Die CDU nutzt jede Gelegenheit, um einen stärkeren Staat und schutz- sowie rechtlosere Bürger zu fordern. Das will sie zumindest im Rahmen ihres Weltbildes erreichen, das durch das Gesetz der Herdprämie für jeden leicht nachvollziehbar ist: Die glückliche Kleinfamilie braucht eben keine Bürgerrechte, sondern Sicherheit und eine Frau, die in ihrer Mutterrolle aufgeht, denn zu verbergen hat sie ohnehin nichts.
Erinnern wir uns an die zum Glück seltenen Amokläufe in Deutschlands Schulen. Was wurde von konservativen Politikern nicht alles gefordert? Ein Verbot der „Killerspiele“ und ordentlicher Respekt vor Lehrern sollten zukünftige Amokläufe verhindern. Der damalige Innenminister Schäuble sah auf der anderen Seite keine Anhaltspunkte dafür, dass ein strengeres Waffenrecht die Tat hätte verhindern können. Waffen passen durchaus ins Weltbild der CDU, Computerspiele nicht.
Das Arztgeheimnis ist eines der letzten „Verschwiegenheitsgebote“. Oder, um einen modernen Begriff zu bemühen: Die ärztliche Schweigepflicht ist Datenschutz für Patienten. Dieses hat sich die CDU, wie andere Regelungen zum Datenschutz zuvor, aktuell vorgenommen und schnippelt mit chirurgischer Präzision daran herum: Die ärztliche Schweigepflicht soll halt nicht mehr für jeden gelten. Im Sinne einer sicherheitsbewussten Gesellschaft muss es doch Ausnahmen geben, Ausnahmen von denen die Gesamtgesellschaft profitiert. Hätte der Arzt beispielsweise die Depressionen des Copiloten melden müssen, wäre das Flugzeugunglück nicht geschehen, so die Argumentation der CDU. Klar. Gilt dies dann auch für andere Berufsgruppen? Welche Konsequenzen hätte es für uns alle, wenn die ärztliche Schweigepflicht infrage gestellt wird? Oder anders gefragt: Wer würde mit seinem Arzt noch über psychische Probleme sprechen, wenn zu befürchten ist, dass dieser das Gehörte an den Staatsanwalt oder den Arbeitgeber weiter geben muss?
Das Briefgeheimnis existiert wegen der Telekommunikationsüberwachung und der Einschränkung des Schutzes auf den Transportweg einer Nachricht selbst theoretisch nur noch in Teilen, praktisch gar nicht mehr. Das Bankgeheimnis existiert nicht mehr – auf der anderen Seite ist die Bereitschaft vorhandenen Hinweisen auf Steuerbetrug zu folgen, nicht immer gegeben. Freundschaften zählen eben viel im Weltbild der CDU. Das Beichtgeheimnis ist für Ermittler kein Gegner mehr – wer geht heute noch beichten? Das Kirchenasyl, heute so nötig wie im Römischen Reich, wird aus Berlin heraus langsam sturmreif geschossen.
Ein Einzelfall – zum Glück ein Einzelfall – wird dafür missbraucht, die Balance zwischen Staat und Bürger noch etwas weiter zu verschieben – wie bereits in den letzten Jahrzehnten ausgiebig geschehen. Dabei werden Freiräume der Bürger zunehmend eingeschränkt und abgeschafft bis, über mehrere kleine Schritte, nichts mehr davon übrig ist. Das damalige Bankgeheimnis dient hier durchaus als Beispiel für ein Schutzrecht, dessen Sinn inzwischen von einer Bevölkerungsmehrheit in Zweifel gezogen wird. In keinem anderen Gebiet war Kampagne zum angeblichen Täterschutz erfolgreicher als gerade im Finanzsektor.
Dass das Flugzugunglück von Politkern als gute Gelegenheit wahrgenommen wird, überrascht nicht wirklich. Die Forderungen der CDU sind durchsichtig und im Groben vorhersagbar: Jedes Ereignis mit grossem öffentlichem Interesse dient als Argument für den Ruf nach strengeren Gesetzen und/oder weniger Rechten von Bürgern. Was kein grosses Medienecho hervorruft, taugt nicht für einen kurzen Applaus von den Stammtischen. Dazu zählen beispielsweise die über 3000 Verkehrstoten jedes Jahr. Doch ein Tempolimit passt nicht ins Weltbild einer Partei, deren Mitglieder die Überzeugung vertreten, auch mit 2 Mass noch fahren zu können!
Dass die nach 9/11 verschärften Sicherheitsgesetze die absichtlich verursachte Katastrophe des Fluges 4U 9525 erst möglich machten, kam in der öffentlichen Wahrnehmung leider gar nicht vor. Es waren die Terrorgesetze mit der gepanzerten Cockpittür, die verhinderten, dass der Pilot nicht in Kabine kam, um den Copiloten an seinem Vorhaben zu hindern. Aber auch das passt nicht in das Weltbild der CDU. Wie könnte eines ihrer Sicherheitsgesetze negative Auswirkungen haben?
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.