Die AG Außen- und Sicherheitspolitik will mit ihrer Konferenz „Sicherheit nach Snowden“ klären, welches die Bedrohungen nach dem kalten Krieg sind, wie wir unsere Infrastruktur schützen und ausbauen können und auch, was eigentlich unter dem Begriff „Terrorismus“ zu verstehen ist. In den Münchner Ringstudios trafen sich rund 70 Teilnehmer (und 40 im Stream).
Ein Risiko wird berechnet aus der Mulitplikation aus möglichen Schäden und der Wahrscheinlicheit, dass dies passiert. Donald Rumsfeld beschrieb vor einiger Zeit den Feind dieser Risikobewertung, indem er die einzelnen Faktoren dieser Formel aufzählte: „Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen, Dinge von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen und Dinge von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen“. Nach dieser Logik wird die Risikokalkulation sinnlos, denn wir wissen nicht, ob es nicht unbekannte Dinge gibt, von denen wir nicht wissen, dass es sie gibt. Für Dr. Mark Daniel Jaeger gehört das zu den neuen Herausforderungen von Sicherheitspolitik unserer Zeit. Nun ist es allerdings auch so, dass wir es uns nicht leisten können, uns gegen alle Risiken zu wehren, also müssen wir verhindern, dass es passiert! In der digital vernetzten Gesellschaft ist alles voneinander abhängig. Kritische Infrastruktur ist somit auch immer verwundbar. Was macht Infrastruktur kritisch? Nicht die Gefährdung, sondern die potentiellen Auswirkungen von Angriffen! Zur Gefahrenabwehr werden immer mehr Daten ausgewertet. Durch die Verlagerung nahezu jeder Kommunikations ins Internet ist dies, technisch gesehen, nicht besonders aufwändig. Eine Folge davon ist, dass unsere Kommunikation immer weniger vor dem Mitlesen Dritter geschützt ist. Für Jaeger besteht die Herausforderung der Zukunft darin, das Recht auf Privatheit mit der Sicherheitspolitik wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Dr. Rob Imre sprach über sein Forschungsgebiet, die Medialisierung und Kapitalisierung des
Überwachungssystems. Für ihn waren die Enthüllungen von Edward Snowden nicht überraschend. Dass mit „Five-Eyes“ und ähnlichem eine gigantische Überwachungsmaschinerie läuft, war weitgehend bekannt. So erklärt sich für ihn die allgemeine „Na und?“ Reaktion in der Bevölkerung und großen Teilen der Politk. In Deutschland sorgte einzig die Telefonüberwachung Merkels für größere Aufregung. Das zeigt Imre, dass es heute quasi unmöglich ist, keine Daten zu sammeln, man kann kaum Personen aus Datansammlungen aussparen. Auch die Metadaten sind vorhanden und werden genutzt. Die selbstgestellte Frage „Haben wir ein Überwachungssystem?“, beantwortet er deutlich: „Ich denke ja: Es wurde aufgebaut, mal zufällig, mal absichtlich, mal unabsichtlich, mal geplant, mal alles von dem. Jedenfalls sind die Menschen und ihre Umgebung ständig beobachtet“.
Yvonne Hofstetter ging auf „Schlüsseltechnologien und staatliche Sicherheitsvorsorge“ ein. Für sie ist Deutschland abhängig von ausländischen Digital-Erzeugnissen. In der Sicherheitsvorsorge verliert das Land an Autonomie. Unsere Smartphones, Netzwerkgeräte und ihre Betriebssysteme sind – mit wenigen Ausnahmen – amerikanische Marken. Mit digitalen Schlüsseltechnologien importieren wir deren Geschäftsmodelle, darunter eben auch die Überwachung. Für Hofstetter bringt die Totalvernetzung unseres Alltags hohe Sicherheitsrisiken mit sich. Vielfach aber beschränkt sich die Diskussion um das „Internet der Dinge“ auf eine gesteigerte Verletzlichkeit der Zivilgesellschaft und mögliche IT-Sicherheitsstrategien. Sie sieht in der näheren Zukunft letale Angriffe auf unsere Infrastrukturen. Damit sind nicht nur Rechner- und Netzwerkinfrastrukturen gemeint, denn im Fokus krimineller Energien, aber auch staatlicher Spionage und Sabotage, stehen Kraftwerke, Pipelines oder sonstige systemrelevante Infrastrukturen. Sie schlägt vor, dass, wer aus weltanschaulichen Gründen – auch mit Blick auf Snowden – nicht bei den U.S.A. einkaufen will, auf europäische Partner setzen soll, Partner, die nur für den europäischen Bedarf produzieren. Denn wenn man die gemeinsame (europäische) Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch industriell umsetzen wollte, dann würde das bedeuten: Die beteiligten Länder steuern ihre jeweilige Kernkompetenz in Schlüsseltechnologien bei und als Europäer entwickeln wir eine eigene europäische Infrastruktur der Sicherheitsvorsorge, die „grundrechtssicher“ ist und unsere europäischen Werte auch technologisch berücksichtigt.
Prof. Hans-Georg Fasold ging das Thema „Sicherheit“ aus einer ungewohnten Richtung an: Die Sicherheit unserer Gasversorgung durch Pipelines und in Form von verflüssigtem Gas. Mit der Einsicht „Bis 1998 floss das Gas in Europa immer vom höheren Druck zum niedrigeren. Heute vom niedrigeren Preis zum höheren“ war die Problematik schon gut beschrieben. In den nächsten Jahren wird der Anteil der lokalen Förderung in Europa sinken und bis 2025 bei nahe Null liegen. Daraus folgt die Notwendigkeit größere Gasmengen aus West-Sibirien, der Kaspischen Region und dem Mittlerer Osten nach Europa zu befördern und auch hier zwischenzulagern. Die Speicherung geschieht in porösem Gestein oder Kavernen in Salzvorkommen – darin werden Hohlräume geschaffen, um dort Gas zu lagern. Wegen des stagnierenden Bedarfs und dem Niedergang in der lokalen Gasproduktion werden zusätzliche Speicherkapazitäten geplant. Im Moment sind diese sehr ungleich verteilt: gut in Deutschland, fast keine in England und Irland. In der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg gibt es überhaupt keine.
Es gab weitere Vorträge und Podiumsdiskussionen. So sprach Angelika Beer, sie sitzt für uns Piraten im Kieler Landtag, über die „Cryptowars 3.0 – der Kampf, um unsere Demokratie zu erhalten“, Peter Matthisen über einen umfassenden Ansatz, und Sylvia Johnigk und Kai Nothdurft vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung über den „Cyberspace – eine Kampagne für eine friedliche genutztes Internet“.
Die Piratige Sicherheitskonferenz war alles andere als eine Veranstaltung für Realitätsverweigerer. Dieser Realitätssinn zog sich durch alle Beiträge und kam bei den Teilnehmern gut an.
Die Aufnahmen der Veranstaltung werden in den nächsten Tagen auf der Konferenzseite verfügbar sein.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.