Die Piraten in Nordrhein-Westfalen befinden sich momentan in der heißen Phase der Landtagswahl und kämpfen um den Wiedereinzug in das Landesparlament. Doch auch wenn die meisten Ressourcen schon gebunden sind, konnten wir uns am 21. April beim Kandidatentreffen der Piratenpartei in Chemnitz mit Patrick Schiffer, Bundesvorsitzender und Direktkandidat NRW, treffen und uns über den Verlauf des Wahlkampfs und dessen Erfolgsaussichten für die Piraten unterhalten.
Flaschenpost: Hallo Patrick – dann stelle dich doch bitte zuerst einmal vor. In der Partei kennt dich sicherlich schon jeder, aber warum reden wir denn heute mit dir über den NRW-Wahlkampf?
Patrick: Ich bin Bundesvorsitzender der Piratenpartei, mein Name ist Patrick Schiffer, 44 Jahre alt und wohne in Düsseldorf und bin natürlich durch meine langjährige Zeit im Landesvorstand NRW direkt in der Materie. Ich bin auch Direktkandidat in Düsseldorf und war bereits im Landtagswahlkampf auf Podiumsdiskussionen. Der Wahlkampf der Piraten NRW ist sehr engagiert, wir haben eine tolle Social-Media-Kampagne inklusive Radio- und TV-Spot erarbeitet. Wir haben einen Hashtag, unter dem sich das firmiert, der sich #smartgerecht nennt und alle kämpfen gemeinsam für die Themen Digitale Revolution, fahrscheinfreier ÖPNV, Soziale Gerechtigkeit, bessere Bildung und Demokratie-Update und vielen weiteren, wichtigen Wahlkampfschwerpunkten [PDF].
Flaschenpost: Und stellvertretend für die Listenkandidaten, da diese heute nicht anwesend sein können: Kannst du sie kurz vorstellen und sagen, was sie machen und welche Themen sie vertreten?
Patrick: Wir haben Michele Marsching, der aktuelle Fraktionsvorsitzende der Piratenfraktion im Landtag, der unser Spitzenkandidat ist. Danach kommen Monika Pieper, Thorsten Sommer, Oliver Bayer, Lukas Lamla, Simone Brand, Joachim Paul, Stefan Borggraefe, David Grade, Dennis Deutschkämer und viele weitere, sehr engagierte Piraten.
Flaschenpost: Und die sind jetzt schon zum Teil in der Piratenfraktion in NRW – den 20piraten – mit dabei?
Patrick: Viele sind in der Piratenfraktion, wir haben aber auch Newcomer. Der aktuelle Landesvorsitzende, Dennis zum Beispiel, oder aktive Ratsleute, die aus den einzelnen Kommunen jetzt auf Landesebene aktiv werden. Es ist einfach ein klasse Team. Es macht Spaß, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Flaschenpost: Schön zu hören. Reden wir mal kurz über den Landtag selbst. Fünf Jahre mit der Piratenfraktion sind jetzt vergangen. Worauf blickt ihr zurück, was ist euch gelungen, was war positiv, was negativ?
Patrick: Ich sage mal so: Wir haben die ersten Erfahrungen gemacht auf parlamentarischer Ebene und es hat eine Weile gedauert, bis wir im Parlament angekommen sind. Ich habe die Landtagsfraktion von 2013 an intensiv begleitet, war viel im Landtag und habe dort mitgearbeitet, wie zum Beispiel beim Thema Fanrechte, wo wir die ersten waren, die das Thema überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt haben; mit regelmäßigen Treffen mit Fanvertretern, um genau zu sein. Wir haben in allen Bereichen zugehört, viele Themen angestoßen, uns weiterentwickelt und waren eine sehr aktive Oppositionsfraktion mit den meisten Anträgen und Anfragen pro Person.
Wir haben insbesondere das Thema Digitalisierung eingebracht, sei es nun in Sachen Snowden, Überwachungsfragen, Funkzellenüberwachung, Demokratie, Open Data, Open Government oder Unterstützung des Mittelstands. Da haben wir gut vorgelegt, sodass die anderen Parteien darauf eingehen mussten. Allerdings – und das ist ein wenig negativ – dadurch, dass wir in den Umfragen gesunken sind, konnten wir nicht mehr den nötigen Druck ausüben. Das ist aber nicht nur uns so gegangen, sondern eigentlich allen Landtagsfraktionen der Piraten. Wir mussten feststellen, dass das massiv Schwierigkeiten verursacht, sei es Medienpräsenz oder seien es nur unsere Anträge. Anfangs hieß es von Hannelore Kraft, wir würden mit der Politik der ausgestreckten Hand begrüßt werden. Die Parteien haben uns auch erst einmal sehr freundlich behandelt, aber irgendwann kippte das sehr schnell.
Inzwischen sind wir radikaler geworden und haben viel Aufsehen erregt durch einzelne Aktionen im Landtag, wie zum Beispiel die Film-Aktion über die Grünen im Plenarsaal, bei der wir nachweisen wollten, dass sie in Sachen Cannabis nicht zu dem Thema stehen und nach außen etwas ganz anderes verkaufen, als das, was sie eigentlich leben. Spätestens damit haben wir uns auch nach außen in unserer Oppositionsrolle eingefunden. Uns wird mittlerweile von vielen Journalisten – aber auch von den anderen Parteien – bescheinigt, dass wir tolle Ideen haben, die auch aufgegriffen werden, dass wir konstruktive Mitarbeit in den Ausschüssen leisten und insgesamt komplett unter Wert verkauft werden.
Flaschenpost: Leidiges Thema für die Piraten..
Patrick: Genau, leidiges Thema. Das muss halt bei den Wählern ankommen und wie man momentan sieht, ist die Stimmung nicht nur in NRW sondern in Gesamtdeutschland schwierig für eine progressive Partei und eine progressive Politik. Die Angst beherrscht die Schlagzeilen, aber dessen ungeachtet gehen wir konfrontativ und mit Mut und guten Ideen voran – gerade mit der Frage: „Wie wollen wir 2030 eigentlich leben?“. Und das werden wir auch so weitermachen, das werden wir beibehalten und irgendwann kippt die Stimmung auch wieder in etwas Positiveres um.
Flaschenpost: Darauf wollen wir hoffen. Und wenn ihr jetzt zurückblickt, auf das, was ihr erreicht habt – was hättet ihr gerne besser gemacht, was ist liegengeblieben, wo würdet ihr gerne weitermachen, solltet ihr wiedergewählt werden?
Patrick: Da kann ich nur ein bisschen für mich sprechen: Mein Thema ist Bildung, ich sitze im Schulausschuss von Düsseldorf als sachkundiger Bürger und sehe, dass die Schulen schlecht ausgestattet sind. Und da rede ich noch nicht einmal über das digitale Thema, sondern alleine schon was Stühle, Möbel, den Putz an den Wänden und die Toiletten betrifft – da ist unglaublich viel Bedarf an bildungspolitischen Initiativen. Das würde ich auch weitermachen wollen, auch gerne im Landtag. Darüber hinaus haben wir – ein kleines Beispiel, aber ein sehr großer Erfolg für uns als kleine Fraktion – es geschafft, das Thema Freifunk in NRW groß zu machen. Die Regierungsfraktionen sind da mit aufgesprungen, wir haben es geschafft, dass Geld bereitgestellt wird, dass in den Gebäuden der Kommunen, also in den Behörden, auch Freifunkrouter installiert werden und der Freifunk auch eine Gemeinnützigkeit bekommt. In diesen Bereichen, in denen wir aktiv waren – zum Beispiel Bildung und Digitalisierung – haben wir durchaus etwas erreichen können und wollen dort auch weitermachen.
Flaschenpost: Abgesehen davon – was sind eure zentralen Themen im NRW-Wahlkampf, was beschäftigt die Leute dort und was beschäftigt euch?
Patrick: Der Landesverband NRW selbst ist sehr sozial ausgerichtet. Gerade das Thema Soziale Gerechtigkeit wird großgeschrieben. Kindergrundsicherung ist zum Beispiel eine Thema davon gewesen, dass in den letzten Monaten immer wieder präsent war. Dann haben wir natürlich das Thema Digitalisierung in allen Politikfeldern aufgegriffen und für die Landesebene weitergedacht. Wir haben das Thema Verfassungsreform angepackt und versucht nach vorne zu treiben – Wahlrecht ab 16 und Senkung der Hürden für Volksentscheide, also direkte Demokratie. Transparenz war auch immer wieder ein großes Thema – Veröffentlichung von allen möglichen Dingen, die im Parlament passieren. Ansonsten empfehle ich allen, die sich für die NRW-Politik der Piraten interessiert: Schaut auf smartgerecht.nrw, dort findet ihr das gesamte Wahlprogramm, einen Videospot und einen Radiospot für die Landtagswahl. Das würde jetzt zu weit führen, alle Themen aufzulisten, besonders der Radiospot aber sagt einiges über unsere Ziele aus.
Flaschenpost: Der Gedanke hinter der Kampagne – du hast es schon mehrmals erwähnt – ist #smartgerecht. Kurz und knapp – was steckt dahinter?
Patrick: Smart bezeichnet in erster Linie eine innovative, moderne Politik, die vernetzt ist, die die technologischen Möglichkeiten aufgreift und ausreizt. Und gerecht bedeutet, dass alle in der Gesellschaft mitgenommen werden, dass niemand ausgegrenzt wird, dass politische und gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. Der Gedanke der Solidarität soll aufgegriffen werden, damit nicht Probleme mit Hartz IV-Sanktionen und anderen, sozialfeindlichen Politiken weiter Bestand haben werden.
Flaschenpost: Im Zuge des Landtagswahlkampfs – wie steht es mit dem Thema Medienpräsenz und Öffentlichkeit? Wie erlebt ihr das gerade in NRW, fühlt ihr euch in den Medien gut vertreten – zum Beispiel im ÖR oder der Presse – oder glaubt ihr eher, dass ihr quasi unterschlagen werdet?
Patrick: Ich bin kein Mensch, der Medienbashing betreibt – im Gegenteil, ich halte im Moment die Berichterstattung in den Medien, insbesondere in NRW, für größtenteils sehr fair. Der WDR kommt seiner Rolle als öffentlich-rechtlicher Rundfunk nach und berichtet über uns. Auch ARD und ZDF nehmen Beiträge, die eine bundesweite Resonanz erzeugen, auf. Zum Beispiel Oliver Bayer, unser Verkehrsexperte oder auch Simone Brand zum Fall Amri waren im ZDF zu sehen.
Man hat aber natürlich auch immer politisch eingefärbte Medien – das heißt zum Beispiel Zeitungen, die eher konservativ oder liberal stehen und da ist es eher weniger verwunderlich, dass wir dort nicht allzu oft auftauchen. Gemessen an den Umfragen und gemessen auch an der Präsenz im Landtag kann man sich immer beschweren, dass es zu wenig ist. Man muss aber auch harte Arbeit leisten, das heißt, gute Pressearbeit machen und sich gut mit Journalisten vernetzen. Da muss ich die NRW-Piraten groß loben, denn sie haben das frühzeitig erkannt und sich deswegen auch darauf verlagert, stärker in den sozialen Medien präsent zu sein. Das machen sie wirklich sehr clever, die Zahlen sind steigend, die Beiträge werden fröhlich geteilt. Das Social Media Team überzeugt sehr – tägliche, qualitativ hochwertige Beiträge, auch grafisch, es ist modern und innovativ und hat auch neue Formate.
Flaschenpost: Zum Abschluss nochmal das Thema Umfragen – wie steht ihr denn momentan in diesen? Und wie ist euer Gefühl dazu, sind sie realistisch oder rechnet ihr euch bessere Chancen aus?
Patrick: Wie ich bereits sagte: Unter Wert verkauft. Die Umfragen sind schlecht, das muss man ganz klar sagen. Im Moment haben wir keinen eigenen Balken, das heißt, wie liegen unter zwei Prozent. Was es am Ende wirklich wird, bleibt aber offen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel haben wir Umfragen gesehen, bei denen wir Piraten überhaupt nicht abgefragt werden. Man kann die Piraten nicht angeben. Wenn man gefragt wird: „Welche von den Parteien würden Sie wählen?“, und du sagst „Piraten“, dann bekommt man als Antwort: „Nein, tut uns Leid, das ist bei uns unter Sonstige.“ und wir landen damit automatisch unter Sonstige. Das ist natürlich schwierig – trau keiner Umfrage. Ich sage auch immer wieder, wenn ihr die Piraten in den Landtag wählt, dann heißt das auch einfach, dass wir weiter Druck in den wichtigen, zukunftsweisenden Feldern der Politik wie Zukunftsfragen, Technologisierung und Digitalisierung auf die anderen Parteien ausüben werden. Das Sahnehäubchen dabei wäre es natürlich, wenn wir es schaffen, die AfD zu verhindern.
Flaschenpost: Das wäre natürlich klasse. Patrick, dir vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der Wahl.
Patrick: Danke, und gern geschehen.