Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Die 100-Tage-Frist bemisst die Zeitdauer, die nach einer Faustregel des Journalismus einem neuen (politischen) Amtsinhaber oder einer neuen Regierung zugestanden wird, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Danach kommt es zu einer ersten Bewertung (100-Tage-Bilanz) der Regierungsleistung. Quelle Wikipedia.
Da sind sie also um, die ersten 100 Tage des neuen Bundesvorstandes der Piratenpartei. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Von Plänen und Zielen
Ich bin sicher, dass einige ein klares Ziel hatten, als sie angetreten sind. Und einer hatte sogar einen Plan und hat das auch kundgetan. Auf Nachfrage kam da allerdings relativ wenig. In der Zwischenzeit gibt es den Plan jedoch. Zu den einzelnen Punkten des „8-Punkte-Plan“ wird die Flaschenpost in weiteren Artikeln berichten.
Neue Besen kehren gut, so heißt es. Und in Anbetracht der vielen neuen und teils auch sehr jungen Gesichter war meine Erwartungshaltung einigermaßen hoch. Dazu kamen auch einige Sorgen, zu denen manche Aussage Anlass gab.
Und wie so oft, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Weder haben sich meine Erwartungen, noch meine Befürchtungen erfüllt.
Nun hat es in dieser natürlich recht kurzen Zeit trotzdem einige Möglichkeiten für die Piratenpartei gegeben, auf sich aufmerksam zu machen.
Aktionen
Und im Falle des 9-Euro-Tickets haben wir das auch gemacht, mit einer medienwirksamen Trauerfeier und Beerdigung samt Sarg. [1]
Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und so hielt sich die Medienwirkung doch in sehr überschaubaren Grenzen. Dazu kam die etwas unglückliche Auswahl, wie man das Thema angegangen ist. Mit einem Sarg durch die Gegend zu laufen, während mitten in Europa ein Krieg tobt, war eventuell nicht die klügste Aktion. Aber, aus Fehlern lernt man. Warten wir also auf neue Aktionen, die meiner Meinung nach dringend nötig sind, um die Piratenpartei wieder sichtbar zu machen.
Zusätzlich zu den unverhofft auftauchenden Möglichkeiten gibt es die regelmäßig wiederkehrenden. Und so waren wir denn auch auf der Gamescom, die so ein wiederkehrendes Ereignis ist.
Bedauerlicherweise ist hier so ziemlich alles falsch gemacht worden, was geht. Wir haben Interviews geführt, es wurde ein Artikel geschrieben und relativ viele Leute waren damit mehrere Tage beschäftigt.
Aber, Hand aufs Herz. Wussten sie von den Videos?
8 Stück wurden veröffentlicht.
Wo, fragen sie?
Na hier!
https://www.youtube.com/c/piratenpartei/videos
Und es wurde ein Artikel geschrieben:
https://www.piratenpartei.de/2022/09/15/gamescom-2022-woran-mangelt-es-der-gaming-branche/
Der Artikel gehört zu den klar Besseren auf der Bundesseite, wenn er auch relativ spät kam. Aber es fehlt ihm an Durchschlagskraft, an klaren Forderungen.
Das Hauptproblem aber ist ein anderes. Alles, was auf der Gamescom passierte, war rein passiv. Wenn wir Aufmerksamkeit wollen, dann müssen wir aktiv werden. Dann geben „Wir“ eine Pressekonferenz auf der Gamescom, dann wird unsere E-Sportmannschaft interviewt. Wenn wir im Mittelpunkt stehen wollen, dann müssen „Wir“ uns da auch hinstellen! So wurde sehr viel Zeit, Geld und Arbeitszeit verbraucht, die anderswo eventuell sinnbringender eingesetzt hätte werden können.
Noch eine Anmerkung. Dass in den Videos das Signet der Piratenpartei in Richtung Super Mario™ geändert wurde, finde ich nicht schlecht. Allerdings hätte ich das nur zusätzlich zu unserem Signet gemacht!
Ich befürworte Aktionen, denn sie sind meines Erachtens die einzige sinnvolle Möglichkeit, uns wieder ins Gespräch zu bringen. Sie sollten aber gut geplant sein.
Was gab es sonst noch?
Ich konnte keine gravierenden Veränderungen feststellen. Im Gegenteil, ich hatte wesentlich mehr erwartet. Passiert ist nichts.
Zwar hat sich das Vorstandsportal, zumindest optisch, nicht zum Vorteil, wie ich finde, geändert. Aber ich glaube nicht, dass es sich dabei um eine wirklich wichtige Änderung handelt.
Gibt es noch Dinge, die wir erwarten können?
Das ist zu hoffen, denn ich kann nicht feststellen, dass sich die Situation der Piratenpartei in irgendeiner Form geändert oder gar gebessert hat. Weder sind wir lauter geworden, noch sichtbarer. Ich sehe keine Konzepte, Pläne oder gar Visionen. Ich weiß, dass 100 Tage nicht viel sind. Aber wenigstens so kleine Ansätze wären ja nicht schlecht. Also hoffen wir das Beste!
Fazit
Die Piratenpartei hat sich nicht aufgelöst. Es gab keine Massenaustritte und es wurden auch keine Strukturen oder Institutionen zerschlagen. Es gab einen kleinen, recht zaghaften Versuch, die Partei wieder ins Gespräch zu bringen. Das war es aber auch schon. Kein einziges der großen strukturellen und organisatorischen Probleme wurde angegangen. Es wird Zeit für Veränderungen. Das ist eine Mammutaufgabe, dessen bin ich mir bewusst. Aber wann, wenn nicht jetzt, soll das geschehen?
Es wird Zeit, dass wir in die Parlamente einziehen, denn wir werden dringend gebraucht. Dazu müssen aber einige Dinge geändert werden.
Ullrich Slusarczyk
[1] https://twitter.com/Piratenpartei/status/1565349693064101888
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.
1 thought on “100 Tage auf See”
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