
Stasigefängnis | CC BY 2.0 | Bild von Claire1066 auf Flicr.com
Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Alles, was man im Leben macht, hat Konsequenzen. Und da wir in einem Staat leben, also einer Gemeinschaft von vielen, gibt es Regeln. Regeln, deren Nichtbefolgung sanktioniert, also bestraft wird. Das ist völlig normal, und jeder akzeptiert das. Ob im Straßenverkehr, im Geschäftsleben oder im Umgang mit Ämtern und Behörden.
Allerdings gibt es Ausnahmen. Nicht immer sind diese Ausnahmen allerdings sinnvoll oder gar gewollt. Sehen wir uns mal ein paar dieser Ausnahmen an.
Die Politik
Da Politik von Menschen gemacht wird, ist es völlig normal, dass auch da Fehler vorkommen. Das lässt sich nicht verhindern. Deswegen gibt es die sogenannte Indemnität. [1]
Sie schützt vor strafrechtlicher Verfolgung für jede getätigte Äußerung im Parlament oder in seinen Ausschüssen, mit Ausnahme von Verleumdungen.
Sie schützt außerdem, wie man abstimmt.
Was aber, wenn ein Minister sozusagen mit Ansage ein fehlerhaftes Gesetz beschließen lässt?
So hat der ehemalige Verkehrsminister Andreas Scheuer eine Maut beschlossen, die von vornherein als nicht mit den Gesetzen der EU vereinbar gebrandmarkt wurde. Trotzdem wurde sie beschlossen und es wurden Verträge geschlossen. Dann hat die EU das Ganze erwartungsgemäß gecancelt. Dummerweise waren die Verträge aber schon geschlossen. Eventueller Schaden, mehr als eine halbe Milliarde. Letztendlich hat ein Gericht den betroffenen Firmen jetzt recht gegeben, allerdings noch keine Summe genannt.
Da ist also ein Minister mit Ansage in ein Fiasko geraten. Zwar könnte das ganze jetzt doch noch ein gerichtliches Nachspiel haben, allerdings wegen „uneidlicher Falschaussage“ und nicht wegen des politischen Fehlers. [2]
Interessanterweise sind es ausgerechnet die Rechtsextremen, die Anhänger von AFD, NPD, Pegida und auch die diversen Coronaleugner, die häufig von Volkstribunalen und Ähnlichem fantasieren. Und ganz ehrlich wundert es mich nicht, denn ich muss zugeben, auch ich stelle mir manchmal die Frage, wieso so gravierende Fehler straffrei, also nicht sanktioniert werden. Das gilt auch für die nicht geahndeten Maskendeals etc. [3] Allerdings will man nachschärfen. [4]
Diese sehr bewegende Traueranzeige der Eltern wurde von einem Lokalblatt ganz abgelehnt und von einem anderen nur unter der Bedingung angenommen, dass die Namen der Verantwortlichen getilgt werden. Helfen wir den Eltern, an ihren Sohn zu erinnern, indem wir ihren Text verbreiten. pic.twitter.com/Mj6sry6SX3
— @KPeterL@troet.cafe (@kpeterlBW) October 5, 2022
Die Polizei
Hier ist die Lage noch wesentlich komplizierter. Denn Polizisten sind nicht immun, genießen keine Indemnität. Allerdings verfolgen sie alle Fehler selbst. Das führt zu interessanten Dingen. In einem etwas älteren Artikel hab ich darüber schon mal etwas geschrieben.
Spannend dabei ist, da hätten sich also 7 Polizisten geirrt?
Und natürlich blieb das folgenlos für Gwendolin von der Osten. Im Gegenteil, es könnte sogar die Karriere beschleunigt haben. [5]
Das war allerdings noch ein vergleichsweise harmloses Beispiel, denn es ging gut aus. Interessanter ist da schon die Pimmel-Affäre. [6]
Hier haben gleich 4 Gruppen völlig daneben gegriffen und es gab keine Konsequenzen.
Da war der Politiker Andy Grote, der sich beleidigt fühlte. Eine Staatsanwaltschaft, die der Meinung war, deswegen eine Hausdurchsuchung zu beantragen und ein Richter, der diese dann auch noch genehmigt hat. Und zu guter Letzt wieder die Polizei, die diese dann auch durchgeführt hat, obwohl der Betroffene schon zugegeben hatte, dass er das war. Bis hin zu den Aktionen mit den übermalten Plakaten.
Und wieder gab es keine Konsequenzen. Weder für den Politiker, die Staatsanwaltschaft, den oder die Richterin und der Polizei.
Allerdings wurde hier auch nicht versucht, selbige strafrechtlich zu belangen.
Was aber, wenn ein Gericht polizeiliche Aktionen als klar rechtswidrig erklärt?
So geschehen z.B. im Falle des G20-Gipfels in Hamburg. [7] [8]
Die Frage ist jetzt, wenn etwas klar rechtswidrig ist, warum hat das dann keine Folgen?
Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, dann droht ein Bußgeld, Punkte in Flensburg und in schweren Fällen ein Fahrverbot. Und auch hier war jemand verantwortlich!
Vielleicht sollte man nicht nur eine unabhängige Stelle für Rechtsverstöße in der Polizei einrichten, sondern auch einen Punktekatalog mit entsprechenden Sanktionen.
Ämter und Behörden
Bei Ämtern und Behörden ist das Ganze noch komplizierter. Ich denke, das Wort „Behördenwillkür“ gibt es nicht ohne Grund. Allerdings gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich zu wehren. Eine Möglichkeit ist die sogenannte „Dienstaufsichtsbeschwerde“. Ich habe selbst ein solche gestellt und ich gebe zu, meine Erwartungen waren nicht sonderlich groß. Das Sprichwort, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, ist auch mir bekannt. Dass dann aber die Beschwerde mit dem exakten Wortlaut dessen abgelehnt wurde, worüber ich mich beschwert habe, hat dann meine negativen Erwartungen noch übertroffen. Geblieben ist das Gefühl von Ohnmacht und dass ich einen Anwalt gebraucht hätte, der aber Geld kostet. Ämter und Behörden verschleppen z.B. Anträge gerne monate- oder sogar jahrelang, bis sie schließlich gerichtlich gezwungen werden, etwas zu bewilligen oder zu bezahlen. Und immer ist es folgenlos. Auch hier würde ich einen Punktekatalog gut finden.
3-mal verurteilt, Abmahnung, 5-mal verurteilt, Versetzung, etc.
Hier geht es manchmal um Existenzen, um kreatürliche Angst oder einfach nur Lebensqualität. Und ich kann nicht verstehen, warum das dann unsanktioniert bleibt. Und so wie mir geht es sicher Millionen von Menschen in Deutschland.
Das Internet
Der Rechtsanwalt Chan-Jo Jun hat am 14. September den Max-Dortu-Preis in Potsdam erhalten. [9]
Er hält eine, wie ich finde, außerordentlich beachtenswerte Dankesrede. [10]
Denn genau wie ich fragt er nach Konsequenzen. Er bezieht sich dabei auf Lisa Marie Kellermayr, die Ende Juli nach diversen Angriffen im Internet sich das Leben nahm. [11]
Zwar passierte das in Österreich, die rechtliche Situation in Deutschland ist aber kein bisschen besser. Die Polizei reagiert nicht, und auch die großen Unternehmen wie Twitter oder Facebook regieren schlecht oder sogar in die falsche Richtung, lassen sich also auch noch missbrauchen. Chan-Jo Jun fordert ein „Ordnungswidrigkeiten Recht in den sozialen Medien“, und das völlig zu Recht, meine ich. Denn anders als bei der Polizei oder in der Politik gibt es im Internet bzw. den sozialen Medien keine Regeln. Zwar gibt es sogenannte „Netiquetten“, die aber sind immer selbsterstellt und rechtlich nicht bindend. In Deutschland sind Bedrohungen ein Bagatelldelikt, ähnlich wie Schwarzfahren. Also eine Morddrohung hat keine Konsequenzen.
Aber 1 Pimmel schon. Der führte sogar zu einer Hausdurchsuchung. Im Falle von Anwalt Jun hatte die Berliner Polizei dagegen keine Zeit und hielt lediglich eine Gefährderansprache. Es gibt Trollfarmen, das ist nachgewiesen. [12] [13]
Das Geschäft mit dem Hass, der Desinformation und Destabilisierung, es scheint sich zu lohnen.
Stochastischer Terrorismus
Ein schwieriger Begriff. Was ist das überhaupt?
Im amerikanischen Wahlkampf taucht eine Behauptung auf:
Hillary Clinton ist die Kandidatin der Demokraten gegen Donald Trump für die Republikaner, und sie wird zusammen mit ihrem Kampagnenchef John Podesta beschuldigt, einen Kinderpornografiering in einer Pizzeria in Washington zu leiten.
Das Ganze wird auch von Leuten im zukünftigen Team um Donald Trump auf Twitter geteilt. Und so stürmt an einem Sonntag ein 28-Jähriger das Restaurant mit einer Waffe und schießt auch. Dabei hat die Polizei schon vorher erklärt, dass die Vorwürfe falsch sind. [14]
Stochastischer Terrorismus ist also, wenn ich etwas behaupte, das nicht einmal stimmen muss. Ich muss es nur oft genug wiederholen, dass es jemand glaubt und sich dann berufen fühlt, etwas zu tun.
In Deutschland wird der Angestellte einer Tankstelle erschossen, weil er einen Kunden auf die Maskenpflicht hinweist. [15]
Er ist genau wie Walter Lübke in meinen Augen ein Opfer genau dieses stochastischen Terrorismus. [16]
Ungezählte Politiker haben zu Ihrem persönlichen politischen Vorteil behauptet, und behaupten auch jetzt noch, dass Masken überflüssig sind.
Und es gibt jede Menge Politiker und Journalisten, die sich des stochastischen Terrorismus bedienen, um politisch nicht genehme Personen auszuschalten. Friedrich Merz ist so ein Beispiel dafür. Er fährt medienwirksam in die Ukraine und zeigt sich, zwischen Ruinen, tief betroffen. Nur um dann in Deutschland den ukrainischen Flüchtlingen Sozialtourismus zu unterstellen und von einem Pull-Effekt zu sprechen. Das ist in meinen Augen stochastischer Terrorismus!
Fazit
Es braucht Regeln, Sanktionen, Strafen und kein „Wir haben keine Zeit“. Es kann und darf keinen Freibrief für Politiker, Journalisten und Verlage geben, die stochastischen Terrorismus unterstützen oder sogar selber betreiben. Das gilt auch für das Geschäft mit dem Hass und der daraus resultierenden Angst. Anwalt Jun und Hate Aid sind hier nach meiner Meinung klar zu unterstützen. Aber auch Fananwälte, die aktiv gegen polizeiliches und staatsanwaltschaftliches Fehlverhalten vorgehen, gehören unterstützt. Es braucht eine unabhängige Stelle, die Polizeivergehen untersucht.
Und Plattformen wie Meta oder Twitter müssen mit empfindlichen Geldbußen belegt werden, nur so lernen Unternehmen. Aber dazu braucht es eine entsprechende Rechtsprechung und zumindest im Moment gibt es die nicht.
Ich bin der Meinung, dass stochastischer Terrorismus hart, sogar sehr hart bestraft werden muss! Das ist keine Redefreiheit, kein Stilmittel, um einen politischen Gegner auszuschalten. Es ist versuchter Mord. Ich bin kein Jurist und ich bin sicher, dass man das so nicht durchsetzen kann.
Aber getan werden muss etwas!
Ullrich Slusarczyk
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Indemnit%C3%A4t
[2] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/scheuer-maut-125.html
[4] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/verschaerfung-regeln-gegen-bestechlichkeit-101.html
[7] https://taz.de/Gerichtsurteil-gegen-Hamburger-Polizei/!5849119/
[8] https://www.zeit.de/news/2022-02/24/verwaltungsgericht-ueberprueft-verbot-von-zwei-g20-protesten
[9] https://www.potsdam.de/max-dortu-preis-fuer-chan-jo-jun
[10] https://youtu.be/pjk09eHWz2E
[12] https://www.businessinsider.de/tech/russische-troll-fabrik-undercover-2019-3/
[13] https://www.volksverpetzer.de/social-media/bezahlte-pro-putin-kommentare-meta-nimmt-trollfarm-hoch/
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_L%C3%BCbcke
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.