Der Vorwurf, die schlechteste Regierung seit Gründung der Bundesrepublick zu sein, kam seit 1949 schon oft auf. Die derzeit regierende Koalition aus CDU/CSU und SPD hat seit Regierungsantritt 2013 immerhin hart daran gearbeitet, als schlechteste Regierung für Klein- und Normalverdiener in die Geschichte einzugehen. Die Missachtung des Wählers, die Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer zeigen, ist historisch beispiellos. Die Liste der Belege dafür füllt Bände, hier nur die prominentesten aus der ersten Hälfte des Jahres 2016:
Die Mehrheit der Bevölkerung steht TTIP ablehnend gegenüber. Als an die Öffentlichkeit gelangte Unterlagen die schlimmsten Befürchtungen über die negativen Folgen noch überstiegen, bekräftigte Kanzlerin Merkel, den Vertrag noch dieses Jahr abschließen zu wollen. Schon einige Monate zuvor war zu beobachten, wie wenig die Regierung sich um Sorgen im Wahlvolk kümmert.
Die Genehmigung für den Einsatz des Pflanzenschutzmittels Glyphosat wurde gegen alle Proteste um weitere sieben Jahre verlänert. Da nutzte es nicht, dass der Umweltausschuss gemeinsam mit Wissenschaftlern vor dem Einsatz von Glyphosat warnten: Im gemeinsamen Prüfbericht vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Julius Kühn-Institut und dem Umweltbundesamt war zu lesen: “[…] von Glyphosat [gehen] bei sachgerechter und bestimmungsgemäßer Anwendung keine Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier aus”. Von vielen wurde dies als “stellt euch wegen der Krebsgefahr nicht so an” verstanden. Ähnlich unsensibel zeigte sich die Regierung bei zwei Beschlüssen zum Thema Steuerhinterziehung.
In der selben Woche in der beschlossen wurde, den 500-Euro-Schein abzuschaffen, um Steuerhinterziehung und Terrorfinanzierung zu erschweren, wurde bekannt, dass die mit Steuergeldern teilverstaatlichte Commerzbank ausländischen Anlegern half, die Kapitalertragsteuer in Deutschland nicht zu zahlen. Durch diese Cum-Cum-Geschäfte entgingen dem Finanzminister seit 2011 rund 5 Milliarden Euro. In der politischen Debatte dazu überwog der Streit darüber, ob die nicht gezahlte Kapitalertragssteuer als legale Steuervermeidung zu betrachten sei oder als illegale Steuerhinterziehung, Strafen oder gar Gesetzesänderung waren dagegen nicht im Gespräch. In den Kommentarspalten war oft zu lesen, dass dies “Investoren” die Möglichkeit gibt, keine Steuern zahlen zu müssen (Panama lässt grüßen) und deshalb wird dem “kleinen Mann” der 500-er aus der Tasche gezogen.
Auch der Widerspruch zwischen den Rekordeinnahmen des Bundes und der Ablehung von Steuersenkungen wurde beim Wähler bemerkt – und fast schon lakonisch hingenommen. Vielen gilt die “schwarze Null” inzwischen als Synonym für Schlaglöcher und marode Schulen.
Die Partei, die vom wachsenden Wählerfrust profitiert, ist die AfD. Dass die AfD die Sorgen um die Gesundheit des von ihr hofierten deutschen Volkes wenig schert, drückt sie durch ein “ja” zur Atomkraft aus, dass sie wenig von den Nöten im Niedriglohnsektor weiß, zeigt sie durch ein “nein” zum Mindeslohn. Die vielen Verdächtsfälle vom Meineind bis zum Spendenbetrug lassen vermuten, dass sich die AfD als Deutschlandpartei sieht, bei der Partei- und Staatsinteresse nicht zu trennen sind.
Bei den Umfragen scheint dies keine Rolle zu spielen, ähnlich wie das fortgesetzte Driften der Partei nach rechts, Forderungen eines nationalen Sozialismus, Reden von “1000 Jahren Deutschland” und die Tatsache, dass die wenigsten der “denen zeige ich es jetzt”-Wähler je einen 500 Euro Schein in Händen hielten, ändert nichts daran, dass beim Denkzettel für die Regierung die AfD zur 1. Wahl wurde.
CDU/CSU und SPD haben die Gefahr für sich wohl erkannt, doch setzen sie einzig auf Konzepte, um einen politischen Konkurrenten wegzubeißen. Angela Merkel ignorierte die AfD, Sigmar Gabriel beschimpfte ihre Anhänger und Horst Seehofer machte sich AfD-Forderungen zu eigen und feiert es als seinen Erfolg, dass die AfD in Bayern “nur” bei 9% steht, während sie im Bundesdurchschnitt 10% verbuchen kann (Zahlen vom April).Wozu diese Strategie führt, kann in Frankreich, Großbritannien, Österreich und der Schweiz betrachtet werden. Zeitgleich wird in Berlin jene Regierungspolitik weiter verfolgt, in der ein steigender Teil der Bevölkerung seine eigenen Interessen nicht mehr berücksichtigt sieht.
Sollte dies so bleiben, und derzeit ist nicht absehbar, dass die Regierung ihre Strategie ändern möchte, wird ein nicht unerheblicher Teil der Wählerschaft der AfD förmlich in die Arme getrieben. Für die nächsten Wahlen lässt dies nichts Gutes erwarten – weder für die heutige Regierungskoalition noch für den Wähler, der möglicherweise das bekommt, was er wählt: Eine Rechtsaußen-Partei vergleichbar mit den Regierungsparteien in der Türkei, in Polen, Ungarn und Tschechien.
Die Piratenpartei hatte um das Jahr 2011 herum die Chance ein politischer Gegenpol zur Regierung zu werden. Die Politik sollte nach vorne, nicht zurück gewandt sein. Das Parteiprogramm sollte möglichst viele einbinden statt Feindbilder zu schaffen, es sollte eine Politik für die Bürger, nicht eine Politik der Ideologie sein. Die Geschichte kam anders, heute sammelt eine Partei die Proteststimmen ein für die die Bezeichung “rechtsaußen” fast schon verharmlosend klingt. Die Piraten sind trotz des erlittenen Bedeutungsverlustes noch immer eine Alternative!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.
Nun ja, die PIRATEN wären eine Alternative, wenn endlich eine ernsthafte Selbstkritik statt -beweihräucherung betrieben würde.
Gerade da fühlt sich die FLASCHENPOST aber merkwürdigerweise gar nicht zuständig.
Das Programm der Piraten IST immer noch eine Alternative. Leider haben die, die an niedere Instinkte appellieren, ganz offensichtlich mehr Erfolg als die, die versuchen, Zusammenhänge ehrlich zu erklären. In dem Punkt hat der Michael leider recht. Ich werfe mal Einsteins Einschätzung über die Endlichkeit des Universums verglichen mit der der menschlichen Dummheit hinterher…
Mein Bruder eröffnete mir am WE, er würde AfD wählen – genau aus den von Michael genannten Gründen. Auf die Frage, ob er denn das AfD-Programm kennen würde kam ein “interessiert mich nicht”. Ich nannte ein paar Fakten und Zahlen: “Zahlen interessieren mich nicht…” Masochismus muss wirklich schön sein, aber wenn er so flächendeckend auftritt, wird er halt zur Gefahr. Nun bis 2017 krieg’ ich mein Bruderherz schon von der alternativen Schiene `runter – versprochen.
Diese Selbstbeweihräucherung, von der du sprichst, behindert unsere ehrlichen Erklärungen zusätzlich. Andererseits sehe ich immer weniger Leute, die Weihrauch schwenken. Die meisten, die noch da sind, haben inzwischen begriffen, dass die Ergebnisse kommender Wahlen die Existenzfrage für die PP aufwerfen könnten.
Flaschenpost und Selbstkritik: Eric, ich denke, hier tust du der Flaschenpost definitiv unrecht. Gerade hier leben ein paar kritische Geister, die ihre Meinung auch dann kundtun, wenn sie nicht ganz zum Mainstream passt. Was ich außerdem an der Flaschenpost schätze: Man reagiert dort auf Kritiken meistens sachlich. Das sind zwei Dinge:
a) Man reagiert überhaupt und
b) …noch dazu sachlich.
Mehr braucht’s eigentlich nicht, um Diskussionen über Probleme in Gang zu setzen. Manche Diskussionen, die ich persönlich mit den Redakteuren geführt habe, waren recht hitzig. Dennoch haben wir am Ende eigentlich IMMER einen gemeinsamen Nenner gefunden, auch ohne 100ig einer Meinung zu sein.
Glaub’ mir – ich kenne andere Bereiche innerhalb der PP, die ticken leider völlig anders als die FP.
Danke, Seepferdchen, ich habe mich über deinen Kommentar sehr gefreut.
Die arrivierten politischen Parteien in Berlin und in den Laendern koennen sich derzeit ja noch freuen, dass die AfD mit solch merkwuerdigem, zT noch in der untergegangenen DDR sozialisiertem Fuehrungspersonal antritt. Was aber wuerde wohl geschehen, wenn in der AfD eine wirklich charismatische Fuehrungsfigur auftaucht? Da muessten doch eigentlich schon jetzt allenthalben die Alarmglocken schrillen…
Aber die im Alltagstrott der grossen Koalition eingefangenen Parteien werden vermutlich, solange es irgendwie geht, sagen, “lass die doch kommen – in 2 bis 3 Monaten haben wir die an die Wand gedrueckt, dass sie quietschen”…
Leute, Leute, es ist kaum zu glauben. Ihr wart einmal die Hoffnung der Nation, Ihr habt die gleichen Chancen gehabt wie die AFD. Nur: Ihr habt sie nicht genutzt! Da hilft auch kein Lamentieren – wenn man sich von den Gruenen die eigenen Parteiaussagen diktieren laesst und sich innerlich gegenseitig zwerfleischt, weil die Toleranz immer nur von den anderen gefordert wird, darf man sich nicht wundern, wenn man in der Bedeutungslosigkeit verschwindet. Es gibt da z.B. eine AG Waffenrecht, die sich ehrlich abmueht und mit ihren sauber ermittelten und definierten Positionen einiges fuer den Bekanntheitsgrad und die Seriositaet der Partei tun koennte – sie wird mehr oder weniger ignoriert. Das, was die AFD zuviel an rechten Spinnern hat, hat die PP zuviel an Linken. Die Sachkompetenz der einzelnen Mitglieder ist kein allgemeines Gespraechsthema mehr, weil die PP sich mit Typen wie dem ehemaligen “Parteisekretaer” derart oeffentlich blamiert hat, dass sie von den Meisten nur noch als, wenn ueberhaupt, Nerd-Partei gesehen wird. Und schaut mal in die Landtagsfraktioenen – traurig, was einem da fuer Leute begegnen: missguenstig und ideologisch links so verbohrt, dass sie es selber gar nicht merken. Sie benehmen sich eben so, wie richtige Politiker…
So, das musste mal ´raus – weil es mich aergert, das ein an sich sooo guter Ansatz so bloede versaut wurde.
Gruss
Hannes
Hannes – ich hätte da ein paar Fragen:
1. Wenn ich davon spreche, dass die gesamte Politik darauf ausgerichtet ist, als Erfüllungsgehilfe (systemrelevanter) Großkonzerne in Erscheinung zu treten, bin ich dann verbohrt LINKS oder kann man diese Aussage nicht gerade wieder z.B. an TTIP und der “Anpassung” des Gesetzes über erneuerbare Energiequellen verifizieren?
Bin ich RECHTS, wenn ich meinem Kumpel, einem Waffennarren, der mit allen möglichen Kalibern gern auf dem Schießplatz herumballert, aber ansonsten sehr nett ist, recht gebe, wenn er sich über die z.T. hanebüchenen Restriktionen des deutschen Waffenrechts echauffiert?
Ist dieser eindimensionale Betrachtungsweise LINKS vs. RECHTS nicht kreuzblöd? Wollten die Piraten diese Eindimensionalität nicht überwinden?
Wäre die ganz einfache Fragestellung: “Was nützt der Mehrheit?” nicht der bessere Gradmesser jeder Politik? So quasi als Substitution des klassischen LINKS vs. RECHTS-Denkens…
Ja du hast recht: Die PP hatte ihre Chance, hat sie aber nicht genutzt und es ist jammerschade um all die guten Ansätze und Thesen, die nun kaum noch gehört werden, weil sich die PP in großen Zügen SELBST disqualifiziert hat.
Andererseits: Die AfD-Politik nützt definitiv NICHT der Mehrheit. Ich habe das Programm gelesen – und DAMIT (krude Fremdenfeindlichkeit, Ausweitung des Naturschutzes für unsere “tüchtigen Führungskräfte”, Verschärfung der Restriktionen für die sog. “Unterschicht”… ) will ich nix zu tun haben, auch wenn die AfD derzeit Volkes Nerv getroffen hat. Ich kann die AfD-Fans in einer Hinsicht verstehen: Sie erwarten von der etablierten Politik nichts mehr. In dieser Hinsicht haben sie die gleiche Einlaufkurve wie die Piraten vor ein paar Jahren.
Chapeau Herr Renner: Ein sehr schöner Artikel, der mich hoffen lässt. Am Ende steigen die Piraten wieder in die Politik ein? Jedenfalls böten die Meisterleistungen der Merkel-Regierungen noch genug Stoff für Dutzende solcher Artikel. Vielleicht solltest Du sie schreiben. Deiner Partei könnte es nicht schaden. Vielleicht schaffst Du es ja, die Piraten wieder aus der Selbstbeschäftigung heraus zu reißen. Heute habe ich sogar zwei – linke – Piraten-Abgeordnete kurz im Fernsehen erleben dürfen. Mich hat das gefreut, weil sie offenbar die einzigen in ihren Landtagen war, denen die Journalistin eine halbwegs objektive Einschätzung der Lage zugetraut hat. Apropos Linke: Besonders gefreut hat es mich, dass Du mindestens über weite Teile des Textes ohne die rechts-links-Worthülsen ausgekommen bist, auf die deine Kommentatoren leider noch immer so großen Wert zu legen scheinen. Jetzt vielleicht noch die Alternativen als das benennen, was sie sind – Protagonisten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und eines rückwärtsgewandten Gesellschaftsbildes – und es könnte wirklich gelingen. Ich wünsche Dir jedenfalls alles Gute, wenn Du diesen Kampf aufnimmst!