
Piratenpartei Logo | CC BY 2.0 Piratenpartei Deutschland
Vor 15 Jahren wurde die Piratenpartei Deutschland gegründet. Anlass genug, zurück zu denken und das Erreichte Revue passieren zu lassen.

Als sich damals eine kleine Gruppe aufmachte, eine Partei zu gründen, war das eigentlich eine vermessene Angelegenheit. Keine*r von uns hatte nennenswerte Erfahrung mit Parteiarbeit. Es gab keine gewichtigen Förderer. Im Gegenteil: Weite Teile der Szene standen dem Projekt kritisch oder abwartend gegenüber. Noch am Vorabend der Parteigründung bemühte sich ein bekannter Szeneaktivist uns vom Beitritt zu den Grünen zu überzeugen.
Aber die Piratenpartei hatte einen entscheidenden Nerv getroffen. Der Themenkomplex Digitalisierung und die damit verbundenen Herausforderungen wurden von den existierenden Parteien ignoriert oder mit schockierender Inkompetenz behandelt. Die Erfolge über die Jahre haben unsere kühnsten Erwartungen übertroffen. Die mediale Aufmerksamkeit, der Einzug in viele Parlamente, der Mitgliederansturm. Plötzlich waren unsere Themen auf der Agenda.
Seitdem ist viel Zeit vergangen, und es ist deutlich ruhiger um die Piraten geworden. Über die Gründe dafür kann man an anderer Stelle spekulieren. Viel spannender ist die Frage, welche gesellschaftlichen Effekte geblieben sind. Denn den Piraten ging es nie um Macht oder Wahlerfolge. Es war eine Parteigründung aus Notwehr, denn die Politik behandelte zentrale gesellschaftliche Themen immer noch als “Neuland”.
Manches hat sich geändert: Keine Politiker*in kann heute noch Themen wie Breitbandinternet oder Datenschutz ignorieren. Vielleicht wäre das auch ohne die Piraten passiert. Vermutlich deutlich langsamer. Sicher schadet es auch nicht, dass viele Menschen, die in der Piratenpartei erste politische Erfahrungen gesammelt haben, sich jetzt bei anderen Parteien engagieren. Auch konkrete Siege sind zu nennen, wie z.B. das EuGH-Urteil zur Störerhaftung.
Können wir die Piratenpartei also als erfolgreichen Katalysator der Digitalisierung in der deutschen Politik zu den Akten legen? So einfach ist es nicht. Zum Einen ist die Arbeit der etablierten Parteien zu den Kernthemen der Piraten, also z.B. digitale Teilhabe oder Schutz vor Überwachung, nach wie vor von einer beeindruckenden Unfähigkeit gekennzeichnet. Das zeigt sich nicht nur bei, vorsichtig formuliert, wenig überzeugenden Prestigeprojekten wie De-Mail, Katastrophen-Warnapps oder elektronischer Patientenakte, sondern auch bei dem stetig wachsenden Rückstand, den Deutschland gegenüber Ländern mit erfolgreicher Digitalisierungsstrategie aufweist.
Die Gründung am 10.9.2006 – einen Tag vor dem fünften Jahrestag der Terroranschläge in New York – war kein Zufall. Bereits damals war mehr als deutlich, dass man diese Tragödie als Anlass für eine Vielzahl von Fehlentscheidungen benutzt würde. Der verlorene Krieg in Afghanistan, der uns 20 Jahre beschäftigte, war nur eines. Auch die ausufernde Überwachung und Einschränkung von Menschenrechten haben sich unter diesem Vorwand beschleunigt.
Zum Anderen wäre ohnehin falsch, die Piratenpartei ausschließlich auf das Themenfeld Digitalisierung einzuengen. Sehr schnell wurden andere Anliegen gefunden, die viele Piraten bewegen, zum Beispiel Bildung oder das bedingungslose Grundeinkommen. Diese Themen haben meiner Meinung nach eines gemeinsam: Es sind Dinge, die den jüngeren Teil der Gesellschaft – Jugendliche, junge Erwachsene, Familien – beschäftigen.
Das ist kein Zufall, denn das Durchschnittsalter der Parteimitglieder liegt mit 38 Jahren leicht unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Alle im Bundestag vertretenen Parteien liegen über dem Durchschnitt. Die Mitglieder der Regierungsparteien können mit einem Durchschnittsalter von 60+ Jahren kaum noch als repräsentativ für die Menschen in Deutschland genannt werden.
Dieser Mangel an Repräsentation hat ganz handfeste Auswirkungen. Das Versagen der Ministerien, während Corona digitalen Unterricht anzubieten, die ständige Sabotage der Klimaschutzmaßnahmen, die fehlende Modernisierung des Landes, die wachsende soziale Ungleichheit – all diese Dinge schaden uns kurz-, mittel- und langfristig. Und zwar uns allen, nicht nur den Jüngeren.
Der alte Slogan der Piraten “Bereitmachen zum Ändern” ist also relevant wie nie. Den großen Parteien fehlt die Fähigkeit, neue Ideen zu entwickeln oder die Zukunftsprobleme unserer Gesellschaft rechtzeitig anzugehen. Stattdessen fechten sie wie in einem lebenden Museum die ideologischen Kämpfe früherer Generationen aus, wahlweise der 1970er, 1920er oder 1870er.
Um so wichtiger, dass die Piratenpartei auch die nächsten 15 Jahre als Impulsgeber für die politische Debatte in Deutschland bereit steht. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Dr. Christof Leng war Mitglied des Gründungsteams der Piratenpartei Deutschland. Er hat wesentliche Teile des ursprünglichen Parteiprogramms verfasst, die Satzung mitgestaltet, die Gründungversammlung geleitet und wurde zum ersten Bundesvorsitzenden gewählt. Er hat das Wiki und das Forum betreut. Aufgrund beruflicher und privater Verpflichtungen hat er sich nach und nach von den Parteiämtern zurückgezogen. Er ist nach wie vor ein überzeugter Unterstützer der Piratenpartei.
Gratuliere, Piraten! Ihr fehlt!