Der Fall „Jan Böhmermann“ beherrscht seit einigen Tagen die Medien. Dass Satire so wirksam sein kann, dass sich nicht nur Ministerpräsident Erdoğan aus der Türkei, sondern auch deutsche Spitzenpolitiker bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel mit alten, anachronistisch anmutenden Passagen deutschen Rechts befassen, überrascht viele.
Wie kann es dazu kommen, dass in Deutschland – einem Land, das sich im Grundgesetz Artikel 5 klar zu Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst bekennt – ernsthaft erwogen wird, einen Satiriker juristisch zu belangen, der etwas zu mutig die Grenzen des guten Geschmacks mit einem primitiv anmutenden „Werk“ verletzt hat?
§ 103 StGB heißt der weitgehend unbekannte Paragraph, der beinhaltet, dass Staatoberhäupter nicht beleidigt werden dürfen. Die Bundesregierung gibt augenblicklich vor, den „förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung“ umfassend und sorgfältig zu prüfen. Es könnte also sein, dass das Auswärtige Amt in den nächsten Tagen eine formelle Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt – aufgrund eines in die Jahre gekommenen Gesetzes, welches kaum mehr in unsere Zeit zu gehören scheint.
Eines hat Jan Böhmermann jedenfalls geschafft, und dies ist deutlich mehr, als man einem Satiriker zutrauen würde: Er hat zwei scheinheiligen Regierungen die Masken von den Gesichtern gerissen.
Erdoğan, der Journalisten unnachgiebig inhaftiert und jedwede regierungskritische Presse ausschalten möchte, zeigt sich als das was er ist, aber nicht sein will: Ein selbstherrlicher Diktator, der sich ein fadenscheiniges demokratisches Mäntelchen umgelegt hat. Dabei werden die Missachtung der Menschenrechte, die Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung erst jetzt wieder in den Medien thematisiert.
Und warum? Weil der reizbare Despot den Spott eines Künstlers nicht erträgt. Seit seinem Amtsantritt hat Erdoğan 2000 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung angestrengt.
In diesem Fall kann Erdoğan nur verlieren, was er bereits gewonnen zu haben glaubte.
Schließlich hat Angela Merkel den Weg frei gemacht für massive Zugeständnisse: Etliche Milliarden Euro, Visafreiheit für türkische Staatsbürger und Betrittsverhandlungen für die EU-Mitgliedschaft – alles für eine vermeintliche Lösung der Flüchtlingskrise. Zwar kritisieren Menschenrechtsorganisationen den schmutzigen Deal mit der Türkei, aber darauf kommt es der Bundesregierung nicht mehr an. Eine schnelle Lösung musste her.
Wie weit wird sich die Bundesregierung als scheinheilig entlarven?
Dies ist die einzig interessante Frage, denn das fragliche Spottgedicht wurde unter dem Beifall prominenter Politiker bereits zensiert, also aus der Mediathek genommen und damit Artikel 5 des Grundgesetzes gebeugt. Will man sich jetzt noch ein peinliches Gerichtsverfahren gönnen, wird die öffentliche Blamage noch schlimmer. Das scheint nun der Fall zu sein: Am 15. April fiel die Entscheidung der Bundeskanzlerin, dass Strafverfahren gegen Böhmermann zuzulassen.
Die Wahlerfolge der AfD und die Kritiker der Flüchtlingspolitik setzen die Bundeskanzlerin offensichtlich unter Druck – bleiben die Menschen in der Türkei, hat sie die Krise scheinbar im Griff.
Offenbar könnte ihr das jedwede Demutsgeste wert sein.
Jan Böhmermann hat seinen Finger in die Wunde gelegt, denn wenn die Zustimmung des Auswärtigen Amtes die Strafverfolgung des Künstlers ermöglicht, weiß jeder Bürger, was der Regierung das Grundgesetz wert ist – nämlich nichts. Blindwütig würde der Ausverkauf demokratischer Grundprinzipien erfolgen, wenn nur der Preis stimmt und die Lage verzweifelt genug erscheint. Den Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit muss die Kanzlerin wie auch die gesamte CDU hinnehmen. Wenn sie jetzt vom freien Europa, Freiheitsrechten oder Leitkultur spricht, werden viele Kritiker hämisch „Böhmermann“ murmeln.
Dabei bleibt eines außer Acht: Der fragwürdige Deal mit Erdogan könnte noch viel mehr kosten als die Beugung der Grundrechte im eigenen Land. Die Bundesregierung macht sich erpressbar, der Ausgang ist offen – mögliche neue Forderungen werden nicht ausbleiben.
Jan Böhmermann hat das Gedicht als Schmähgedicht angekündigt und die Politiker in erstaunlichem Ausmaß vor sich hergetrieben. Er hat auch gezeigt, was in diesem Land wieder möglich ist, nämlich die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und der Kunst – so sie den Mächtigen nicht gefällt.
Kurt Tucholsky sagte es 1919: Was darf Satire? Alles.
Und heute?
Was kann Satire? Vieles.
Und dafür muss sie nicht einmal besonders künstlerisch hochwertig sein.
Nein, Satire darf nicht alles. Deswegen wurde meine satirischen Kommentare über dieses Thema von der Piratenpartei zensiert.
Für Nachfragen und Neugierige habe ich Screenshots von den später gelöschten Kommentaren gemacht.
Hallo Jürgen,
ich konnte hier in der Flaschenpost keine gelöschten oder bearbeiteten Komemntare von dir finden, auch nicht im Spamordner.
Wenn wir einmal einen Kommentar nicht akzeptieren, wird dieser trotzdem, allerdings ohne Inhalt und mit einem Kommentar von uns veröffentlicht. Bitte sende uns die Screenshots zu, vielleicht gibt es ja eine Bug im System.
Klarstellung:
Es handelte nicht um Kommentare auf der Flaschenpost-Webseite.
Ich fand nur den Seitentitel genau zutreffend, um, da es ja auch um dieses Thema, äußerst passend, auf der Piratenparteiseite ging, um mich über die Zenzur zu äußern, ohne gleich wieder auf derselben Seite gelöscht zu werden.
Komischerweise kann ich auch diese Erdowahn-Gedichte-Webseite nicht mehr finden.
Aber hier der Webseitentext davon:
Du findest, dass Erdogan zuweit gegangen ist?
Dann verfasse dein Gedicht im Pad https://piratenpad.de/p/Erdogan_Gedichte
Wir veröffentlichen es auf unserem Erdowahn Gedichtsblog und auf den Social Medias der Piratenpartei.
Pirat Kristos freut sich als Schirmherr über dein Gedicht.
Bitte halte dich bei deinen Gedichtstext an folgende Grundregeln:
Sachlich bleiben, zum Thema oder den Kommentaren sachlich antworten.
Beleidigungen, Diskriminierungen und Diffamierungen haben in Diskussionen keinen Platz. Angriffe auf andere Nutzer und soziale Gruppen aufgrund ihrer Religion, Herkunft, Nationalität, Behinderung, Einkommensverhältnisse, sexueller Orientierung, des Alters oder Geschlechts sind ausdrücklich nicht gestattet.
Verleumdungen, Unterstellungen und Verdächtigungen sowie geschäfts- und rufschädigenden Äußerungen bieten wir keine Plattform.
Keine Wortkreationen radikaler Gruppierungen.
Keine Verlinkungen auf Seiten mit Verschwörungstheorien und radikalem Gedankengut
Werbung und kommerzielle Inhalte haben in Diskussionen nichts zu suchen.
Danke für deine Unterstützung!
Mein Kommentar dazu:
Mit diesen Grundregeln für den Gedichtstext begibt man sich voll auf die Erdowahnlinie. Oder ist dieser Regeltext auch eine Satire?
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Und hier mein Kommentar zum Artikel „Angriff auf die Pressefreiheit“
am 12.4.16 auf http://www.piraten.de der ebenfalls gelöscht wurde:
Was mich doch sehr irritiert ist, daß gerade #########
Zu deinem letzten Kommentar kann ich nur sagen: Medien zu kritisieren und gegen die Arbeitsweise mancher Medien zu sein und dennoch für die Presse- und Meinungsfreiheit einzustehen, sind zwei Ansichten, die sich nicht voneinander ausschließen.
Wenn ich den Müll lese, den manche Zeitungen/Zeitschriften/TV-Sender/Webseiten etc. manchmal produzieren, raufe ich mir auch die Haare und würde die am liebsten alle offline nehmen. Nichtsdestotrotz stehe ich zur Meinungs- und Pressefreiheit und auch, wenn es mir lieber wäre, bestimmte Medien wären nicht so, wie sie sind, haben sie das Recht, zu existieren – genau wie wir hier auch.
Es ist für mich OK. daß der Textabschnitt von dieser Seite genommen wurde,
weil ich jenen hier nur informativ für die Nachfrage mitgeteilt habe, und er
nichts mit dieser Flaschenpostseite zu tun hat.
Damit habe ich kein Problem.
Was aber die Kritik an dem Inhalt angeht, sitze ich vor dem Text und
überlege die ganze Zeit, wo die Beleidigung ist, die mir vorgeworfen
wird. Ich suche den Fehler immer zuerst bei mir selbst, aber ich kann
ihn einfach nicht finden.
Deshalb würde ich es gut finden wenn ihr mir das per Email sendet.
Was die 3 satirischen Sätze am Schluß angeht, finde ich, daß meine
Wahlprognose, nach dem wir in RP 0,8%, in BW 0,4% und in LSA 0%,
was die meisten Parteimitglieder nicht wußten, wie ich es heute auf
unserem LPT2016.2 erfahren habe, daß wir dort gar nicht
angetreten sind, (macht mich fassungslos), eher als optimistisch
und nicht als Beleidigung anzusehen sein kann.
Frau Merkel musste wohl, um noch halbwegs glaubwuerdig zu bleiben, schliesslich die Ermaechtigung zur Strafverfolgung nach § 103 StGB geben – ihr eigentlicher Fehler war, dass sie sofort nach Veroeffentlichung der Schmaehung vonb Boehmermann vorauseilend gehorsam der tuerkischen Regierung gegenueber einen Knicks machte. Das war hoechst ueberfluessig, denn sie haette sagen koennen, „wir haben ordentliche Gerichte – und wenn Herr Erdogan sich beleidigt fuehlt, kann er diese ganz normal anrufen und eine Beleidigung nach § 185 StGB geltend machen“.
So aber hatte sie sich selbst unnoetig in eine Zwangslage gebracht, vermutlich aus Angst davor, dass Erdogan das geschlossene Fluechtlingsabkommen nicht einhaelt. Dabei hat sie moeglicherweise nicht bedacht, dass sie hiermit ein Zeichen fuer weitere Erpressbarkeit gesetzt hat. Da muss man mal sehen, womit Erdogan in Zukunft noch ankommen wird.
Ach – uebrigens: In fast allen Medien wird seit dem Auftreten des Herrn Boehmermann von „Satire“ gesprochen, wobei immer wieder Tucholsky zitiert wird, wonach „Satire alles darf“. Tucholsky hatte damit schon Recht – aber derartige Zoten und Faekalsprueche wie die des Herrn Boehmermann als Satire zu bezeichnen, beleidigt den Begriff als solchen – und das hatte Tucholsky mit Satire nicht gemeint.
Satire ist Florett und kommt aus dem Kopf – die obszoenen Verbalinjurien von Boehmermann und so manch anderer Fernsehpappnase, die sich selbst dreist als „Satiriker“ oder als „Comedian“ bezeichnet, sind jedoch verbale Grobmotorik und Faekalspruchklopperei. Statt Florett und Kopfarbeit geht es da nur noch um Vorschlaghammerkalauer und platte Poebelei, die von wesentlich weiter unten kommt.