst schick zu kleiden, damit sie niemand bemitleidet oder als das erkennt, was sie ist: arm.
Aber da war doch was:
§1 SGB II : “Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.”, heißt es in unseren Sozialgesetzbüchern.
Der wohlklingende Satz ist das Papier nicht wert, auf dem er steht.
In Wirklichkeit sind wir der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit kein Stück näher gekommen.
Dabei gibt es Lösungen, die gerechter sind, als ein kümmerlicher Mindestlohn von 8.50 €uro oder eine Erhöhung der HartzIV-Regelsatzes um 8 €uro:
Schon vor Jahren haben Wissenschaftler durchgerechnet, dass das BGE keine Utopie bleiben muss, wenn, ja wenn wir das denn wollen.
Wenn wir dafür kämpfen! Wenn wir durchsetzen wollen, dass das Wirtschaftswachstum bei den Menschen ankommt! Wenn wir ernst machen möchten mit den Phrasen, die Politiker gerne erwähnen, wie gesellschaftliche Teilhabe, Menschenwürde und dieser ganze Luxus, den wir uns im Moment angeblich nicht leisten können.
Wir Piraten fordern die Einführung des BGE als notwendigen Schritt in Richtung soziale Gerechtigkeit.