Disclaimer: In diesem Artikel werden keine Personengruppen als Schweine bezeichnet, maximal wird auf das Gleichnis aus “Farm der Tiere” Bezug genommen
Der Staatsrechtler Christoph Gusy verdeutlichte im Rahmen der Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung mit dem Satz “Wo ein Trog ist, da sammeln sich die Schweine” die Gefahren der zügellosen Totalüberwachung unserer Daten durch den Staat. Dass hierbei nicht nur der Staat, sondern auch private Unternehmen aus dem Überwachungskapitalismus gemeint sind, bezeugen nicht nur Praktiken wie Geoscoring und Kreditscoring, sondern auch die zunehmende Aufweichung der Grenze zwischen staatlicher Überwachung und undurchsichtigen, privaten Betreibern wie der neXenio GmbH, einer Ausgründung des aus dem Dunstkreis des SAP-Gründers Hasso Plattner stammenden, gleichnamigen Institutes.
Bei der Einführung der Luca-App (Zusammenfassung der Kritikpunkte) von neXenio verdeutlichten sich diese Probleme, nicht nur, weil hier der Staat eine undurchsichtige Firma aus bisher unklaren Gründen beinahe flächendeckend beauftragte, sondern weil auch die Nutzung der Daten durch Dritte unklar war und ist. Und auch weil der – an sich ja nicht grundsätzlich sinnlose – Zugriff durch Gesundheitsämter eine direkte, quasi ungeschützte Schnittstelle für andere Behörden bot.
Und wie sich in Mainz zeigt, paarten sich – wieder einmal – die Unkenntnis über einen zeitgemäßen Datenschutz mit dem Bedürfnis der Polizei, klassische Polizeiarbeit durch Datenanalyse zu ersetzen – und dies, obwohl sich eigentlich herumgesprochen haben sollte, dass hiermit kaum nützlichen Effekte zu erwarten sind. Nicht mal bei der Terrorabwehr.
Woher kommt’s?
Als informierter Bürgerrechtler fragt man sich, woher das kommt. Es bieten sich hierbei verschiedene Denkmuster der beteiligten Personengruppen an, von denen ich kurz vier beleuchten will
Die Politik als Schäfer
Nicht wenige Politiker/innen – vor allem diejenigen, die sich dem Bereich der inneren Sicherheit besonders zugetan fühlen – entwickeln das Bedürfnis, die Bürger/innen nicht nur vor tatsächlichen, sondern auch vor möglichen Gefahren zu schützen. Für eine genauere Einschätzung fehlt oft die Erfahrung. Je nach Persönlichkeit oder Dauer der Beschallung ist es damit leichter, Einflüsterungen oder dem Tenor von “Objektiven Lageberichten” zu erliegen.
Prominentes Negativ-Beispiel ist Otto Schily, der sich vom ehemaligen RAF-Anwalt und Mitglied der Grünen über den Weg in die SPD zu einem Bundesinnenminister entwickelte, der Dinge wie den “Otto-Katalog” fabrizierte. Und kein Problem damit hat, Passagierflugzeuge abzuschießen, Onlinedurchsuchungen anzuordnen oder die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen. Oder das wirkungslose Terrorismusabwehrzentrum einzuführen. Oder den biometrischen Reisepass. Oder …
Die Polizei in der Rolle des Hirtenhundes
Sehr viele Polizist/innen haben das Bedürfnis, die “Herde” vor den Wölfen zu beschützen. Diese grundsätzlich sehr ehrenwerte Motivation führt nicht selten – bedingt durch die Realitäten des Dienstes – zu Frustration, einem Wandel der politischen Einstellung und einer Änderung der grundsätzlichen Herangehensweise. Manche “Schafe” der “Herde”, ursprünglich fast alle als zu beschützender Teil der Familie angesehen, werden (un-)bewusst in Kategorien der Bedrohung eingeteilt. Es gibt normale Schafe, schwarze Schafe (Kriminelle), grundsätzlich immer meckernde Schafe (politisch weit links stehende Schafe), visuell verdächtiges Schafe (Racial Profiling) und und und …
Die rechtlichen Schutzmöglichkeiten einer Demokratie “behindern” dabei immer wieder die Polizeiarbeit und leider führt dies dazu, dass einige Polizisten sich dem Prinzip “Alle fünfe grade sein lassen” zuwenden. Datenschutz gilt dann als Behinderung, oder auch so Dinge wie das Zeugnisverweigerungsrecht. Journalist ist dann nur, wer den “offiziellen Presseausweis” hat. Redaktionen werden durchsucht bzw. es wird grundlos wegen des Verdachts des Landesverrats ermittelt. Ja, klar, Durchsuchungen geschehen auf Anordnung der Staatsanwaltschaft, aber woher hat diese wohl denn ihre Erkenntnisse?
Manch einer wendet sich auch dem Prinzip “Der Zweck heiligt die Mittel” zu, dies führt dann zu Exzessen, wie sie beispielsweise bei G20 in Hamburg zu sehen waren – oder auch rechten politischen Gesinnungen und entsprechenden Chatgruppen. Traurig, aber Teil des Problems.
Die Helfenden
Kommen wir zu den Helfenden, die, oft aus Unkenntnis, manchmal auch aus Überzeugung Beihilfe leisten. Die beginnt, wie im aktuellen Beispiel bei der Luca-App, bei “kleinen” Mitarbeitern in Behörden und geht über Referatsleiter in Ministerien bis hin in die Politik, wo Mandatstragende in der Kommunalpolitik oder in den Parlamenten sich Fraktionszwängen ausliefern – anstatt das Mandat unabhängig wahrzunehmen.
Ein beliebtes Argument, um vor allem letzteren Kritik oder abweichendes (Abstimmungs-)Verhalten weitgehend zu verunmöglichen, ist hier Kinderpornografie. Wahlweise auch Terrorismusabwehr. Aktuell auch “Fake-News”. Immer wieder auch genutzt, als Vorwand, um journalistische Freiheiten einzugrenzen. Oder Spionage, wie gegen Julian Assange
Die Profitmachenden
Auch wenn der Spruch “Daten sind das neue Öl” die Lage nicht exakt beschreibt (Öl ist endlich), so ist diese Gleichnis so sprechend wie wahr: In dem Maße, wie der Zugang zu Öl die Politik (und die Kriege) seit Beginn des 20, Jahrhunderts prägen, so wird der Handel mit Daten (-profilen) und die sich daraus ergebenden Manipulationsmöglichkeiten das 21. Jahrhundert prägen.
Sei es politisch (z.B. Cambridge Analytica), sei es kommerziell (Werbenetzwerke, von Algorithmen erzeugte “Bewertungen” oder “Produkttests”), gesellschaftlich (Fake News und Verschwörungstheorien) oder in der Vermittlung von toxischen Persönlichkeitsbildern (Instagram etc.). Und die dort erzeugten Daten wecken bei allen Staaten Begehrlichkeiten.
Folgen
Die Folge sind immer restriktivere Gesetze (von denen einige am Bundesverfassungsgericht zerschellen), eine immer weiter um sich greifende Kultur des” Ist ja für die gute Sache” und Duckmäusertum gegenüber den “Vorgesetzten”. Unter diese “Vorgesetzten” fallen nicht nur ältere Vorbilder (oder tatsächliche Vorgesetzte) auf der Dienststelle, sondern auch Partei- und Fraktionsvorsitzende oder Strippenziehende in den Parteiflügeln. Wer was erreichen will, passt sich an – oder wirft die Brocken hin.
Was tun?
Es mag nach einer einfachen Lösung für ein komplexes Problem klingen, aber: “Engagiert euch für Bürgerrechte” ist hier das Mittel der Wahl. Sei es in einer NGO, sei es als Kontaktperson im Freundeskreis, sei es, dass ihr Politik macht. Tut etwas, engagiert euch. Empört euch!
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt nur noch wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Es scheint mir ein sehr schwerer Weg zu sein, aber es wäre tatsächlich besser, sich irgendwo, irgendwie einzubringen. Gegen das Aufgeben sollte wohl das Buch “Wir haben keine Wahl.” hilfreich sein. Dass es sich einfach anhören würde, sich für Bürgerrechte einzusetzen, dem kann ich nicht zustimmen.
Dasselbe mit “Öl ist endlich”, denn Daten sind meines Erachtens nach auch nicht unendlich. Da ist das Universum mehr unendlich. Aber gut, Albert Einstein war sich bei einer bestimmten Sache auch nicht sicher.
Noch während ich hier kommentiere, droht ja schon das nächste Unheil zu kommen. So mancher möchte dem Messenger Telegram am Kragen packen, das darf nicht sein. Es steht jedem Menschen frei, wie er sich entfaltet. Mit Verboten, Blockaden und Hindernissen gegen jedes dieser vielen bürgerlichen Interessen, wird die Politik nicht mehr weit kommen. Es gibt sehr viel zu verändern und eines weiß ich doch: Ihr seid die Partei, die was verändern will.
Also dann…
Klarschiff zum Ändern!
Bitte entschuldige das Ich mich hier wohl nicht klar genug ausgedrückt habe. Daten lassen sich unendlich oft kopieren. Und erzeugen. Das ist bei Öl nicht so, dieses ist endlich, so wie jeder Rohstoff auf der Erde.