Ein Beitrag von Michael Renner und Steve König.
Kurz nach der Eilmeldung „Bundesregierung kippt Störerhaftung“ knallten bei Piraten und Freifunkern die Champagnerkorken. Nach langen Verhandlungen scheint der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD das gelungen zu sein, was viele für unmöglich hielten. Die beteiligten Parteien fanden nun einen gemeinsamen Nenner. Glaubt man den Berichten, wird auch nicht gewerblichen Anbietern von offenen WLANs das „Provider-Privileg“ zugesprochen – das heißt kurz gesagt, dass die Anbieter nicht für den Inhalt der Nachrichten (Daten), die sie für ihre Nutzer übertragen, verantwortlich sind.
Das WLAN muss dafür weder durch ein Passwort geschützt sein, noch bedarf es einer vorgeschalteten Seite, die den Nutzer auf seine Rechte und Pflichten hinweist. Diese Punkte waren eigentlich ein wichtiger Verhandlungsgegenstand seitens CDU/CSU, doch letztendlich verzichteten die Schwesterparteien – wohl auch nach Druck seitens Merkel – darauf. Bereits in der Sitzung des Bundestags in der kommenden Woche soll die Abschaffung der Störerhaftung in dieser Form beschlossen werden. In Kraft treten soll das Gesetz schon im Herbst.
Dieser Entscheidung geht ein jahrelanger Kampf gegen die Störerhaftung voraus. Den stritt Tobias McFadden, Pirat und Gemeinderat in Gauting, stellvertretend für viele Betreiber offener WLANs durch alle Instanzen. McFadden hat seinen Kunden in seinen Geschäftsräumen einen offenen Internetzugang bereitgestellt und soll nun für eine Rechtsverletzung haften, die er nicht selbst begangen hat. Der Rechtsinhaber, der japanische Konzern Sony, wollte einen Anspruch geltend machen und verlangte eine Summe über 800 € von Tobias McFadden für den angeblich illegal erworbenen Titel. Die Masche zieht oft genug, das macht das Geschäft so lukrativ. Doch Tobias wehrte sich und zog vor Gericht. Zuletzt ging es dabei bis vor den Europäischen Gerichtshof, da das Münchener Landgericht den Fall nach Luxemburg verwies. Nach einem langen Kampf, bei dem Tobias finanziell von der Piratenpartei unterstützt wurde, zeichnete sich dabei ein Sieg für ihn vor dem höchsten Gericht in Europa ab – der Generalanwalt des EuGH sprach sich für eine starke Einschränkung der Störerhaftung aus. Die Reaktion unserer Bundesregierung waren die Verhandlungen zur Abschaffung der Störerhaftung in Deutschland mit dem jetzt bekanntgegeben Ergebnis, über das wir uns – allen voran Tobias McFadden – freuen können.
Doch nachdem die erste Euphorie verflogen war, wurden bereits erste Zweifel geäußert. Auch wenn der überraschende Beschluss die Handschrift der Kanzlerin trägt, sprach die CDU von einem „Kompromiss“. Der genaue Text des Entwurfes ist bisher nicht bekannt. Ob das Gesetz auch genau so verabschiedet wird, bleibt ebenfalls abzuwarten. Denkbar ist durchaus, dass das Ende der Störerhaftung nicht das Ende der Abmahnungen bedeuten muss. Denn um den § 1004 BGB herum haben sich spezialisierte Anwaltskanzleien gegründet, deren Geschäftsmodell im Versenden von Abmahnungen zum Urheberrecht besteht. Ob die Koalition diesen Kanzleien die Geschäftsgrundlage entzieht, kann bezeiweifelt werden.
Je nachdem, wie das Gesetz formuliert wird, werden auch hier am Ende wieder die Gerichte entscheiden müssen. Die Erfahrung zeigt allerdings leider, dass eine klare und eindeutige Formulierung des Gesetzestextes, die Abmahnungen komplett unterbinden wird, eher unwahrscheinlich ist. Was genau dabei Freifunker und andere Anbieter von offenen WLANs erwartet, wird sich erst mit der Entscheidung des Bundestages abzeichnen und konkret werden, wenn das Gesetz mehrere Monate in Kraft getreten sein wird. Der Traum – insbesondere für Freifunker – wäre es natürlich, dass man eine Abmahnung einfach in den Papierkorb werfen kann, ohne sich weitere Gedanken darüber machen zu müssen. Doch wer die Abmahnanwälte und ihre Klienten sowie deren Einfluss auf die Politik kennt, ahnt bereits, dass es so einfach nicht von Statten gehen wird.
Doch selbst wenn mit der Störerhaftung die Abmahnungen ein Ende finden, betrifft dies nicht Verstöße gegen das Strafrecht. Denn die Störerhaftung in ihrer jetzigen Form ist ein rein zivilrechtliches Konstrukt. Wer via Internet gefälschte Bestellungen verschickt, Drohungen ausspricht, vielleicht Hackerangriffe gegen Server startet, wird früher oder später zum Ziel von Ermittlungen. Deswegen muss jetzt, und sicher auch später, vor dem Öffnen des eigenen WLANs gewarnt werden, da diese und andere strafrechtliche Handlungen weiter polizeilich verfolgt werden können. Und nach außen bekannt ist immer nur die IP des Routers – und damit dessen Betreiber. Deswegen bedeutet der Beschluss auch nicht das Ende von Freifunk, bei dem alle Datenpakete über Provider in Schweden oder den Niederlanden umgeleitet werden und gleichzeitig das öffentlich zugängliche Netz von der Kommunikation in den eigenen vier Wänden getrennt wird.
Trotz aller derzeitigen Unklarheiten gibt es etwas zu feiern. Das Land wird etwas „internetfreundlicher“ werden. Die Piraten – mit Tobias McFadden in der ersten Linie – haben gewirkt. Viele Piraten werden sich durch diesen Beschluss bestätigt sehen – und doch wissen, dass es noch viel zu tun gibt.