Der Sperling hat Thomas Köhler interviewt, unter anderem zu den Krawallen in Connewitz.
Wer bist du und was machst du in Leipzig?
Ich bin Thomas Köhler (aka Tom Coal), 63 Jahre alter Leipziger mit einer 10-jährigen Bremer Biografielücke. Kfz-Schlosser gelernt, Ingenieurabschluss Maschinenbau – Kraftfahrzeug- und Verkehrstechnik, wende bedingt abgebrochenes Hochschul-Fernstudium Ökonomie, ansonsten ehemaliger Leistungssportler, u.a. Pannenhelfer und Abschleppfahrer für den ADAC, Telefon-Supporter für einen großen Telekommunikationsanbieter und bekennender Bibliophiler und Blogger.
Respekt, das ist eine Menge. Aber du machst auch noch Politik – warum?
Ich habe mir da nie Gedanken gemacht, warum. Ich war schon immer ein politischer Mensch, allerdings habe ich mich die letzten Jahre auf die Tätigkeit im Betriebsrat meiner Firma und im Gesamtbetriebsrat des Konzerns konzentriert. Das hat viel mit Sozialpolitik und Sacharbeit zu tun, genau wie die Arbeit im Stadtrat. Zu den PIRATEN bin ich nach der Bundestagswahl 2013 gekommen und zwischenzeitlich ausgetreten, als die PIRATEN drohten, zu einer „Linken mit Internetanschluss“ zu werden. Ich bin mit Leib und Seele mehr Parlamentarier als Politiker, also undogmatisch.
Seit wann bist du im Stadtrat?
Ich bin zur Stadtratswahl 2019 gewählt worden und somit seit September 2019 Mitglied des Stadtrates Leipzig. Mit den drei StadträtInnen der FDP gemeinsam bin ich in der kleinsten Fraktion im Stadtrat – „Freibeuter“.
Als Stadtrat einer Großstadt spezialisiert man sich ja in seinen Aufgaben – in welchen Ausschüssen bist du tätig?
Ich vertrete die Fraktion im Jugendhilfeausschuss mit seinen Unterausschüssen, in den Fachausschüssen Umwelt und Ordnung, Stadtentwicklung und Bau, Jugend und Schule, Soziales und Gesundheit, im Betriebsausschuss Stadtreinigung, im zeitweilig beratenden Ausschuss Wohnen und im Behindertenbeirat. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen.
Stichwort Stadtentwicklung und Bau: Wie ist die Wohnsituation in Leipzig? Gibt es genug “vergünstigte” Wohnungen und gibt es Zahlen über Leerstände?
Das muss man trennen, es gibt Wohnungen und Wohnungsleerstand in Leipzig – aber es gibt zu wenige bezahlbare Wohnungen. Wer in die Statistiken schaut, sieht, dass die LeipzigerInnen durchschnittlich gut verdienen. Das ist aber eine statistische Aussage, aus der nicht ersichtlich ist, dass große Teile der arbeitenden Bevölkerung, also rund 113.000 arbeitende Menschen, im Mindestlohnsektor oder in Minijobs arbeiten. Jeder fünfte Haushalt ist von Armut bedroht, dramatisch ist hier vor allem die Situation der Angebotsmieten: Im Zeitraum 2013 und 2017 stiegen diese, abhängig vom Stadtteil, zwischen 19 % und 49 %.
Private Investoren bauen natürlich bevorzugt hochwertige, sprich: teure, Wohnungen, womit die Anzahl der bezahlbaren Wohnungen für große Teile der Bevölkerung ständig zurückgeht. Die letzte offizielle Zahl aus dem Monitorringbericht 2018 geht von 2 % Leerstand an vermietbaren Wohnungen aus (ca. 7.000). Die Stadt Leipzig versucht, mit Festlegung von Quoten für mietpreisgebundene Wohnungen bei Neubau mit den entsprechend hohen finanziellen Aufwendungen dem gegenzusteuern, das reicht aber nicht aus.
Am Wochenende gab es Krawalle im Stadtteil Connewitz: Wie siehst du das?
Auch hier trenne ich die Hausbesetzung von den Krawallen. Die Hausbesetzung in der Ludwigstraße kann man mit gutem Willen, da sowohl die Besetzung als auch die Räumung friedlich verliefen, als legitimen Protest gegen Gentrifizierung und Wohnungsleerstand akzeptieren. Die nachfolgenden, mit Ansage gewalttätigen Demonstrationen sind inakzeptabel. Hier müssen sich alle demokratischen Parteien eindeutig positionieren. Allein eine Drohungen wie “Nehmt ihr uns die Häuser ab, dann machen wir die City platt!” zeigt, dass es hier nicht um politischen Diskurs, sondern um blinde Gewalt geht. Diese Auswüchse sind schädlich für die Demokratie und auch für die vermeintlich von den Akteuren der Gewalt vertretenen politischen Ziele.
Am Schluss die Frage: Was wünschst du dir?
Wahrscheinlich müsste ich jetzt etwas Tolles wie “Weltfrieden” oder “Freibier für alle” sagen. Aber ich wünsche mir nur, dass der Leipziger Stadtrat in dieser Legislatur einige Verbesserungen für die Menschen in Leipzig erreicht und Weichen für weitere stellen kann.
Wer mehr über mich wissen will: https://tom-coal.com
Vielen Dank und viel Erfolg!
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt nur noch wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂