
Große Klobürste in Hamburg #Gefahrengebiet | CC BY-SA 2.0| Sugar Ray Banister

Im Jahr 2007 hatte in Schleswig-Holstein Innenminister Stegner (SPD) mit Hilfe der CDU die Vorschrift zur Einrichtung der Gefahrengebiete zwecks effizienter Terrorismusbekämpfung durchgesetzt. Seitdem machte die Polizei in Schleswig-Holstein immer wieder von dem umstrittenen Gesetz Gebrauch. Aktuell, und das seit 2010, sind große Teile der schleswig-holsteinischen Städte Neumünster, Lübeck und Kiel sowie der Kreise Steinburg, Segeberg, Herzogtum Lauenburg und Stormarn zu sogenannten „Gefahrengebieten“ erklärt worden.
Hinzu kommen definierte Grenzgebiete, die einen rechtlichen Status haben, der ebenfalls anlasslose Kontrollen von Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht.
Gefahrengebiete legalisieren Grundrechtsverletzungen
In diesen von der Polizei eingerichteten Gefahren- sowie Grenzgebieten haben die Beamten weitreichende Befugnisse: Sie dürfen Bürger und Bürgerinnen ohne Verdacht oder Anlass für Polizeikontrollen auswählen. Fahrzeuge sowie deren Kofferräume können unvermittelt untersucht werden. Auf diese Art bestimmt die Polizei, ob sie in die Grundrechte der Bürger eingreift, aber im Gegenzug wissen die Menschen nicht einmal, dass sie sich überhaupt in einem Gefahrengebiet befinden, denn im Gesetz ist eine Informationspflicht nicht vorgesehen. Daher hatten Bürger nicht die geringste Chance, z.B. „gefährliche Gegenstände“ zu Hause zu lassen und wurden von plötzlichen Kontrollen überrascht. In Hamburg richtete die Polizei im Januar 2014 Gefahrengebiete unbekannter Größe ein. Dort stellte die Polizei beim Filzen eines Anwohners eine Klobürste als „gefährlichen Gegenstand“ sicher. Diese wurde zum Symbol für Protest und Widerstand der Bürger in Schleswig-Holstein und Hamburg. Fast eine Million Euro kosteten die zahlreichen, meist sinnlosen Polizeieinsätze die Hansestadt.
Um für die Abschaffung der Gefahrengebiete kämpfen, haben die Hamburger Piraten diesen Punkt in ihr Wahlprogramm aufgenommen und werden engagiert dafür eintreten, wenn sie in den Senat gewählt werden. In Schleswig-Holstein beschäftigt sich die Piratenfraktion, seitdem sie in den Landtag gewählt wurde, mit den „grundrechtsfreien Sonderrechtszonen“ des Landes.
Kein Effekt bei der Kriminalitätsbekämpfung nachweisbar
Die Richtlinien für die Einrichtung eines Gefahrengebietes sind ebenfalls undurchsichtig: Augenblicklich genügt in Schleswig-Holstein eine schriftliche Begründung über sogenannte polizeiliche „Lageerkenntnisse“. Nach welchen Kriterien die Polizei ihre Lagebilder zu erstellen hat und was unter Lageerkenntnissen zu verstehen ist, besagt die Vorschrift nicht. Somit sind die rechtlichen Hürden, die die Grundrechte der Bürger außer Kraft setzen, vergleichsweise gering.
Erst auf den öffentlichen Druck durch die kleine Anfrage der Piraten hin, enthüllte die Landesregierung im Frühjahr 2014, wo sich in Schleswig-Holstein die Gefahrengebiete befinden und wie viele es eigentlich sind!
Genauso schockierend war die Tatsache, dass der mittlerweile zurückgetretene Innenminister Breitner (SPD) nicht mitteilen konnte, ob sich aufgrund der Polizeikontrollen überhaupt Fahndungserfolge ergeben hatten. Somit steht dem Umstand, dass die Grundrechte der Bürger örtlich bedingt außer Kraft gesetzt werden, nicht einmal ein deutlich erkennbarer Nutzen zur Kriminalitätsbekämpfung gegenüber. Aufgrund dessen brachte die Piratenfraktion einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung der unnützen Vorschrift in den Kieler Landtag ein.
Experten bezweifeln Effizienz des Gesetzes und prangern Grundrechtsverletzungen an
Ende Januar 2015 haben sich nun im Innenausschuss diverse Datenschützer, Rechtsanwälte und Verbände mittels schriftlicher Stellungnahmen kritisch zu den anlasslosen Kontrollen in Gefahren- und Grenzgebieten positioniert.
In den 16 Stellungnahmen fielen zum Teil sehr deutliche Worte: „verfassungsrechtliche Bedenken“ hat der Verwaltungsrichterverband , von „stigmatisierenden, anlassunabhängigen Kontrollen“ spricht Dr. Ernst von der Bucerius Law School. Die Strafverteidigervereinigung betonte: „In diesem Bereich sind aber die Grenzen einzuhalten, die durch die Strafprozessordnung und ihre gerichtliche und verfassungsrechtliche Auslegung gezogen werden. Den Mitgliedern der Vereinigung sind auch aus ihrer eigenen Praxis konkrete Fälle bekannt, in denen konkreter Straftaten verdächtigte Personen zum Zwecke der Durchsuchung angehalten wurden, diese Maßnahmen aber als Identitätsfeststellung nach § 181 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 lit.a LVwG begründet bzw. „legendiert“ (ausgegeben) wurden.“ Im Klartext, die Befugnisse sind von den Verantwortlichen missbraucht worden.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ECRI monierte, dass Kontrollen ohne Verdachtsmomente „diskriminierende Praktiken“ befördern würden, ähnlich urteilte Amnesty International. Ganz direkt fordert der ISD Bund e.V., Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die Landesregierung zur Zustimmung zum Antrag der Piraten auf:
Anlassunabhängige Ermächtigungsgrundlagen sind auf eine diskriminierende Polizeipraxis angelegt und führen im Ergebnis zur verfassungswidrigen Praxis des Racial Profilings. Es beschreibt die diskriminierende Verwendung von Zuschreibungen wie ethnische Zugehörigkeit, phänotypische Merkmale, nationale Herkunft u.a. als Grundlage für polizeiliche Identitätskontrollen, Durchsuchungen oder gewaltvolle Maßnahmen der Polizei ohne konkretes Indiz. Racial Profiling gilt als Gewalt institutioneller Art, weil sie mit rechtlichen Rahmenbedingungen zusammen hängt. (…) Verdachtsunabhängige Befugnisnormen im Polizeigesetz von Schleswig -Holstein müssen ersatzlos gestrichen werden. (…) Der Gesetzesentwurf ist grundsätzlich positiv zu bewerten, da er einen ersten Schritt zur Bekämpfung von Racial Profiling unternimmt.
Sogar Prof. Hartmut Brenneisen vom Fachbereich Polizei der Fachhochschule für Verwaltung und Dienstleistung erinnerte daran, dass der Innenminister 1997 selbst erklärt habe: „Anlasslose … Kontrollen binden unnütz polizeiliche Ressourcen, ohne dass sie etwas bringen.“ Er will die Vorschrift zumindest nachbessern.
So hat der Gesetzesentwurf der Piraten viel Unterstützung durch Experten erhalten und dies lässt hoffen, dass die etablierten Parteien ihre Haltung überdenken und der anlasslosen Überwachung sowie den erniedrigenden, oft stigmatisierenden Kontrollen der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der sogenannten Gefahrengebieten ein Ende setzen. Wahrscheinlich ist, dass die Gesetzesvorlage zumindest in modifizierter Form angenommen wird. Auch das wäre schon ein kleiner Sieg.
Alle Stellungnahmen sind über die Suchmaske des Landtagsinformationssystems von Schleswig-Holstein nachlesbar.