Seit dieser Woche wird gegen Journalisten ermittelt, die in einem Artikel über geheime Überwachungspläne des Verfassungsschutzes informierten. Es gilt als unwahrscheinlich, dass das
Kanzleramt den Generalbundesanwalt Harald Range lange bitten musste, Ermittlungen gegen netzpolitik.org in die Wege zu leiten. Range, der Ermittlungen gegen die NSA stets mit dem Argumenten der Art “das lässt sich eh nicht aufklären”, ablehnte, informierte diese Woche zwei Redakteure von netzpolitik.org darüber, das gegen sie wegen des Verdachts auf Landesverrat ermittelt wird. Ein Vergehen, das immerhin mit mindestens einem Jahre Freiheitsentzug bestraft werden kann – oder laut des Webauftritts des Generalbundesanwalts selbst mit “lebenslänglich”, je nach Schwere des Falls. Das “Vergehen” der Journalisten: Sie veröffentlichten den als geheim eingestuften Budgetplan des Verfassungsschutzes in voller Länger und berichteten darüber in zwei Artikeln, in denen sie auch Passagen daraus zitierten. In den Artikeln ging es dabei um den Aufbau einer neuen Einheit zur Überwachung des Internets. Nun droht ihnen also ein Gerichtsverfahren und unter Umständen eine lange Haftstrafe.
Journalistenverbände kritiserten die Ermittlungen und bezeichnen sie als Angriff auf die Pressefreiheit. So schrieb der Deutsche Journalistenvernad (DJV) in einer Stellungnahme: “Die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten zeigen, dass der Verfassungsschutzchef in Sachen Pressefreiheit offenbar nicht dazu lernt.” Im Jahr 1962 fand der erste Versuch in der damals noch jungen Bundesrepublik statt, die Freiheit der Presse zu beschneiden. Als Drahtzieher hinter der sogenannten Spiegel-Affäre galt der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Es war der Artikel “Bedingt abwehrbereit” über den Zustand der jungen Bundeswehr, der den Staatsanwälten und wohl auch Strauß zu weit ging. Damals gingen überall in der Bundesrepublik Menschen auf die Straße, um für die Pressefreiheit zu demonstrieren. Selbst die BILD zeigte sich mit dem Spiegel solidarisch und unterstützte die Redaktion mit Räumen, Schreibmaschinen und einer Druckerpresse – das Verlagshaus war schließlich von starken Polizeikräften besetzt, die Telefone wurden abgehört, die leitenden Redakteure waren festgenommen.
Heute ist es ein riskanter Befreiungsschlag, den Kanzleramt, Verfassungsschutz und Generalbundesanwalt mit den Ermittlungen gegen die Veröffentlichung brisanter Informationen starten. Gelingt es, kritische Journalisten zum Schweigen zu bringen, kann von Pressefreiheit nicht mehr gesprochen werden. Findet netzpolitik.org dagegen 2015 die Unterstützung, die dem Spiegel 1962 zuteil wurde, wackeln die Stühle von Kanzlerin Angela Merkel, Verfassungsschutzpräsident Maaßen und Generalbundesanwalt Harald Range ganz erheblich.
Inhaber: netzpolitik.org e. V.
Konto: 1149278400
BLZ: 43060967 (GLS Bank)
IBAN: DE62430609671149278400
BIC: GENODEM1GLS
Zweck: Spende netzpolitik.org
Von Erich Kästner stammt das Zitat “Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird”. Rosa Luxemburg brachte es anders auf den Punkt: “Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln”. Bisher war die Überwachung für die meisten von uns kaum zu spüren und meist folgenlos. Inzwischen sind wir in der Phase, in der Kritiker gefährlich leben. Das bekommen Markus Beckedahl, Andre Meister und Anna Biselli, die kritischen Journalisten von netzpolitik.org, zu spüren.
Das Netz kocht auf jeden Fall. Auf Twitter trendet #Landesverrat inzwischen. Jede Zeitung, jeder Fernsehsender berichtet inzwischen über den Fall. Auch ausländische Medien wie die BBC greifen die Story auf. Was fehlt, sind Spenden und sichtbarer Protest auf der Straße – denn im Internet alleine wird die Freiheit nicht verteidigt. Was auch fehlt, sind klare Aussagen anderer Parteien.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.