Der Reform der Hartz IV Gesetze waren kontroverse, zeitraubende Diskussionen vorausgegangen. Am 24.6.16 stimmte die Mehrheit des Bundestags einigen Änderungen zu, die in der GroKo konsensfähig waren. Heraus kam eine unausgewogene Mischung von grundrechtswidrigen Verschärfungen des Gesetzes und Versuchen, die Mitarbeiter der Jobcenter verwaltungstechnisch zu entlasten.
Im Wesentlichen einigten sich die Bundestagsabgeordneten auf zwei Änderungen bezüglich des Bewilligungszeitraums der Hartz IV Bescheide und der Ein-Euro-Jobs.
Bisher muss das Arbeitslosengeld II (ALG II), besser bekannt als Hartz IV, alle sechs Monate neu beantragt werden. In den Jobcentern verursachte dieser kurze Zeitraum einen kaum zu bewältigenden Bürokratieaufwand. Zukünftig soll das ALG II für zwölf Monate bewilligt werden.
Einfachere Einkommensanrechnungen und weniger komplizierte Berechnungen von Unterkunfts- und Heizkosten waren weitere neue Regelungen, zu denen sich die GroKo-Abgeordneten durchringen konnten.
Damit erschöpfen sich allerdings auch schon die akzeptablen Änderungen des umstrittenen Hartz IV-Gesetzes.
Eine zweifelhafte Aufwertung erhalten die fragwürdigen Ein-Euro-Jobs. Bekanntermaßen dürfen sie von den Betroffenen nicht abgelehnt werden – es besteht der Zwang, selbst total sinnlose oder absolut unpassende Arbeiten annehmen zu müssen, da sonst die Sanktionierung, also Kürzung des Hartz IV Regelsatzes, droht. In fünf Jahren durfte der Jobcenter-Mitarbeiter einem sogenannten „Kunden“ für 24 Monate einen Ein-Euro-Jobs zuweisen. Geplant ist nun die Ausweitung des Zeitraums auf 36 Monate.
Mit dieser Regelung stärkt die GroKo erneut die Niedriglohnbranchen, sorgt in blinder Ignoranz dafür, dass der Mindestlohn unterlaufen wird und verhindert, dass Arbeitsplätze entstehen, die Menschen zumindest einen akzeptablen Teil ihrer Lebenshaltungskosten sichern.
Katastrophal ist und war die Sanktionierungspraktik der Jobcenter. Als Strafe für Zuspätkommen, Versäumen von Terminen oder Ablehnung von Jobs konnten die Mitarbeiter einen Teil oder sogar den gesamten Regelsatz der „Leistungsempfänger“ streichen. Armut, Obdachlosigkeit und Abhängigkeit von Wohlfahrtseinrichtungen sind nur einige Folgen für „sanktionierte Menschen“. Zahlreiche Verbände kritisieren dieses Praxis als grundgesetzwidrig und menschenunwürdig.
Mit dem neuen Gesetz werden diese „Sanktionierungen“ gravierend verschärft.
Jobcenter können nämlich zukünftig Geld und sogar Sachleistungen vom Leistungsempfänger zurückfordern. Definiert im neuen Gesetz ist dies mit dem Begriff „sozialwidriges“ Verhalten. Darunter fällt zum Beispiel, wenn jemand „vorsätzlich“ gespartes Geld ausgibt, kurz bevor er ALG II bezieht.
Menschen, die eine Arbeitsstelle „ohne wichtigen Grund“ ablehnen oder aufgeben, müssen demnach Geld, Beiträge zur Sozialversicherung und sogar Sachleistungen zurückerstatten.
Die Schwammigkeit der Wortwahl „sozialwidrig“ oder „ohne wichtigen Grund“ lässt bereits ahnen, welche weitreichenden Handlungsspielräume für die Ämter durch das neue Gesetz geschaffen werden.
Absolut gesetzwidrig ist der neu geschaffene Passus, dass fehlerhafte Hartz IV Bescheide nicht mehr rückwirkend vom Jobcenter korrigiert werden müssen. Alle Überprüfungsanträge, die nach der Widerspruchsfrist nach vier Wochen gestellt werden, laufen ins Leere. Zahlungen werden den Menschen vorenthalten, obwohl ihnen die Leistungen nachweislich zustehen.“Das ist auch rechtsstaatlich sehr fragwürdig, wenn das Urteil eines Gerichtes hier per Gesetz ausgesetzt werden soll“, erklärt Ulrich Schneider, der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gegenüber der Presse. Jobcenter erhalten mit dem neuen Gesetz Narrenfreiheit und werden immer weiter zur „grundrechtsfreien Zone“.
Zwei geplante Änderungen, die im öffentlichen Kreuzfeuer der Kritik standen, wurden kurz vor Abstimmung ersatzlos gestrichen. Sie hätten die Situation der Alleinerziehenden und der älteren Arbeitslosen stark verschlechtert.
Ursprünglich geplant war es, Hartz IV Empfänger zu sanktionieren, die mit 63 Jahren mit allen Abzügen und gegen ihren Willen zwangsverrentet werden sollen. Wenn sie dabei nicht mitwirken, also die dafür notwendigen Unterlagen nicht abgeben, wäre ursprünglich vorgesehen gewesen, ihnen den Hartz IV Regelsatz zu kürzen. Die vorzeitige Verrentung der Menschen dient der Kostenersparnis und der Kosmetik der Arbeitslosenstatistik. Sie wird aber immer wieder kritisiert und ist äußerst umstritten.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hätte gerne auch noch Alleinerziehende ins Visier genommen und ihnen jeden Tag, den das Kind oder die Kinder beim Ex-Partner verbringen, vom Hartz IV Regelsatz abgezogen. Damit hätten sich Alleinerziehende ausrechnen müssen, wie viele Besuche ihrer Kinder bei Vater oder Mutter monatlich für sie finanzierbar gewesen wären. Ein beispiellos grausamer Vorschlag, der ausgerechnet die Kinder benachteiligt hätte.
Allein diese gestrichenen Vorschläge werfen ein grelles Schlaglicht auf den Grundtenor des neuen Gesetzes.
Die Lage der Menschen soll immer weiter verschlechtert werden. Es muss möglichst unwürdig bis unmöglich sein, von Hartz IV leben zu müssen.
Typisch erscheint das verlogene Schlagwort „Rechtsvereinfachungen“, das – wie so häufig – der Öffentlichkeit suggeriert, etwas Positives sei beschlossen worden. Immer wichtiger werden deshalb Plattformen wie „Sanktionsfrei„, die für die Abschaffung des gesamten Hartz IV Systems kämpfen.