Ein Gastartikel von Lea Laux
Die SPD hat den aktuellen Entwurf ihres Programms zur Bundestagswahl im September [1] präsentiert. Einen besonderen Blick hat dabei die sogenannte Zukunftsmission der SPD verdient, die unter anderem ein Leitbild und Ideen um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas beschreibt. Mit dem Digitalaspekt wird sich dieser Beitrag beschäftigen.
Digitalisierung in Deutschland: Der Status Quo
Die Betrachtung eines Status Quo ist relevant, weil es sich dabei um die Basis für die Gestaltung der künftigen Digitalpolitik handelt. Die SPD, die seit 1998 mit Ausnahme einer Legislaturperiode an der Regierung beteiligt ist, hat zumindest eine gewisse Verantwortung für den aktuellen Stand.
Digitalisierung in Deutschland ist ein ambivalentes Thema. So empfinden 59% der befragten Deutschen nach einer Studie des Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation [2] ihr Land als digital abgehängt. Dabei handelt es sich um den Höchstwert unter allen in der Studie betrachteten Ländern. Das Digitalpotential ist in Deutschland noch weit davon entfernt, ausgeschöpft zu sein. In der Betrachtung der Europäischen Kommission landet das Land gerade einmal im digitalen Mittelfeld. [3]
Die Funkloch-App der Bundesnetzagentur hat mittlerweile zu einer entsprechenden Karte [4] geführt. Im Zusammenhang mit autonom fahrenden Fahrzeugen, die rechtlich betrachtet eine permanente Internetverbindung benötigen könnten, darf die Frage gestellt werden, ob in besagten Funklöchern die Fahrzeuge mangels Empfang dann eigentlich stehen bleiben müssen: „Entschuldigen Sie, Ihr Auto hat die Verbindung verloren, nächster Verbindungsversuch in 30 Sekunden.“
Dass insbesondere in einer Pandemie eher auf Schulöffnungen gedrängt wird, anstatt sinnvolle digitale Unterrichtskonzepte umzusetzen oder entsprechend auszustatten [5], ist ein desaströses Zeugnis für Deutschland.
Um Linus Neumann, einen Sprecher des Chaos Computer Clubs, in einer Anhörung des Innenausschusses zum IT-Sicherheitsgesetz zu zitieren: „Wenn wir uns die Digitalisierung in Deutschland anschauen, dann haben wir hier einfach mit dem schlechtesten aus beiden Welten zu tun. Wir kommen kaum in den Genuss der Vorteile (…), aber ohne diese Vorteile überhaupt zu haben der Digitalisierung, haben wir alle Nachteile am laufenden Band.“ [6] Es gibt also einiges zu tun.
Digitale Souveränität im Jahre… 2030?
In Betracht des Digitalzustandes der Bundesrepublik ist jede Verbesserung gerne gesehen. Zeitlich betrachtet wäre jede Maßnahme am besten schon vorgestern von statten gegangen, was allerdings in der praktisch-physikalischen Anwendung schwierig bis unmöglich ist. Dennoch handelt es sich um eine hochpriore Aufgabe. Die SPD setzt sich hier den Maßstab, bis 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau zu verfügen. Wenn es allerdings ähnlich läuft wie das Erreichen der Klimaziele bis zum Jahre 2030, dann wird es leider nicht reichen. [7]
Deutschland ist aktuell in einigen Bereichen der Digitalisierung abgehangen, bis 2030 reicht es nicht, sodass wir aller spätestens jetzt mehr in diesen Bereich investieren müssten. Die digitale Infrastruktur auf Weltniveau innerhalb von 730 Tagen, also zwei Jahren, das wäre eine wirkliche Verpflichtung, die Digitalisierung ernstzunehmen. Mit 2030 wird das Problem nur weiter in die Zukunft vor sich her geschoben. Das wird der Digitalisierung nicht gerecht.
Breite Breitbandverfügbarkeit
Eine hohe Datenrate für Internetanschlüsse, auch bekannt als schnelles Internet, ist ein wesentliches Thema im Zukunftsprogramm der SPD. So soll Deutschland im aktuellen Jahrzehnt zur Gigabit-Gesellschaft werden und jeder Haushalt sowie jedes Unternehmen eine Bandbreite von 1 GBit/s erhalten.
Grundsätzlich ist dieser Vorschlag sehr vernünftig. Deutschland belegt aktuell einen der hinteren Plätze im Anteil an von Glasfaseranschlüssen an allen stationären Breitbandanschlüssen in den OECD-Ländern. [8] Eine Datenrate von 1 GBit/s in Down- und Upstream ist aktuell nur mit einem rapiden Glasfaserausbau zu erreichen. Übrigens ist ein Ausbau zu flächendeckenden Glasfaser-Netzen bereits im Koalitionsvertrag zwischen Unionsparteien und SPD bereits für 2025 geplant. [9]
Klarnamenpflicht – oder doch nicht?
Ein besonderer Punkt im Zukunftsprogramm stellt die Frage nach der pseudonymen bzw. anonymen Nutzung des Internets. Die SPD spricht sich hier klar gegen eine Klarnamenpflicht aus – allerdings nur, um wenige Sätze später eine Infrastruktur für eine grundsätzliche Identifizierbarkeit, die durch Plattformbetreiber umzusetzen ist, ins Spiel zu bringen, um gegen Hasskriminalität, Betrug und weitere Straftaten vorzugehen. Demnach hätten zunächst nur Plattformbetreiber Informationen zur Identifizierung.
Es stellt sich die Frage, wie eine solche Identifizierbarkeit realisiert werden soll. Erfolgt künftig eine Registrierung in sozialen Netzwerken mithilfe der elektronischen Funktionen des Personalausweises oder einer Kopie dieses Ausweises? Neben den üblichen Bedenken, solch sensible Daten an beispielsweise größere soziale Netzwerke aus den USA zu senden, stellt sich die Frage, ob diese Daten bei einem Hackerangriff wirklich so sicher sind wie gedacht und ob damit im schlimmsten Fall nicht noch die Tür für mehr Betrug geöffnet ist. Kein System ist unhackbar, unangreifbar und am sichersten sind personenbezogene Daten dann, wenn sie gar nicht erst erfasst werden.
Zudem gibt es Betreiber von kleineren Plattformen, die unter Umständen gar nicht die Ressourcen haben, einen möglichst hohen Standard an Identifikationsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen und diese Daten gar nicht haben möchten, weil sie eben so sensibel sind.
Zur Strafverfolgung auf Internetplattformen steht bereits jetzt eine Vielzahl von Daten zur Verfügung, die zur Identifizierung genutzt werden kann. Es gibt sogar genügend Personen, die freiwillig unter ihrem Klarnamen Hassinhalte in sozialen Netzwerken posten. Es dürfen nicht alle dafür bestraft werden, dass ein kleiner Teil der User solcher Plattformen sich nicht an Regeln und Gesetze hält.
Neue, innovative Ideen?
Eine bürgernahe, digitale Verwaltung, eine nationale Weiterbildungsstrategie für Arbeitnehmende im digitalen Wandel, Unterstützung von jungen, innovativen Unternehmen, Fonds für Games-Förderung, mehr Open Data, Unterstützung für ältere Menschen in der Digitalisierung, freies WLAN in öffentlichen Einrichtungen des Bundes, Zügen, Stationen der Deutschen Bahn, hohe Investitionen in den Ausbau der digitalen Infrastruktur an Schulen, ein paar Absätze über IT-Sicherheit und Datenschutz, natürlich auch der Gigabit-Ausbau…
Ach halt, hierbei handelt es sich ja um einen Beitrag zum SPD-Zukunftsprogramm und nicht um einen Beitrag zum aktuellen Koalitionsvertrag zwischen Unionsparteien und der SPD im Bund. Zweifelsohne und überraschenderweise hat die SPD einige gute Punkte in ihr Zukunftsprogramm aufgenommen. Eine Vielzahl dieser Punkte findet sich allerdings im Programm der SPD wieder.
Was aber beispielsweise das Recht auf Reparatur von älteren Geräten oder die Förderung von quelloffener Software (insbesondere beim Staat selbst) angeht, um zwei durchaus relevante Bereiche der Digitalpolitik zu erwähnen, hüllt sich die SPD leider in Schweigen und kopiert eher die Ideen aus einem Koalitionsvertrag, als neue, innovative Schwerpunkte zu setzen. Nach bisheriger Erfahrung wäre eine Umsetzung jedenfalls sowieso fraglich.
[1] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/20210301_SPD_Zukunftsprogramm.pdf
[2] https://www.vodafone-institut.de/wp-content/uploads/2019/01/The_Tech_Divide_Industry_and_Employment_.pdf
[3] https://ec.europa.eu/germany/news/20200611-digitalisierung_de
[4] https://breitbandmessung.de/kartenansicht-funkloch
[5] https://www.zeit.de/digital/2020-11/digitalisierung-schulen-deutschland-eu-vergleich
[6] https://www.bundestag.de/mediathek?videoid=7504317#url=L21lZGlhdGhla292ZXJsYXk/dmlkZW9pZD03NTA0MzE3&mod=mediathek (ab 27:45)
[7] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/klimagutachten.pdf?__blob=publicationFile&v=6
[8] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/415799/umfrage/anteil-von-glasfaseranschluessen-an-allen-breitbandanschluessen-in-oecd-staaten/
[9] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1