
(Foto: Thomas Cloer / CC BY-NC-SA 2.0)
Am 12.11. 2015 hat das Vertrauensgremium des Bundestages in geheimer Verhandlung beschlossen, die Anzahl der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes (BfV) um 250 Stellen zu erhöhen. 150 der neuen Verfassungsschützer sollen für die Bekämpfung des Rechtsextremismus eingesetzt werden.
Dies klingt durchaus nach einer sinnvollen Maßnahme, wenn man berechtigterweise annimmt, dass so die Anzahl der durch Rechtsextreme verübten Straftaten effizienter bekämpft werden könnte. Brennende Asylunterkünfte und Anschläge auf Menschen beweisen ja, dass der Handlungsbedarf in Deutschland groß ist.
Doch haben die Untersuchungen rund um die NSU Morde gezeigt, dass der Verfassungsschutz eins nicht als seine Aufgabe ansieht; nämlich die Verbrechensbekämpfung selbst. Viel mehr geht es darum, zahlreiche Informationen zu sammeln und möglichst viel in Erfahrung zu bringen, um Extremisten zu beobachten. Das Hauptziel der Behörde ist – nach § 3 BVerfSchG – der Schutz der Verfassung durch ungebremste Datensammelwut.
Datenschutz beim Verfassungsschutz? Fehlanzeige!
Selbst der Informationsaustausch zwischen den einzelnen Bundesländern lässt zu wünschen übrig, vielleicht, da die Flut der Informationen eine Priorisierung erschwert. Dies musste Bundesinnenminister de Maizière (CDU) erst per Gesetz erzwingen und das Kabinett beschloss auf diesem Wege postwendend, dass alle relevanten Informationen im „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“ (Nadis) gespeichert werden müssten. Einwände von Datenschützern fanden kein Gehör. In Niedersachsen erbrachte eine Überprüfung den Beweis, dass 9000 Datensätze, somit rund 40%, rechtswidrig gespeichert worden waren. Unter anderem waren auch Daten Minderjähriger, Journalisten und Landtagsabgeordneter darunter.
V-Männer-Quellenschutz rangiert vor Opferschutz
Schlimmer aber ist die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes an sich. Hauptsächlich werden in der rechten Szene V-Männer angeworben. Diese werden gut für ihre Spitzeltätigkeit bezahlt. Die verdienten Gelder sind für sie nicht nur steuerfrei, sondern kommen oft der rechten Szene an sich zu Gute. Denn etliche dieser V-Leute sind überzeugte Nazis. Mit Staatsgeldern können sie ihre „Bewegung“ finanzieren. Ein berühmtes Beispiel dafür ist Tino Brandt. Er kassierte von 1994 bis 2001 200 000 D-Mark. Das Geld investierte er in den Aufbau der Neonazi-Szene. Und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz zahlte für ihren „Mitarbeiter“ einen minimalen Steuersatz. Dadurch finanziert der Verfassungsschutz selbst „versehentlich“ die Verbrechen, vor denen er den Staat schützen will.
Wenn V-Männer sich an Straftaten beteiligen, dürfen sie sich auf den Schutz vor Strafverfolgung verlassen, denn der Verfassungsschutz tut alles Menschenmögliche, damit die ‚Informationsquellen“ nicht versiegen. Ein V-Mann sollte eben weder auffliegen, noch im Gefängnis landen.
Quellenschutz rangiert beim Verfassungsschutz vor Opferschutz. Auch nach dem neuen Gesetz bleibt Straffreiheit bei kleinen „szenetypischen Delikten“ für V-Männer verankert.
Ein bekannt gewordenes Beispiel für die umstrittene Vorgehensweise ist der Fall des Irfan Peci. Er gehörte der Führungsspitze der „Globalen Islamischen Medienfront“ (Gimf) an, die im deutschsprachigen Raum Terrorbotschaften und Drohvideos für al-Qaida im Internet veröffentlicht hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz warb ihn als V-Mann an, stellte ihm „Spendengelder“ zur Verfügung, die der Terrororganisation zuflossen und als Irfan Peci im Jahr 2010 einen amerikanischen Soldaten zusammenschlug, sorgte der Verfassungsschutz dafür, dass die Straftat nicht gesetzlich verfolgt wurde.
Vor Gericht stehende V-Männer bekommen manchmal sogar einen Anwalt vom Verfassungsschutz gestellt. Offenkundig wurde diese Vorgehensweise im Fall von Benjamin G.. Der Verfassungsschutz Hessen zahlte seinem V-Mann nicht nur einen Anwalt, als er im Zuge der NSU Morde befragt wurde, sondern auch Spesen und eine Fahrtkostenerstattung von insgesamt fast 400 €.
Bemerkenswerterweise geschah enttarnten V-Leuten in der rechte Szene bisher nichts. Die „NPD weiß Bescheid, von Anfang an“, erklärte dazu der ehemalige NPD-Funktionär und Spitzel Wolfgang Frenz. Ihm war auch klar, dass sein Parteifreund Udo Holtmann ebenfalls ein V-Mann war. In den letzten zwanzig Jahren sind in Thüringen nur vier Fälle von Drohungen gegen V-Männer bekannt geworden. Lediglich einer der vier wurde körperlich angegriffen.
Dadurch kann man vermuten, dass der rechten Szene die V-Leute gut bekannt waren und ihre Tätigkeit auf Akzeptanz stieß. Schließlich profitierte die Szene ja durchaus davon und den Umfang der Informationen, die ein V-Mann dem Verfassungsschutz hinterbringt, bestimmt er allein.
Selbst innerhalb der Behörde verstricken sich Mitarbeiter in dubiose rechtliche Grauzonen. Zum Beispiel war am Tatort des letzten NSU Mordes an Halit Yozgat in Kassel der Verfassungsschützer Andreas T. „zufällig“ am Tatort, ohne eine schlüssige Erklärung dafür bitten zu können.
Der Verfassungsschutz kann weg
Die Frage ist unter diesen Umständen, wie bei einem solchen System die Verfassung „geschützt wird“. De facto geht es dem Verfassungsschutz um Informationen – und nur darum. Da alle Informationen und die gesamte Organisation geheim sind und dies auch sein muss, ist der Verfassungsschutz jeglicher Kontrolle entzogen.
Besonders rechte Organisationen wurden bisher mit fleißigem Eifer unterwandert. Unter anderem scheiterte das erste NDP- Verbotsverfahren aus dem Jahr 2002 daran, dass bereits so viele V-Leute in Führungspositionen aktiv waren, dass das Gericht in Karlsruhe den Verdacht hatte, sie hätten die Partei stark beeinflusst. Für das jüngst laufende zweite Verbotsverfahren der NPD musste der Bundesrat am 14.5.15 „Belege zur Abschaltung der V-Männer“ vorlegen.
Auskünfte für Bürger? Abwarten, aussitzen, abblocken
Anders sieht es aus, wenn Bürgerinnen und Bürger fragen, welche Daten der Verfassungsschutz über sie archiviert hat. Da hat die Behörde viel Zeit – und zwar bis zu sechs Monate! Dieser Zeitrahmen kann sogar überschritten werden und das, obwohl im Jahr 2015 in Berlin gerade eben 214 Menschen eine Auskunft anfragten.
Grundsätzlich müssen Auskünfte nicht erteilt werden. Wer Pech hat, bekommt gerade einmal eine Teilauskunft. Das Gesetz sieht allerhand Hindernisse vor, z.B. den 31 Abs. 2 VSG Bln. Dieser Paragraf enthält die schwammigen Bestimmungen mit deren Begründungen Auskunftsersuche abgelehnt oder nur Teilauskünfte erteilt werden können. Diese reichen von einer „Gefährdung der Aufgabenerfüllung, Gefährdung der Quellen, Gefährdung der Arbeitsweisen oder der berechtigten Interessen Dritter „. Dies zeigte die jüngst veröffentliche Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff der Piratenfraktion Berlin.
Betroffene, die mehr als vier Monate auf eine Auskunft gewartet haben, sollten eine Untätigkeitsklage einreichen. Letzteres kann man nur empfehlen, denn zu Unrecht gespeicherte Datensätze sind keine Seltenheit.
Fazit
Das Land Thüringen hat aus den Erkenntnissen im NSU Prozess Schlüsse gezogen und zumindest den Versuch gewagt, den Verfassungsschutz zu kontrollieren. Daher wurde nicht nur das Budget gekürzt, sondern auch eine parlamentarische Kontrolle durch Eingliederung in das Innenminsterium eingeführt und erklärt, auf V-Männer zu verzichten.
Konsequent ist aber nur die Abschaffung des Verfassungsschutzes – denn so wie der Verfassungsschutz augenblicklich die Verfassung schützt, ist er überflüssig.
Geheimdienste sind immer eine Gefährdung für eine Demokratie, da sie nicht wirkungsvoll kontrolliert werden können. Wir sollten ihn abschaffen, da er ein Fremdkörper in einer Demokratie ist.
Die Polizei besser ausstatten und die Justiz insgesamt wirklich unabhängig von der Regierung machen. Das würde unsere Demokratie stärken.
Unser „Verfassungsschutz“ wurde nach dem Kriege mit der Hilfe von vielen strammen Nazis aufgebaut und ich frage mich, wie stark er von dieser beschämenden Vergangenheit immer noch beeinflußt ist.
Danke für den Kommentar. Er ist eine Bereicherung des Artikels. Gerade der letzte Aspekt stimmt, lässt sich allerdings schlecht nachweisen.
Schöne Zusammenfassung und ein guter Einblick! Hier ist so viel ans Tageslicht getreten, dass die geheimen Spielchen schon längst nicht mehr so geheim sind, wenn wir in die Vergangenheit schauen. Über eine Abschaffung der NPD wird erst nachgedacht, wenn sie sich nicht mehr instrumentalisieren und nicht mehr leiten lässt. Da wäre die Massnahme, den sogenannten „Verfassungsschutz“ dort (bei der Leitung) raus zu nehmen der erste Schritt. Ich glaube noch nicht an ein baldiges NPD Verbot. Wofür die NPD „gut“ ist, wurde uns von ihrer Schwesterorganisation in der Ukraine demonstriert, aber auch bei uns dient die NPD als Salz in der Suppe für all die, welche sich mit ihr regelmässig beschäftigen oder dadurch sogar profitieren. Allein dies zu ergründen wäre eine spannende Diskussion. Kurz für ein Katz und Maus Spiel werden beide benötigt. Und ohne Dirigent und Zuschauer würde es auch nicht reizen…
Claus Martin kann ich ebenfalls zustimmen! Ein strammer Nazi kann allerdings, aber nur auch gleichzeitig ein Nationalzionist gewesen sein oder?
Ich geh mal davon aus, dass der Verfassungsschutz mit anderen Geheimdiensten verglichen werden kann, zumal er bei seiner Arbeit wohl auch mit ihnen gelegentlich Kooperieren muss und leider zumindest nicht immer oder sogar nicht oft im Sinne der Landsleute arbeitet.
Im ersten Fall wird deutlich, dass unsere Geheimdienste nicht nur Deutschland sondern auch Europa, scheinbar weder ausreichend geschützt, noch auf Sicherheitsmängel und Risiken hingewiesen, haben! Offene Außengrenzen ohne Notfallpläne, wie sie allerdings zum Beispiel für die Aufnahme von einer Flut von Menschen unbedingt benötigt worden wären, sind wahrscheinlich nicht nur in meinen Augen, eine grobe Fahrlässigkeit und außerdem hoch gefährlich! Wie kann es da sein, dass kein Geheimdienst, oder wer auch sonst noch, diese Problematik rechtzeitig erkannt hat und auf die zwingend notwendigen Notfallpläne hingewiesen hat? Und somit einer willkürlich zusammengewürfelten Gruppe, bestehend aus Menschen, vorwiegend junger Männer und oft im Wehrfähigen Alter, bei der nahezu unkontrollierten und teilweise unzureichend registrierten Einreise tatenlos zusieht, wärend der internationale Bereich der Flughäfen noch gesichert bleibt! Die Frage die ich mir stelle ist: Wem dienen diese Geheimdienste also? Ganz offensichtlich nicht immer dem Schutz der Bevölkerung der EU oder deren „Verfassung?“.
Der folgende Link (Die Welt) zeigt auf, wem ein schlechter Geheimdienst noch ab und zu gedient haben könnte. (Kopp) bringt es nur noch deutlicher zum Ausdruck.
http://www.welt.de/?
Im zweiten Fall geht es um Paris am Tag der Anschläge. Wie bei fast allen vorangegangen Ereignissen, soll es auch an diesem gleichen Tag des Anschlags eine Übung gegeben haben! Wie meistens wurde ein Ausweis gefunden und einer schrie auf Arabisch, Gott ist groß. Wer aufmerksam ist, der kann dann alle Veröffentlichungen die er findet, aus der Weltpresse analysieren und zusammenschneiden und daraus ein Aufklärungsvideo erstellen. Kein Anschlag ohne Planung und fast keiner ohne die Mitwirkung der Geheimdienste?
Jedenfalls scheint der Film die Übung eines Anschlages zu dokumentieren und nicht den Anschlag. Die Überwachungskamera hält auch den genauen Zeitpunkt dieser „Übung“ fest… Manchmal sollen solche Webcams und Cameraaufnahmen auch schon absichtlich unterschlagen worden sein!
https://vimeo.com/147157874
Das Ende vom Lied ist nun, dass alle in Syrien rumrühren und sich wundern, wenn der eine dem anderen die Flugzeuge versehentlich abschießt. Auch hier gibt es kein versehentlich, aber das würde zu weit führen. Deutschland hat seine Kriege gehabt und soll sich grundsätzlich aus Kriegen raushalten, tut es aber nicht und deshalb freue ich mich über jeden, der Deutschland ebenfalls nicht mehr an Kriegen beteiligt haben will!
Der Dritte Fall zeigt langfristige Strategien auf, an denen die Geheimdienste natürlich ebenfalls mitwirken. Wenn ich die Kriege auflisten wollte, welche nur seit den Einstürzen der drei Hochhäuser in New York statt gefunden hatten, dann könnte ich noch nicht einmal deren Anzahl benennen und wenn es um die Opferzahlen ginge, ich wüsste nicht, ob es dabei um eine Million oder um mehrere Millionen Menschen ginge! Kriege dienen nicht den Menschen in ihrer Breite! Schon kurz vor dem Krieg sind Geheimdienste in ihrem Element. Oft existieren auch noch andere geheime übergeordnete Ebenen in irgend einer Form von Verbundenheit. Eine offene und freie Gesellschaft findet somit nur oberflächlich betrachtet statt. Wer zunehmend tiefer geht wird davon allerdings immer weniger sehen…
Der Link zeigt, auf welche Weise ein Machtimperium agiert, zuerst damit es an die Spitze kommt und dann, dass es dort bleiben kann! Für alle anderen ist es eine riesige Herausforderung: Dies zu erdulden und, trotzdem wenigstens noch einen Teil ihrer eigenen Kultur, zu bewahren! Und parallel neue Welten aufzuzeigen in denen es vielleicht gar nicht mehr wichtig und sinnvoll erscheint, sein Machtimperium allen anderen aufdrücken zu wollen. Ein Imperium verliert mit zunehmender Macht an Freiwilligkeit! Die besondere Strategie besteht darin, über die Geheimdienste externe Konflikte zu fördern, um interne Verluste zu meiden.
Stratfor George Friedmans Rede – Putin
http://youtu.be/93evBMAVmNA
Alternativ ohne Putin link: http://youtu.be/9fNnZaTyk3M
Mein Fazit ist es: Nicht nur einen in die Jahre gekommenen Verfassungsschutz zu reformieren oder gar „abzuschaffen“. Sondern auch unsere in die Jahre gekommene Verfassung neu zu überdenken! Das Gute behalten und das fehlende zu ergänzen, natürlich immer mit dem Ziel dem Einzelnen mehr Kraft und Eigenständigkeit zukommen zu lassen. Das sogenannte Vereinte Deutschland hat eine gemeinschaftlich geschaffene eigene Verfassung schon längst verdient. Ein völlig neu gegründeter Verfassungsschutz könnte aus den bekannten Fehlern des jetzigen Verfassungsschutzes lernen.
Bei der Auswahl der Links geht es mir darum, an Hand von einigen Beispielen neue Fragen anzuregen und aufzuzeigen, wie und wozu geheime Dienste in etwa funktionieren oder zu was sie in etwa führen können.