Seit dem 3. Oktober 1990 ist Deutschland wieder vereinigt. Ein Feiertag erinnert uns an die Vergangenheit.
Zwei getrennte Staaten: BRD und DDR – dazwischen die Grenze – Trennung zweier Machtblöcke, der damaligen UdSSR und der USA. Kalter Krieg. Getrennte Familien in Ost und West.
Und heute? Kann die persönliche Erfahrung der zwei getrennten Staaten nützlich sein, oder ist sie nur noch für Historiker von Interesse? Jüngere Generationen in Ost und West unterscheidet wahrscheinlich nicht mehr viel – den älteren blieb zum Teil Trauer und Frustration über die missachteten Lebensleistungen, das Gefühl als ehemalige DDR-Bürger Bürger zweiter Klasse zu sein, weil die BRD die politische Richtung der Wiedervereinigung vorgab. Die Folgen waren – statt den von Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften – Arbeitslosigkeit, dünn besiedelte Bundesländer, deren junge Menschen in den Westen zogen, und Benachteiligung in Sachen Lohn und Renten. Auch nach 25 Jahren Einheit sind diese Symptome weiterhin sichtbar.
Wem nutzen diese Erfahrungen?
Dies ist eine Frage, die jeder Leser persönlich beantworten mag.
In unserer Flaschenpost-Redaktion haben zwei Redakteure aus Ost und West ihre Gedanken und Erinnerungen aufgeschrieben.
Christiane vom Schloß:
Ich erinnere mich an die Reaktion meiner Großeltern und meiner Eltern, als die Bilder vom Mauerfall im Fernsehen zu sehen waren. Sie weinten gerührt und glücklich.
Auf einmal war die Familie wieder vereint. Gleich am nächsten Tag standen unsere Verwandten aus Wittenberg vor der Tür. Es erschien mir damals fast irreal, die Familienangehörigen in unserem Wohnzimmer zu begrüßen, die wir normalerweise unter großen Mühen in der DDR besuchten.
Schätzungsweise war ich noch ein bisschen zu jung, um zu verstehen, was die Älteren so bewegte, denn für mich hatte es immer nur das geteilte Deutschland gegeben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie fassungslos erstaunt mein Cousin vor der Auswahl an Lebensmitteln im Supermarkt stand. Vieles gab es in der DDR nicht. Er hatte noch nie Maracujasaft getrunken und war völlig begeistert. Da wurde mir klar, welchen materiellen Reichtum uns der Kapitalismus beschert hatte und wie ungleich er verteilt schien.
In den folgenden Jahren wurde die Einheit langsam zur Selbstverständlichkeit. Meine Verwandten waren Physiker. Es dauerte nicht lange, bis einer nach Texas auswanderte und der andere eine Professur in NRW annahm. Die DDR war schnell verdrängte Vergangenheit. Jahre später ahnten wir, dass es jemanden gab, der im Auftrag der Stasi ein Auge auf die Familie hatte. Es wurde nie darüber gesprochen.
Ich glaube im Nachhinein, dass viele Fragen verdrängt wurden. Die Demokratie, die soziale Marktwirtschaft in der BRD – das schien das zukunftsfähige System zu sein. Heute habe ich Zweifel daran. TTIP und CETA oder Hartz IV – es gibt eindeutig negative Auswirkungen und ungelöste Probleme dieses Systems. 25 Jahre Einheit haben nicht einmal zu gleichem Lohn oder gleichen Rentenzahlungen in Ost und West geführt. Wenn Politiker die Einheit feiern, sollten sie sich dies vor Augen halten, finde ich.
Steve König:
Ich bin fast genau ein Jahr älter als die deutsche Einheit. Von meiner Zeit in der DDR kann ich also nicht wirklich berichten. Allerdings bin ich mein gesamtes Leben im Osten Deutschlands geblieben. Durch Arbeit, Freunde, Verwandte und Reisen kenne ich den Westen Deutschlands mittlerweile ziemlich gut und konnte mir einen guten Eindruck von Städten, Menschen und Lebensweisen machen.
Das Fazit daraus ist ziemlich simpel: Der Unterschied zwischen der ehemaligen DDR und dem Westen verschwimmt immer mehr und ist für Uneingeweihte wahrscheinlich gar nicht mehr wahrnehmbar, wenn man sie nicht darauf hinweist. Natürlich gibt es deutliche Unterschiede in Denkweisen und Mentalitäten der Menschen. Aber das ist nicht nur – und wahrscheinlich auch nicht vorrangig – mit der jahrzehntelangen Trennung Deutschlands zu begründen.
Menschen, die zum Beispiel in Baden-Württemberg aufgewachsen sind, unterscheiden sich genauso sehr von den Norddeutschen aus Schleswig-Holstein wie von denen aus Sachsen. Natürlich sind die Kulturen, je näher sich die Bundesländer sind, ähnlicher. Aber auch beispielsweise Sachsen und Thüringen sind in viele Punkten kulturell sehr unterschiedlich. In manchen Bundesländern ist das sogar innerhalb des Bundeslands der Fall – das beste Beispiel dafür ist wohl Bayern mit Franken, Schwaben, Oberbayern, Niederbayern und Münchenern.
Kulturelle Einzigartigkeit ist gut und wird uns wahrscheinlich immer erhalten bleiben. Die ehemalige Grenze zwischen den deutschen Nationen gerät jedoch immer mehr in Vergessenheit. Ostdeutsche Großstädte wie Leipzig oder Dresden lassen sich – bis auf den ein oder anderen nicht renovierten Plattenbau – kaum noch vom Westen unterscheiden. Vorurteile gibt es, auf beiden Seiten, natürlich immer noch. Ob es nun ein Westdeutscher ist, der denkt, dass der Osten immer noch “Dunkeldeutschland” ist. Oder ein Ostdeutscher, der denkt, dass fast jeder Westdeutsche dieser Meinung ist. Alte Vorurteile sind so schnell nicht ausgemerzt. Aber mit dem Generationswechsel werden sie weniger und weniger.
Die Trennung besteht zum größten Teil eigentlich nur noch wirtschaftlich. Ob indessen alle Maßnahmen der Regierung zum Angleich der beiden Regionen richtig oder falsch waren, sei einmal dahingestellt – in den 25 Jahren hat sich seit der Einheit allerdings viel verändert. Es wird wahrscheinlich noch weitere 25 Jahre dauern, bis der Unterschied komplett verschwunden ist. Eines lässt sich jedoch mit Sicherheit sagen: Die ehemalige Trennung Deutschlands verliert im Alltag immer mehr an Bedeutung und wird irgendwann “nur” noch ein weiteres Ereignis der Geschichte sein.
Und woran erinnert ihr euch?