
Plakat der Piraten: «Ja zum doppelten Pukelsheim» | CC-BY David Herzog

Als letztes Jahr im Kanton Zug der Doppelte Pukelsheim eingeführt wurde, war das ein kleiner Erfolg für die Piraten. Denn die bürgerlichen Parteien stemmten sich vehement gegen die Idee, jede Stimme im Kanton gleich stark zu gewichten. Und da die wenigen befürwortenden Kräfte keine Kampagne führen wollten, kämpfte die Piratenpartei Zentralschweiz alleine dafür, das damals gültige, unfaire Sitzverteilungsverfahren abzulösen. Mit 80% Zustimmung entschied sich das Volk dann deutlich für die Position der Piraten und gegen die ablehnende Haltung der wählerstärksten Parteien. Allerdings führte das Parlament kurz darauf künstliche Hürden ein, um Sitzgewinne zu erschweren. So kommt seither im Kanton Zug nur ins Parlament, wer in einem der Wahlkreise mindestens 5% der Stimmen erreicht, oder 3% über den ganzen Kanton verteilt.

Zur Abstimmung über den Doppelten Pukelsheim kam es, weil das Bundesgericht das alte System als verfassungswidrig eingestuft hatte – wegen den sehr hohen Hürden, die sich aufgrund von kleinen Wahlkreisen ergaben. Mit dem neuen Verfahren wurde diese Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft, jede Stimme zählt nun gleich viel. Doch genau das war dem Kantonsrat, also dem Parlament des Kantons Zug, ein Dorn im Auge. CVP-Kantonsrat Heini Schmid, damals Präsident der vorberatenden Kommission, begründete den Bedarf einer künstlichen Hürde folgendermaßen: «Wir wollen nicht, dass am Ende der Kantonsrat sich nur noch aus einem Sammelsurium von Piraten, Freibeutern und anderen Splittergruppen zusammensetzt.» Mit dieser Argumentation schien er das Parlament zu überzeugen, der Antrag wurde mit einer klaren Mehrheit angenommen – entgegen der Empfehlung des Regierungsrats (der Exekutive), der betonte, dass keine Gefahr der Parteienzersplitterung bestehe und dass es sinnfrei sei, die durch den Doppelten Pukelsheim gewonnene Gleichheit direkt wieder einzuschränken.
Weil die Piraten eine Beschwerde gegen diese Hürde eingereicht haben, weckten die Aussagen Schmids mediales Interesse. Denn seine Begründung für das Quorum richtete sich explizit gegen die Piraten – eine Minderheit, die bei den anstehenden Wahlen durchaus Chancen hatte, in das kantonale Parlament einzuziehen. In einem Interview mit der Zuger Zeitung reflektiert Schmid: «Rückblickend war es politisch gesehen nicht die geschickteste Formulierung», und betont, nichts gegen die Piraten zu haben. Grundsätzlich gehe es ihm darum, dass es schwieriger ist, Allianzen zu bilden, wenn kleine Parteien ins Parlament einziehen. Er stellt dann die rhetorische Frage: «Was ist wichtiger: die Funktionsfähigkeit des Parlaments oder die Kleinstparteien?» Eine geschickte Frage, denn damit spielt er eine Minderheit gegen die Funktionsfähigkeit des ganzen Systems aus. Die eigentliche Fragestellung lautet aber: Braucht es in einer Konkordanzdemokratie überhaupt Hürden, damit ein Parlament funktioniert? Schmid bejaht dies implizit und meint: «Ohne Klausel hätten 1,25 Prozent [der Stimmen] gereicht, um einen Sitz im Kantonsrat zu holen. Und das ist doch sehr wenig. Meiner Ansicht nach ist es gerechtfertigt, dagegen Vorkehrungen zu treffen. Es ist ein vernünftiger Grund, um die freie Meinungsbildung einzuschränken.» Er schließt daraus, dass es in Ordnung ist, eine Hürde für den Einzug ins kantonale Parlament zu setzen.
Der Politologe Adrian Vatter kann Schmids Überlegungen nachvollziehen. Er ist Professor für Schweizer Politik sowie Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und erklärt: «Die Quoren dienen zur Eindämmung der Zersplitterung der politischen Kräfte im Parlament. Die Schweiz als typische Konkordanzdemokratie verfügt über eines der fragmentiertesten (d.h. zersplittertsten) Parteiensysteme, was die Mehrheitsbildung im Parlament erschwert.» Eine Konkordanzdemokratie stehe folglich immer im Zielkonflikt zwischen Minderheitenschutz und funktionierendem Regieren. Dabei sei wichtig, wie groß und repräsentativ die Minderheit noch ist, welche durch ein Quorum nicht in das Parlament einziehen kann. Vatter findet, das Problem der künstlichen Hürden werde überschätzt: «Die effektiv problematischen Wahlhürden sind die kleinen Wahlkreise mit wenig zu wählenden Sitzen, die de facto Wahlerfolgsschwellen von 20-30% schaffen, also viel einschneidender sind als Quoren.»

Völlig anderer Meinung ist Stefan Thöni, Wahlkampfleiter der Piraten für die letzten Zuger Kantonsratswahlen. Er hat die Klage geschrieben und findet: «Gerade die Konkordanzdemokratie hat im Gegensatz zur Konkurrenzdemokratie keinen Bedarf für feste Mehrheiten.» Das zeige sich durchwegs in Schweizer Parlamenten, wo die Fronten oftmals quer durch die Fraktionen verlaufen und es trotzdem zu tragfähigen Mehrheiten komme. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, das Wahlrecht einzuschränken: «Jedes Quorum, das einer Partei einen Sitz wegnimmt, beraubt eine Minderheit ihrer Stimme und ihrer Vertretung im Parlament. Die Hürde ist höchst bedenklich und einfach unnötig. Ich sehe es positiv, wenn mehr kleine statt große Parteien im Parlament vertreten sind und damit die Meinungsvielfalt zunimmt.» Außerdem gebe es mildere Mittel, um die Funktionsfähigkeit des Kantonsrats zu erhalten. Thöni schlägt Kommissionssitze für fraktionslose Kantonsräte und eine Kontingentierung für Einzelvorstöße vor.
Das Zuger Verwaltungsgericht hat die Beschwerde zwischenzeitlich als unbegründet abgewiesen. Thöni erklärt: «Die Richter waren einem enormen politischen Druck ausgesetzt, gegen uns zu entscheiden. Trotzdem hat uns das Verwaltungsgericht in wesentlichen Punkten bereits recht gegeben. Den letzten Schritt zur Verfassungswidrigkeit der Hürde hat es dabei leider nicht gemacht. Deshalb wollen wir nun ein Urteil des Bundesgerichts, das auch geographisch nicht so nahe an der Sache dran ist.» Wer am Ende recht behält, entscheidet also das höchste Schweizer Gericht. Dies kann gemäß Thöni aber durchaus noch einige Monate dauern. Konkret fordern die Piraten eine Wiederholung der Wahlen und eine aufschiebende Wirkung bis zum Urteil. Da es sich um einen Präzedenzfall handelt, bleibt es spannend.