Jan Böhmermann und Angela Merkel zeigen Recep Erdoğan wie ein Rechtsstaat funktioniert. Der Präsident fühlt sich beleidigt. Doch anders als in der Türkei hat er in Deutschland nicht die Möglichkeit einen Polizisten, einen Staatsanwalt oder Richter anzurufen, um mit einem einzigen Satz dafür zu sorgen, dass der Journalist verprügelt, verhaftet oder vernichtet wird.
Herr Erdoğan ist im Fall „Böhmermann“ an den Rechtsweg gebunden, um ein Strafverfahren zu beantragen. Dies ist der erste Erfolg für Deutschlands Rechtsstaat. In Berlin wurde beschlossen, dass das Gesetz hier eindeutig ist und die Bundesregierung stimmte einem Strafverfahren zu. Dies ist der zweite Erfolg für unseren Rechtsstaat. Das Urteil wird – es kann kaum Zweifel geben wie es lautet – der dritte Erfolg für den Rechtsstaat sein.
Denn ein Freispruch erster Klasse, ganz ohne, dass ein Staatsoberhaupt eine schützende Hand über den Beschuldigten hält, wäre ein weiterer Sieg für die Rechtsstaatlichkeit über die Willkür. Doch selbst der angekündigte Gang durch die Instanzen mit langwierigen Berufungs- und Wiederaufnahmeverfahren wird zeigen, was die Justiz in einem Land, das die Gewaltenteilung ernst nimmt, vermag. Je länger sich das das Verfahren hinzieht, je zermürbender es für den Kläger wird, umso deutlicher wird der Unterschied zur Regierung Recep Erdoğans werden.
Der Paragraph § 103 StGB, der die Beleidigung von ausländischen Staatsorganen ahnden soll, gehört auf den Schrottplatz der Geschichte. Wie überholt das Gesetz über die „Majestätsbeleidigung“ ist, zeigt sich alleine daran, dass es festlegt, dass die Regierung einem Verfahren zustimmen muss. Dass die Regierung darüber entscheidet, was ein Richter darf oder muss entspricht bedauernswerter Weise dem Stil der derzeitigen türkischen Regierung. In einer Demokratie hat ein solches Gängelband jedoch keine Berechtigung. Es ist Frau Merkel hoch anzurechnen, dieses „Sonderprivileg“ aus Kaiserzeiten nicht genutzt zu haben, es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie sich der Methode Erdoğan widersetzte, nach der das Staatsoberhaupt nicht nur Gesetze erlässt, sondern auch Ermittlungen befiehlt bzw. verhindert und Urteile verordnet. Gut möglich, dass dies in Ankara als schallende Ohrfeige empfunden wird. Wenn § 103 StGB gestrichen würde, bleibt der § 185 StGB, der Beleidigungen regelt – ganz ohne Klassifizierung in Staatsoberhäupter auf der einen, und Bürger auf der anderen Seite.
Nun streiten 82 Mio Rechtsexperten über Angela Merkels „OK“ zum Strafverfahren. Rechts von der Mitte schreit es empört „Dem Türken nachgegeben“, links kreischt man „Vor dem Diktator eingeknickt“. Nur eine kleine Minderheit in der Mitte erkennt den Sieg des Rechtsstaats. Denn in ihm herrscht nicht die Willkür, sondern das Gesetz, vor dem alle gleich sind. Auch ein Präsident und ein Satiriker.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.
Wenn der Herr Erdoğan wirklich ein so schrecklicher Mensch ist, ein Massenmörder, wie ihn viele Deutsche -sowohl linke und grüne wie auch rechte- GERNE sehen und nennen, wenn die Türkei mit der persischen Militärdiktatur der 60/70 Jahre vergleichbar ist (wie gerade in der Süddeutschen geschehen), dann fragt es sich ja nicht, ob man den entsprechenden blutrünstigen Diktator beleidigen darf oder nicht und ob das deutsche Gerichte entscheiden, sondern, wozu denn dann überhaupt Kontakte zur Türkei. Vielleicht tuts ja dann eine Kriegserklärung besser? (Und wenn man schon dabei ist, kann man in Russland auch noch aufräumen.)
ein Expirat, der mal dachte, die „Piraten“ seien unter anderem der klassischen „Völkerfreundschaft“ verpflichtet…
„Völkerfreundschaft“ ISt ein stalinistischer Begriff, der sicher niemals bei den Piraten verwendet wurde.
Und sorry, aber Erdoğan baut gerade die Türkei vom quasi-demokratischen, laizistischen Statt in eine religiöse Diktatur um, und ja er IST ein Massenmörder und Despot. Das behaupten nicht nur linke, grüne und rechte, das kann jeder in allen Medien (ausser türkischen selbstverständlich, die sind entweder für Ihn oder zerstört worden) sehen.
Sie haben nicht verstanden, welche Funktion das Erfordernis der Ermächtigung zur Strafverfolgung erfüllt. Nur so lässt sich ihre undifferenzierte Stellungnahme erklären.
Herr Erdogan kann – und darin ist er so unabhängig von einem Plazet der Bundesregierung wie jeder anderen Mensch – gegen Beleidigungen (§ 185 StGB) vorgehen, diese zur Anzeige bringen und einen Strafverfolgungsantrag stellen.
Anders als bei den meisten anderen Menschen kommt bei ihm aber zusätzlich der § 103 StGB in Betracht, der ein schärferes Strafmaß vorsieht.
Damit die jeweilige Tat nicht „nur“ als einfache Beleidigung verfolgt werden kann, sondern als § 103 StGB, bedarf es jedoch der Ermächtigung.
Was ist der Sinn dieser Regelung? Der Sinn ist, dass die Bundesregierung verhindern kann, dass ein Despot sich der deutschen Justiz und der speziellen Regelung des § 103 StGB für seine Zwecke bedienen kann und so dem Ansehen der Bundesregierung schadet.
Mit dieser Frage würde sich ein Gericht nicht auseinandersetzen.
Die Beantwortung ist vom Gesetzgeber der Bundesregierung aufgetragen worden.
Die Bundesregierung hat keine weitere rechtliche Würdigung abzugeben; das ist letztlich Aufgabe der Gerichte.
Frau Merkel hat es versäumt, den Menschen zu verdeutlichen, welche Abwägung ihr vom Gesetzgeber überhaupt aufgetragen gewesen ist. Vielmehr hat sie hinter allgemeinen Formulierungen versteckt (Rechtsstaat, Gewaltenteilung), die nur dann Sinn machen, wenn man den Gegenstand der vorzunehmenden Abwägung nicht verstanden hat.
Sie hat damit vermieden, Herrn Erdogan entweder als Despoten oder als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnen zu müssen.
„Was ist der Sinn dieser Regelung? Der Sinn ist, dass die Bundesregierung verhindern kann, dass ein Despot sich der deutschen Justiz und der speziellen Regelung des § 103 StGB für seine Zwecke bedienen kann und so dem Ansehen der Bundesregierung schadet.“
Hier hätte es „und so dem Ansehen der Bundesrepublik schadet“ heißen müssen.
Da Sie auf den Zeit Artikel hauptsächlich mit Fragen antworten, möchte ich gar nicht mit ihnen… diskutieren – nennen Sie das wahrscheinlich – trotzdem hier ein Kommentar von Oliver Kalkofe. Er denkt ein bisschen weiter als Sie, beachtet den Kontext und bleibt nicht bei Paragraphenhudelei.
https://www.youtube.com/watch?v=4Gx-yZRnuZQ
Frau Merkel hat in ihrer Erklärung das Gleiche getan wie Sie: Sie hat ausschließlich auf § 103 StGB abgehoben. Das greift aber zu kurz. Denn der 103er steht in enger Verbindung mit § 104 und 104a. Frau Merkel kann sich als Regierungschefin gar nicht raushalten. Das StGB spricht hier der Bundesregierung einen politischen, bzw. diplomatischen Vorbehalt zu. Frau Merkel hatte also eine Wahl. Und sie hat so getan, als hätte sie keine. § 104a wird in ihrer Erklärung kein einizges Mal erwähnt. Sie spricht nur von der üblichen Staatspraxis und lässt dabei offen, welche Praxis sie damit meint. Typisch Merkelrhetorik: Eindeutigkeit suggerieren, und trotzdem so diffus und schwammig argumentieren, dass es fast schon eine Beleidigung für jeden darstellt, der seine grauen Zellen noch beisammen hat.
Nicht schlecht: Gefolgsleute der Piratenpartei eilen zur Unterstützung der deutschen Despotin im Kanzleramt herbei. Sie empfehlen den Kniefall vor dem türkischen Despoten Erdoğan und empfinden scheinbar Meinungsfreiheit als nicht mehr so wichtig. Zudem werben sie um Aufmerksamkeit für ihre demokratieschädlichen Ideen im Kommentarbereich von ZON.
http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-04/jan-boehmermann-recep-tayyip-erdogan-satire-umfrage-angela-merkel
Die ZON ist bekannt für die Nähe zur Transatlantikbande und kann vermutlich zurecht als kriegshetzende NATO-Pressestelle bezeichnet werden.
Von den ursprünglichen Idealen der Piratenpartei ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Vielleicht ist es gut, dass diese Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist.
Despotin, Kniefall, demokratieschädlich, Transatlantikbande und kriegshetzende NATO-Pressestelle. Geht’s auch eine Nummer kleiner?
Hallo Auceza,
du sprichst von den „ursprünglichen Idealen der Piratenpartei“ – das interessiert mich. Welche sind denn das? Welche Ideale, oder auch Werte, waren denn „ursprünglich“ bei den Piraten?
Ich dachte ja immer, das es genau so was nie gab, aber ich bin bereit was dazuzulernen.