An einem mangelt es der Republik nun wahrlich nicht: Klausuren, Kommissionen und irgendwelchen Gipfeln zum vorherrschenden Thema „Digitalisierung“. Ganz egal ob man dabei die Blockchain, den Digitalpakt, die Künstliche Intelligenz (KI) oder auch zur Abwechslung das neue schnelle Mobilnetz (5G) als die neue heilige Kuh (Sau) durch das vernetzte und mediale Dorf treibt.
Dass dieses Mantra der „Digitalisierung“ dabei viel zu kurz greift wird beim aktuellen politischen Handeln sehr deutlich und offenbart sich dann in den merkwürdigsten Aussagen und Aktivitäten, die man angesichts der anstehenden Herausforderungen selbst bei viel Wohlwollen als halbseiden betrachten darf. Oder als schädlich betrachten muss.
Wir haben mittlerweile gelernt, dass es 5G nicht an jeder Milchkanne braucht. So zumindest sieht es die Bundesministerin für Bildung und Forschung. Wie hier beispielsweise die Herausforderungen bei der Digitalisierung der Landwirtschaft angegangen werden sollen wird wohl ein gut gehütetes Geheimnis der Ministerin bleiben. Wie technische Visionen wie das vernetzte Fahren ohne eine entsprechende Anbindung realisiert werden können, offensichtlich auch.
Ein eben solches, trostloses Bild bietet sich beim Thema Künstliche Intelligenz. Ok, hier war es kein Gipfel, sondern nur eine Klausur, das Ergebnis ist aber ähnlich beschämend. Drei Milliarden will der Bund für die Entwicklung künstlicher Intelligenzen in den nächsten fünf Jahren bereitstellen. Nur ein kleiner Blick über den Tellerrand zeigt, dass diese Summe schlicht ein schlechter Witz ist. Allein Shanghais Regierung will nun 15 Milliarden Dollar in KI-Projekte investieren, darunter in den Aufbau einer volldigitalisierten “Smart City”.
Doch nicht nur der bei der thematischen Betrachtung versagt der Bund bei diesen Zukunftsthemen auf ganzer Linie.
Auch strukturell hinken wir mit der Zersplitterung von Zuständigkeiten in der Regierung den tatsächlichen Erfordernissen und Notwendigkeiten hinterher. Eine Staatsministerin für Digitalisierung ist im Verkehrsministerium angesiedelt. Dabei erstreckt sich der digitale Wandel über alle Gesellschaftsbereiche. Anstatt hier ein Zeichen zu setzen und ein eigenes Ministerium zu schaffen, belässt man es bei dem was man kennt. Unkoordiniertes Handeln sowie Zuständigkeitsgerangel führen nicht nur dazu, dass es keine Gesamtstrategie zum Umbau der Gesellschaft gibt. Es führt auch dazu, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland zunehmend an Attraktivität verliert.
Deutschland verliert im Standortwettbewerb um digitale Investitionen zunehmend an Boden. Im internationalen Maßstab sind wir beim Blick auf die größten Volkswirtschaften bereits auf den letzten Stand abgerutscht. Selbst beim Blick nach Europa dümpelt Deutschland auf einem irrelevanten Mittelfeldplatz herum. Aussicht auf Besserung? Nein.
Bestes Beispiel dafür, wie hanebüchen die Politik hier mitunter vorgeht, ist der Digitalpakt.
Allein Whiteboards statt Tafeln und Tablets statt Papier werden nicht helfen, dass wir ein zeitgerechtes und zugleich auch faires Bildungssystem auf die Beine stellen können. Die Bereitstellung von schnellem Internet sowie die technische Ausstattung der Schulen mögen zwar ein kleines Puzzlesteinchen sein. Notwendig sind vielmehr ganzheitliche Maßnahmen zur Reform des Bildungssystems.
Dies beinhaltet dann auch die notwendige Bereitstellung von Lehrerkapazitäten, die Aus- und Weiterbildung dieser, die Entfristung von Verträgen sowie eine komplette Überarbeitung sowohl der Lerninhalte als auch der Lernmethodik.
Bei einem Land, das auf Grund fehlender Rohstoffe traditionell seine Stärken aus dem Wissen und den Ideen der Menschen bezieht, welches führend für Wissenschaft und Forschung sein will, ist das Gebaren beim Digitalpakt das Zeichen einer völligen (digitalen) Hilflosigkeit.
Auch im Bereich der Biowissenschaften geht die Entwicklung rasend schnell voran. Genmanipulationen erstrecken sich schon lange nicht mehr nur auf Saatgut und Schafe, sondern erreichen jetzt auch den Menschen selbst. Auch auf diese Entwicklungen brauchen wir in unserer Gesellschaft dringend Antworten.
Seitens der politischen Parteien scheint immer noch nicht verstanden worden zu sein, dass wir es eben nicht nur mit „Digitalisierung“ zu tun haben. Sondern dass es sich um einen von Wissenschaft und Technologie getrieben „digitalen Wandel“ handelt. Der nicht nur alle Bereiche der Gesellschaft tangiert, sondern diese auch teilweise vor völlig neue Herausforderungen stellt.
Die Folgen dieser Zeitenwende sind in ihrer Gesamtheit radikaler, als es sich die Teilnehmer der Gipfel, Klausuren und Kommissionen vorstellen können. Oder wollen.
Um diese Herausforderungen zu meistern, benötigen wir einen komplett neuen Gesellschaftsentwurf. Wenn wir jetzt nicht unser Wirtschafts-, Sozial-, Steuer- und Bildungssystem im Sinne kommender Generationen grundlegend an neue Realitäten anpassen, werden wir nicht nur ökonomisch weiterhin an letzter Stelle stehen.
Diese Chancen zu gestalten, zu definieren, einen anderen Gesellschaftsentwurf zu entwickeln und auch den Bürgern zu erklären – das bedarf natürlich großer Kraftanstrengungen.
Dies bedeutet auch:
- Den Bürgern zu erklären, wie auch der digitale Wandel Ihnen helfen kann
- wie wir uns die Arbeit der Zukunft vorstellen ohne jemanden zu verlieren
- Wie die Technik uns als Menschen dienen kann, und nicht umgekehrt
- Wie wir in Zukunft den Spagat zwischen Datenerhebung und Datensouveränität definieren
- Wie wir Datenerhebung und Privatsphäre in Einklang bringen wollen
- Oder wie wir schlicht unser Bildungssystem so verbessern, dass alle (egal ob Schüler, Student, Rentner) auf der Höhe der Zeit bleiben
Dazu ist es allerdings notwendig, auch vom noch so schönsten Gipfel herabzusteigen und über Partei- oder Interessensgrenzen hinweg diesen Diskurs politisch anzustoßen, und diesen MIT der Gesellschaft zu entwickeln.
Oder um mit Albert Einstein zu antworten:
„Eine neue Art von Denken ist notwendig, wenn die Menschheit weiterleben will.“
Guter Artikel, aber wenigstens ansatzweise hätte ich gerne Antworten zu den in der Auflistung steckenden Fragen …