Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Glaubt man den nachfolgenden Generationen, dann sind die Babyboomer an allem Schuld. Der Klimakrise, dem Rassismus und vielem mehr. Für sie entstand die Phrase „Ok Boomer“, aus der dann später auch ein Internet Meme wurde [1].
Aber wer sind denn nun genau diese Babyboomer und warum?
Babyboomer sind in der Zeit von 1946 bis 1964 geboren. Sie repräsentieren die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge, die mit der Generation X (von 1965 bis 1979) endet. Während die geburtenstarken Jahrgänge ein relativ typisches Nachkriegssyndrom sind, so werden nach einem Krieg oder großen Katastrophen z.B. mehr männliche Kinder als weibliche geboren und die Geburtenzahl steigt grundsätzlich. Mit der Generation X kam dann die Antibabypille und der sogenannte Pillenknick [2].
Ok, wir wissen jetzt also, dass die Babyboomer in einer bestimmten Zeit geboren sein müssen. Das warum wäre jetzt also geklärt. Jetzt zu dem wer.
Ich bin ein Babyboomer
Ich bin 1963 geboren, also ganz knapp noch ein Babyboomer. Und damit bin ich, stellvertretend für die ganze Generation von 1945 bis 1964, schuld an den meisten Fehlentwicklungen unserer Zeit.
Betrachten wir das mal aus meiner Warte.
Meine Mutter ist 1943 geboren, mein Vater 1945. Bei meiner Geburt hatte meine Mutter Kalziummangel, eine typische Nachkriegserscheinung, was bei mir zu sehr schlechten Zähnen geführt hat. Sie ist außerdem ein Flüchtlingskind, geboren im heutigen Polen. Sie hatte sehr schlechte Erinnerungen an die Flucht, obwohl sie da ein Kleinkind war. Ihre Schulbildung war, mit einem Wort, katastrophal. Sie war wie alle Mütter überfürsorglich. Und obwohl sie Krankenschwester war, bin ich z.B. nicht gegen Masern geimpft. Was zur Folge hatte, dass ich die Masern bekommen habe. Kann ich übrigens keinem empfehlen. 6 Wochen krank, teilweise auf des Messers Schneide, mit Fieber deutlich über 40 Grad und vielen anderen negativen Begleiterscheinungen. Selbst jetzt, 50 Jahre später, erinnere ich mich daran.
Und sie hat noch Wörter gebraucht, die man heute nicht mehr benutzt. War sie deswegen eine Rassistin?
Natürlich nicht. Ich gehe mal davon aus, dass sie genau wie ich erst sehr spät überhaupt mit Menschen anderer Hautfarbe zusammengetroffen ist. In meinem Fall war das in der zweiten Klasse nach Schulschluss, als die Amerikaner mitten in der Stadt (West-Berlin) ein Manöver abgehalten haben und ich auf dem Nachhauseweg plötzlich einem baumlangen Schwarzen gegenüber stand. Ok, wahrscheinlich war er gar nicht so groß, sondern ich, mit 130 cm eher klein. Das war überhaupt meine erste Begegnung mit jemandem anderer Hautfarbe. Fernsehen gab es zwar, aber meine Eltern hatten da noch keins. 2 oder 3 Jahre später hatten wir dann einen Fernseher. Ich glaube sogar in Farbe. Keine Fernbedienung. Die Bedienung war nur sehr starken Menschen vorbehalten. Denn für das Drücken der Schalter brauchte man sehr viel Kraft. Fernsehen war nur gemeinsam. Mein erstes eigenes Zimmer hatte ich ungefähr mit 10 Jahren. Es gab kein Internet, keine Handys. Fernsehen, einmal die Woche. Enterprise mit James T. Kirk!
Auch mit 10 Jahren ungefähr waren die Straßen um 20 Uhr wie leergefegt. Warum? Da kam die Tagesschau.
Geld war Mangelware, obwohl meine Eltern sehr viel gearbeitet haben. Die Klamotten waren von Coop, Quelle und Karstadt. Aber, wir sind einmal im Jahr in den Urlaub gefahren. Ich habe noch Winter erlebt. Urlaub mit Skifahren im bayrischen Wald. Dann zurück nach Berlin und da waren -29 Grad, der Schnee lag einen halben Meter hoch und wir haben die erste Nacht in unserer Laube, die illegal über die 24 m² vergrößert worden war, mit Skiklamotten im Bett gelegen. Die Lehrer in meiner ersten Schule waren alle Ende 50 bis Mitte 60. Fast alles Frauen. Meine erste Sportlehrerin hat uns Mattenbahnen bauen lassen und dann mussten wir jeweils zu zweit nebeneinander Purzelbäume schlagen. Ich habe Sport gehasst und sehr häufig meine Sportsachen „vergessen“. Was aber nichts genutzt hat, ich musste dann in Unterwäsche mitmachen. Das Ganze war eine evangelische Privatschule, für die man Schulgeld zahlen musste. In der vierten Klasse hat man mich dann rausgeschmissen, weil man mit mir nicht klarkam. Meine Schwester hat man gar nicht erst aufgenommen. Vorsichtshalber.
Auf der öffentlichen Schule hatte ich dann das erste Mal Lehrer, die etwas jünger waren. Ich hatte richtigen Sportunterricht und oh Wunder, plötzlich nur noch Einsen in Sport. Alle Sportabzeichen, die man machen konnte. Jugend trainiert für Olympia, Schwimmabzeichen, kurz, ich war zum Sportfreak mutiert. Aber auch hier war längst noch nicht alles Gold, was glänzt. Höherbegabtenerkennung gab es noch nicht oder kaum. Empfehlungen der Schule waren quasi bindend. Und so habe ich nur einen Realschulabschluss. Denn ich war ein Störenfried und verhaltensgestört [3]. Erst als ich 19 Jahre alt war, wurde ich als hochbegabt diagnostiziert.
Bei meiner Schwester (4 Jahre jünger) lief das schon deutlich besser, und folgerichtig hat sie Abitur und studiert. Mit 21 hatte ich einen Beruf, Elektroinstallateur, und war quasi in der Gesellschaft angekommen. Na ja, fast. Da war noch die Sache mit dem Job. Oh ja, Elektriker wurden gesucht. Viele sogar. Möglichst 10 Jahre Berufserfahrung, Führerschein und Auto, bei Tariflohn oder sogar darunter. Woher die 10 Jahre Berufserfahrung, das Auto und den Führerschein nehmen?
Egal, man wurschtelt sich so durch. Mein Interesse an Politik war, formulieren wir es freundlich, sehr rudimentär. Meine Hauptinteressen waren Partys, Frauen und Alkohol. Klimakrise gab es nicht. Allerdings gab es mal eine Ölkrise. Mit autofreien Sonntagen. Wie cool. Und dann der Mauerfall. Zum ersten Mal kannte ich einen Politiker mit Namen. Sah den roten Schal und wusste, das war Walter Momper. Ein Politiker, der präsent war, viel präsenter als „Birne“. Mein eigener Weg in die Politik war aber noch sehr weit weg.
Woran bin ich eigentlich schuld?
Ich hab nicht den blassesten Schimmer. An der Klimakrise? Ich hab noch mit Steinkohle und Eierkohle Kachelöfen beheizt. Mein erstes Badezimmer hatte einen Kupferbadeofen. In der Laube hatten wir dann einen Durchlauferhitzer für die Dusche. Aber auch eine Ölheizung.
Fühle ich mich jetzt deswegen schuldig? Nein.
Rassismus. Hat es gegeben und wird es wohl noch lange geben. Kann man Rassismus bekämpfen, indem man neue Namen erfindet? Das bezweifele ich sehr. Allerdings unterliegt Sprache einem Wandel, immer. Das habe ich dann doch auch irgendwann gemerkt. Ich bin mit dem N*** Wort aufgewachsen. Klar, ich muss das nicht mehr benutzen. Aber helfen wird das nicht. Da bin ich ganz sicher.
Frauen, Feminismus, Gender-Gap etc.
Meine Mutter war eine sehr starke Persönlichkeit. Ich hatte nie Schwierigkeiten mit Frauen, im Gegenteil, ich arbeite lieber mit Frauen zusammen. Verursacht in der Regel wesentlich weniger Stress.
Politik. Ich habe nicht wie Marina Weisband schon mit 24 Jahren ein Buch über Politik geschrieben. Da kann ich nur meinen Hut ziehen und bestätigen, Frauen sind einfach früher reif als Männer.
Fazit:
“OK Boomer” ist einfach nur abwertender Blödsinn, wie vieles andere auch. Jede Generation hat Ihre Stärken, Ihre Schwächen, ihr eigenes, sie prägendes Leben. Und das macht uns aus. Uns alle. Der Jahrgang ist dabei nur ein Teil dessen.
Worauf es ankommt, ist das Hier und Jetzt. Jetzt gilt es Fehler zu korrigieren und weitere Fehler zu verhindern.
Ullrich Slusarczyk
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/OK_Boomer
[2] https://unicum-media.com/marketing-wiki/generation-x-y-z/?portfolioCats=88%2C84%2C85%2C82%2C83
[3] https://abi.unicum.de/schule-a-z/auf-einen-blick/hochbegabung-erkennen
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
Hast Du mindestens 2,1 Kinder gezeugt? Falls nicht, bist Du Teil des Problems.
Ich bin zwar altersmäßig in der Millennial-Schublade, aber halte nichts von “OK Boomer” da ich mich mit meinen Großeltern immer gut verstanden und auch mit meinen Eltern noch gut verstehe. (Nur wenn ich mal den Laptop von einem der beiden brauche, nervt der fehlende Werbeblocker ein bisschen. ^^) Und ganz besonders seitdem dessen Konnotation zu “Alte Leute können niemals mit etwas Recht haben. Basta!!!” degeneriert ist.
Genauso wie “Mansplaining” von “Du hast doch keine Ahnung von Geburtsschmerzen, Manfred. Halt dich da raus.” zu “Männer können niemals mit etwas Recht haben. Basta!!!” degeneriert ist.
man kann nicht alle menschen einer generation über einen kamm scheren aber dennoch, kann man tendenzen sehen und diese auch veurteilen. natürlich trifft man damit kein individuum, sondern immer die gruppe und tut manchen unrecht.. aber ich finde, der generation der boomer, kann man ein paar dinge vorwerfe. sie sind viele, haben aber nicht viel nachwuchs bekommen und damit nachkommende generation was die rente betrifft belastet. wenn ich da meine eltern nehme: meine mutter hat 2 weitere geschwister, mein vater 3. sind also 7 kinder gewesen, die in der generation geboren worden. von den 7, sind 5 verheiratet. von den 7, haben nur 2 kinder.. darunter ja meine eltern und der bruder meines vaters. 2 single, 5 verheiratet. macht insg 12 “boomer” die von 2 kindern als nachwuchs finanziert werden wollen. warum haben die anderen keine kinder? sie wollten karriere machen, freiheit haben und nicht das zu hause haben, was sie selbst erlebt haben.. ein stall voll kinder. und klar, es gibt auch die gegenbeispiele von boomer, die 2 oder 3 kinder oder mehr haben. selbst meine eltern sagen, dass sie in der heutigen zeit nicht gerne nochmal junge menschen sein möchten, sie hätten es einfacher und besser gehabt, sehen sich aber nicht in einer schuld. sie hatten glück und für glück, muss man sich nicht shculdig oder schlecht fühlen. dann kommt dazu, dass sie nicht einsehen das sie verzichten oder zurück stecken sollten, damit es der welt, der gesellschaft oder eben anderer besser geht, da sie ja ihr leben in all das investiert haben, was sie heute haben und sich damit auch die vorteile im alter verdient haben. das andere die nicht mehr bekommen können oder nicht so leicht is ja nicht “deren” schuld
An Hans und jens sieht man sehr gut, dass Boomer ein bequemer Sündenbock sind.